© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Nation und Demokratie aufweichen, um sie zu schützen
Postkoloniale Theologie
(wm)

Hunderttausende Austritte pro Jahr sind für die Volkskirchen und ihr akademisches Hilfspersonal kein Grund, sich von der enthemmt betriebenen „Dekonstruktion“ ihrer Glaubensgrundlagen zu verabschieden. So plädiert der Religionswissenschaftler Andreas Nehring (Universität Erlangen-Nürnberg) unbefangen dafür, noch intensiver als bisher schon, das „westliche Denken“, den „Eurozentrismus“ und seine „essentialistischen Diskurse“ in Frage zu stellen (Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft, 2-3/2019). Zu diesem Zweck gelte es, den christlichen Glauben „postkolonial“ zu kritisieren. Also anzuknüpfen an die radikale „Infragestellung von Machtstrukturen“, wie sie Intellektuelle und Aktivisten nach 1945, in der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung in Asien und Afrika, gegen die sich zurückziehenden Kolonialherren praktiziert hätten. Heute, wie Nehring in unbewußter Anlehnung an den anarchistischen Sponti-Spruch „Keine Macht für niemand“ proklamiert, universalisieren  die „postkolonial“ disponierten westlichen Kulturwissenschaften diese Herrschaftskritik, um die Einsicht zu vermitteln, „daß das, was ist, nicht notwendig so sein muß“. „Vernunft, Rationalität und Verantwortung“, sinnstiftende Grundannahmen westlichen Denkens, zählten damit zu einer Wirklichkeit, die vielleicht Illusion sei. Nur mit der Aufweichung solcher „Absolutsetzungen in kulturell abgeschlossenen Räumen“ mit ihren „Identitäten“, so glaubt Nehring, könne eine „postkoloniale Theologie“ sich die „Deutungshoheit“ über die „Konzepte und leeren Signifikanten Nation, Heimat, Volk, Demokratie, Freiheit usw.“ sichern, um sie „politisch zu verteidigen“. 


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