© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Die Tyrannei der engen Wände
Boykottkampagne: Der Zeitschrift „Tumult“ werden zum zweiten Mal Veranstaltungsräume verweigert
Thorsten Hinz

Das prächtig am Dresdner Elbhang gelegene Lingnerschloß empfiehlt sich auf seiner Webseite als Ort für Veranstaltungen jeglicher Art und als „Schloß für alle“. In der Praxis erweist der Zugang sich als exklusive Angelegenheit. Von den Interessenten wird nämlich eine bestimmte politische Haltung erwartet: die Treue zur Politik Angela Merkels. Anders ist die Absage einer Lesung des Schriftstellers Uwe Tellkamp, die für den 9. Januar geplant war, durch den zuständigen Vorstand des Fördervereins (FV LS) nicht zu verstehen.

Die Lesung aus Tellkamps neuem Roman, der im Herbst erscheinen soll, sollte den Auftakt bilden für eine Gesprächsreihe der Zeitschrift Tumult, der – laut Untertitel – „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“, die ebenfalls in Dresden von dem Kulturwissenschaftler Frank Böckelmann herausgegeben wird. Weitere Veranstaltungen sind unter anderem mit dem Althistoriker Egon Flaig und den Autoren Jörg Bernig und Michael Klonovsky geplant. Tumult ist ein hochintellektuelles Forum, in dem Klartext geredet wird. Zu den Beiträgern gehörte der Historiker Rolf Peter Sieferle, der die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik eine herostratische „Unheilsfigur“ nannte. Auch Uwe Tellkamp zählt zu den Kritikern der 2015 erfolgten Grenzöffnung.

Es ist die zweite Absage eines avisierten Vermieters. Als Veranstaltungsort war zunächst der Pianosalon im Coselpalais an der Frauenkirche vorgesehen, der vom Klavierbauer Bert Kirsten betrieben wird. Doch nach einem Diskussionsabend der Oswald-Spengler-Stiftung, bei dem die AfD-Politiker Albrecht Glaser, Marc Jongen, Maximilian Krah sowie der Verleger Götz Kubitschek über das Thema „Was ist konservativ? Bürgerliche Positionen im Lichte unserer Zeit“ sprachen, wurde eine Boykottkampagne in Gang gesetzt, die die Existenz des feinen, kleinen Familienunternehmens bedrohte. Kirsten sah sich veranlaßt, Tumult zu kündigen.

Aus der Absage spricht das schlechte Gewissen

Am 19. Dezember 2019 richtete Böckelmann per Mail eine Anfrage an den Förderverein: „Ein Raum im schönen Lingnerschloß wäre für uns ein idealer Ort für Lesungen und Diskussionen (und Klavierspiel).“ Zur inhaltlichen Orientierung verwies er auf den Internet-Auftritt seiner Zeitschrift.

Am nächsten Tag erfolgte ein Gespräch mit dem für Veranstaltungen zuständigen Mitarbeiter. Wie Böckelmann gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erklärte, hatte er den sicheren Eindruck, daß der Mitarbeiter sich beim Vereinsvorstand rückversichert hatte und es keinen vernünftigen Zweifel daran gab, daß es zum Vertragsabschluß kommen würde. Die Termine und der organisatorische Ablauf wurden bis ins Detail festgelegt.

Die bis in den Juni reichenden sechs Veranstaltungsstermine wurden bestätigt und die Zusendung des Vertrags und der Rechnung für Anfang Januar angekündigt. Ein weiteres Treffen war für den 7. Januar, zwei Tage vor Tellkamps geplanten Auftritt, vereinbart, um die technischen Details zu besprechen. Noch am Vormittag des 2. Januar bestätigte der Mitarbeiter den Termin und teilte mit, daß der Vertrag ausgefertigt vorliege und nur noch der Unterschrift des Vorsitzenden bedürfe. 

24 Stunden später traf die schroffe Absage ein „(...) hiermit teilen wir Ihnen mit, daß die von Ihnen beabsichtigte Vortragsreihe in unseren Räumen nicht stattfinden kann. Nach unserer Überzeugung und dem Neutralitätsgebot des FV LS ist Ihre beabsichtigte Vortragsreihe für unsere Einrichtung nicht geeignet. Wir bitten Sie daher, auf Werbungen in unserem Namen zu verzichten. Alle kurzfristig vorgemerkten Termine (unserer e-Mail vom 20.12.20) entfallen somit.“

Auf seiner Webseite veröffentlichte der Verein eine ähnlich lautende Erklärung, in der er sich auf die „Verpflichtung zu politischer bzw. religiöser Neutralität“ berief, zu der „die Schriften des Tumult e.V.“ im Widerspruch stünden. Zugleich wies er „energisch“ den Eindruck zurück, „daß sich die Absage gegen den Auftritt Uwe Tellkamps oder anderer Autoren im Lingnerschloß richtet“.

Mehr Absurdität in so wenigen Sätzen ist kaum möglich. Die Schloßverwalter haben nichts gegen die Autoren, verhindern aber deren Auftritt. Zudem bedeutet das Neutralitätsgebot, politische oder religiöse Richtungen weder zu bevorzugen noch zu benachteiligen. Wenn die Unterbindung der Veranstaltung keine Benachteiligung bedeutet, was dann?

