© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Je weiter das Alter vorrückt, desto kleiner wird die Zahl der neuen Worte sein, die man sich aneignet. Aber jetzt ist doch eins dazugekommen: „Aphantasie“. „Aphantasie“ ist eine psychische Störung, die es Menschen unmöglich macht, sich vorzustellen, was geschehen könnte. Der Gedanke liegt nahe, daß Verantwortungsträger in hohem Maß unter einer spezifischen Form von „Aphantasie“ leiden: Sie können sich nicht vorstellen, welche Folgen eine dauernde Einwanderung aus kulturfremden Räumen hat, sie können sich nicht vorstellen, was für Konsequenzen das notorische Verwöhnen der Jungen nach sich zieht, sie können sich nicht vorstellen, was die Zerstörung des Leistungsprinzips bedeutet, sie können sich nicht vorstellen, wie die Bürger reagieren werden, wenn ihnen bewußt wird, daß man ihr Geld sinnlos verschwendet und es mit der öffentlichen Sicherheit nichts mehr ist. Die Menge der Beispiele kann jeder – ein gewisses Maß Phantasie vorausgesetzt – beliebig vermehren.

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Der Abgang von Royal Sussex löst den Eindruck eines Déjà-vu aus: Daß auf der Heirat eines Prinzen von Geblüt mit einer geschiedenen Amerikanerin kein Segen liegt, hätte man jedenfalls wissen können.

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Die Ausschreitungen in der französischen Silvesternacht kommentierte der polnische Journalist Patrick Edery mit der Feststellung, daß in seiner Heimat das „Abfackeln“ von 20 Autos zur Mobilisierung von Spezialkräften führe, in Frankreich gelte die Zerstörung von 1.000 Fahrzeugen als belanglos in einer Nacht, die ruhig und heiter verlief.

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Unter den Vätern der Grünen hat man aus Anlaß des 40. Gründungstages wenigstens da oder dort Herbert Gruhl genannt, der von der Seite der Öko-Konservativen kam. Es fehlte in der Regel August Haußleiter. Dabei gehörte er zu denen, die die meiste Erfahrung im Hinblick auf Partei-gründungen mitbrachte: Beteiligt war er unmittelbar nach Kriegsende am Aufbau der CSU, von der er sich aber nach kurzem enttäuscht abwandte. Der Hauptgrund war die Fixierung aufs Katholische und die Amerikaner. Haußleiter organisierte eine kurzlebige Deutsche Union und dann die Deutsche Gemeinschaft, die später mit dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten fusionierte, einen nationalneutralistischen Kurs verfolgte und zeitweise sogar versuchte, die Anhängerschaft der verbotenen Sozialistischen Reichspartei zu absorbieren. Das bedeutete allerdings nicht, daß Haußleiter etwas wie ein „Neo“ war. Er gehörte vielmehr zum nationalliberalen Flügel der Konservativen Revolution und hatte aus dem Scheitern des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, daß ein „neuer Nationalismus“ mit Basisdemokratie gekreuzt werden müsse, um das Abdriften ins Totalitäre zu verhindern. Das Angebot fand allerdings weder in den fünfziger Jahren noch in den Sechzigern Abnehmer unter den Bundesbürgern. Haußleiter scheint das nicht irregemacht zu haben. 1965 wurde die DG aufgelöst beziehungsweise in die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher überführt, die in den folgenden Jahren immer weiter nach links rückte und ihr Programm noch mit eigenen Positionen zu Fragen des Umweltschutzes ergänzte. Die Forderungen nach Paktfreiheit, Demokratisierung, Sozialismus und Atomgegnerschaft wirkten in vieler Hinsicht wie eine Vorwegnahme dessen, was dann im Programm der Grünen stand. Insofern konnte nicht überraschen, daß sich die AUD als eigene Formation auflöste, ihre Mitglieder mehrheitlich übertraten und Haußleiter selbst zu einem der Sprecher der Bundesgrünen gewählt wurde. Allerdings schien ihn dann doch eine „braune“ Vergangenheit einzuholen, und er mußte seinen Posten aufgeben. Der Rückzug war aber nur ein vorübergehender, bis kurz vor seinem Tod im Juli 1989 saß er als Abgeordneter der Grünen im Bayerischen Landtag. Es wäre interessant zu wissen, ob er sich zuletzt von seinen ursprünglich so dezidiert nationalen Auffassungen getrennt hatte, oder ob er sie nur aus taktischen Gründen zurückstellte. In jedem Fall war Haußleiter zuletzt eine Art lebendes politisches Fossil, hatte er doch die Konservative Revolution, die NS-Zeit, die Nachkriegsjahre und die Kulturrevolution von ’68 mitgemacht und trotzdem an Vorstellungen festgehalten, die man unschwer der deutschen Neigung zu Dritten Wegen zuschlagen konnte, die nach dem Endsieg des Westens definitiv versperrt schienen.

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Im US-Bundesstaat Iowa ist im Dezember ein Mann zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er eine Regenbogenfahne von einer Kirche abgerissen und in aller Öffentlichkeit verbrannt hat. Der Akt wurde nicht als Meinungsäußerung oder Sachbeschädigung gewertet, sondern als „Haßverbrechen“, das sich seiner Intention nach gegen die ganze Gesellschaft richte, weil die Regenbogenfahne für die Homosexuellenbewegung stehe. Als Kommentar bleibt wohl bloß das ukrainische Sprichwort „Kaum flattert die Fahne, ist der Verstand in der Trompete“.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 31. Januar in der JF-Ausgabe 6/20.