© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Gesprächslektion: Du kannst so viele Gedankenschleifen drehen wie du willst, eine vergangenheitsverändernde Wirkung wird sich nicht einstellen.


Ludwig van Beethoven in seinem diesen Jubiläumsjahr hoch und runter und quer, allüberall, dabei meist gleichklingend. Heilige Einfalt! Einen bemerkenswerten dissonanten Ton hat jetzt der Autor Wolfgang Herles in dem Monatsmagazin Tichys Einblick (Ausgabe 2/2020) gesetzt. Unter dem Titel  „Die öde Ode“ widmet er sich Beethovens 9. Symphonie mit dem Schlußchor und Schillers Gedicht. Die Partitur widerspreche Schiller, der wiederum von seiner Ode selbst nicht viel gehalten habe. Ein gewissermaßen doppeltes Mißverständnis. Herles resümiert: „Auch Leute, die von Musik nichts verstehen, können sich bequem am finalen Chorschlager festhalten. Er überfordert niemanden, gibt aber auch keinen Sinn. Die Verkürzung der neunten und letzten Symphonie Beethovens in der öffentlichen Wahrnehmung auf den Schlußchor verrät nur, daß die meisten Verehrer des Schillertextes für Beethovens Musik so wenig Verständnis haben wie für Literatur. Es ist Musik für alle, einschließlich aller musikalischen Analphabeten.“


Fundstück in Michael Klonovskys Netztagebuch „Acta diurna“ unter dem 5. Januar 2020: „Wie der lasterhafte Mensch ein angenehmerer Umgang ist als der tugendhafte, so ist ein in Tradition und Gegenwart heimischer Mensch erträglicher als ein Ewigmorgiger.“ 


Bibliophile kennen das Phänomen zur Genüge: Bücher besitzen die Eigenschaft, sich beständig zu vermehren. Mit der – von Platznot abgesehen – unangenehmen, weil das eigene schlechte Gewissen befördernden Folge, daß auch der Stapel ungelesener Bücher wächst. Aus meinem habe ich dieser Tage den vor zwanzig Jahren (!) erschienenen Thriller „Die Auserwählten“ von Rob Kean gefischt – und mich prompt festgelesen. Darin geht es, verfilmungsreif geschrieben, um eine Studentenverbindung an einem kleinen US-amerikanischen Elite-College, die auf eine stolze zweihundertjährige Tradition zurückblicken kann. Doch als ein Erstsemester-Student unter mysteriösen Umständen im Bruderschaftshaus zu Tode kommt, können nur Vertuschung, Intrigen und Gewalt das Imperium der Auserwählten, die Aktivitas und das Machtkartell der vermögenden Alten Herren, vor dem Sturz bewahren. Leider ist das Buch für Genreliebhaber nur noch antiquarisch zu beziehen, aber dafür aller Empfehlung wert.