Aus der Erklärung spricht das schlechte Gewissen. Die Gründe für die Absage liegen anderswo. Hinweise finden sich in den Äußerungen zweier Vorstandsmitglieder gegenüber der Sächsischen Zeitung und dem Newsporal Tag24: Man sei „von außen auf die Aktivitäten des Tumult-Magazins aufmerksam gemacht“ worden; darauf, „daß dieser Verein etwas fragwürdig ist“. Auch Drohungen wurden erwähnt, aber nichts über deren politischen Hintergrund verraten. 

Der läßt sich jedoch unschwer erschließen. Am 29. Dezember hatte eine der zahllosen Anti-Rechts-Initiativen an den Suhrkamp-Verlag getwittert: „Hey suhrkamp euer Autor Tellkamp möchte bei einer Veranstaltung des faschistischen Magazins Tumult Vorarbeiten des von euch verlegten neuen Romans vorstellen.“ Kurz nachdem die Absage bekannt geworden war, meldete das einschlägige Portal „Alternative Dresden News – Solidarische Berichterstattung aus Dresden“ unter der Überschrift „Lingnerschloß zeigt Haltung und entzieht rechtem Magazin die Bühne“ triumphierend Vollzug.

Man darf wohl annehmen, daß dem Schloßverein aus Antifa-Kreisen, deren Übergriffigkeit bekannt ist, schmerzhafte Sanktionen in Aussicht gestellt wurden, sollten sie ihre Räume für die Gesprächsreihe öffnen. Der Förderverein hat sich der Gewalt gebeugt, und seine nachgeschobene Begründung ist eine moralische Schutzbehauptung: Man gibt der Drohung nach, möchte aber weder vor sich noch vor der Öffentlichkeit als Gedemütigter dastehen und begründet den schlagartigen Sinneswandel mit nachträglicher, besserer Einsicht. So funktioniert die alltägliche Unterwerfung in Diktaturen und so auch in der real existierenden Demokratie der Merkel-Republik.

Andersdenkende sollen isoliert bleiben

Der aktuelle Fall ist nur ein weiteres Beispiel, daß der politisch-intellektuelle Diskurs nicht nur von sozialem Anpassungsdruck, sondern auch von subkutaner Angst geprägt ist. Das Instrument zu ihrer Generierung ist eine gewaltbereite linke Szene, die sich „autonom“ nennt und wohl auch so wähnt, aber in der Praxis als kalkuliertes und hocheffizientes Element der Machtausübung, als eine Art Kampfreserve der Altparteien wirkt.

Die Konsensstörung durch politische Kritik, die nicht im Sekundären steckenbleibt, sondern ins Grundsätzliche reicht, soll unbedingt unterbunden werden. Der Ort, an dem politische Willensbildung und gemeinsames Handeln entstehen, ist der – konkret und abstrakt verstandene – öffentliche Raum. Mit der Implementierung des apolitischen Prinzips der Angst wird beides blockiert; die zahlreichen Andersdenkende bleiben isoliert und vereinzelt. Stattdessen verkommt der öffentliche Raum zum Aufmarsch- und Paradeplatz der Konsens-Claqueure.

So hat der Intendant des Staatsschauspiels Dresden, Joachim Klement, im Deutschlandfunk Verständnis für die Absage geäußert, denn man befände sich im Umfeld von Verschwörungstheorien und rechtsradikaler Propaganda. „Daß das ein Verein spät merkt, ist ärgerlich genug, gut ist, daß er es gemerkt hat.“ Vielleicht weiß der Intendant des Staatsschauspiels nicht, was er tut, aber er könnte es wissen. Seine Stellungnahme läuft objektiv auf die Autorisierung und Rechtfertigung der Gewaltdrohung und die Ermunterung ihrer Urheber hinaus.

Das ist weder ein Zufall noch ein Versehen. Im aktuellen Tumult-Heft ist ein Aufsatz des Philosophen Rudolf Brandner abgedruckt, der sich mit der „Ideologisierung des Demokratiebegriffs“ beschäftigt. Er konstatiert „Zeichen der ethischen Ratlosigkeit, Schwund objektiver Rechtsbegriffe, Verlust fester Maßstäbe politischen Gemeinschaftshandelns“. Daraus ergibt sich ein „Gemisch aus Anarchie und Tyrannei“. Es verwundert nicht, daß Angehörige des Kultur- und Medienbetriebs sich von solchen Texten entweder überfordert oder bloßgestellt fühlen und sie als „rechtsradikale Propaganda“ von sich weisen. Gehören sie doch zu denen, welche die üble Brühe mit angerührt haben, auf der sie nun als Fettaugen schwimmen.

Die Tyrannei, die sich am Horizont abzeichnet, beruht auf keiner geschlossenen Ideologie mehr, sondern schreitet postmodern, pluralistisch aufgefächert daher. Auf keinen Fall aber wird sie sich die Fähigkeit zur „prinzipiell unbegrenzten Intensität der Sanktionen“ nehmen lassen. Denn entscheidend für sie ist „die unbegrenzte Verfügungsgewalt über die Gesamtheit der Lebenschancen des Einzelnen diesseits des blanken Terrors, über Bildungschancen und Berufschancen, über die Chancen der Befriedigung materieller Bedürfnisse und Kommunikationschancen“ (Peter Graf von Kielmansegg). Oder, in den Worten Uwe Tellkamps, der die Absage so kommentierte: „Es gibt keine Gesinnungskorridore. Nur enge Wände.“

Aktuelles Tumult-Heft, Ausgabe Winter 2019/20

 www.tumult-magazine.net