© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Mythisches „Trennungsgebot“ von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit
Zusammenarbeit macht stark
Jürgen W. Schmidt

Die deutschen Nachrichtendienste, die im Inland tätigen Landesämter sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz, sind stets die Prügelknaben der Nation. Erst kürzlich, Ende November 2019, höhnte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, bezüglich des Berliner Verfassungsschutzes: „Da gibt es noch eine ganze Menge Leute, die man feuern kann.“ Bereits 2013 nahmen die Grünen eine „Neugründung“ des Verfassungsschutzes sowie die Abschaffung aller V-Leute auf ihrem Bundesparteitag in ihr damaliges Bundestagswahlprogramm auf. Wenn der Verfassungsschutz einmal neue Planstellen bewilligt bekommt, dann nur zum „Kampf gegen Rechts“, denn beim islamischen Terrorismus und Linksradikalismus ist eine Stellenvermehrung anscheinend nicht nötig.

Fragt man einmal nach, womit diese sonderbare Einstellung begründet wird, dann erhält man todsicher die Schlagworte „NSU“ und „kriminelle V-Leute“ zur Antwort. Bei Journalisten, die sich naturgemäß besser als der Normalbürger mit den Sachfragen auszukennen glauben, folgt unweigerlich noch der Hinweis auf das mythische „Trennungsgebot von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit“, welches die alliierten Besatzungsmächte mit ihrem Polizeibrief vom 14. April 1949 den Vätern des Grundgesetzes diktierten.

Eben dieses „Trennungsgebot“ sei nun die Ursache dafür, daß in der heutigen Bundesrepublik Deutschland neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz 16 autarke Landesämter für Verfassungsschutz und neben dem Bundeskriminalamt 16 Landeskriminalämter nebst angeschlossener „Staatsschutzabteilung“ bei der Bekämpfung politischer Kriminalität agieren.

Wer sich etwas näher mit dem Fall NSU gerade in Thüringen und Sachsen beschäftigt, wird deutlich erkennen, wie durch die Vielzahl der parallel handelnden Köche alles verdorben wurde, denn neben dem BfV, dem MAD und den Landesämtern für Verfassungsschutz von Thüringen, Sachsen, Bayern, Hessen und Berlin kamen noch die unterschiedlichsten Polizeidienststellen ins Spiel. Die einen hatten Informationen, die anderen glaubten welche zu haben, doch niemand fügte sie zentral zusammen. Wer nämlich Informationen hatte, verbarg sie möglichst eifersüchtig vor anderen, um selbst den großen Schlag gegen die beiden Uwes zu führen.

Die Interessen von Polizei und Verfassungsschutz gingen bei der Bekämpfung des politischen Extremismus diametral auseinander. Während die Polizei das Verbrechen bekämpfen muß und deshalb unnachsichtig pflichtgemäß nach „Verhaften“ ruft, sobald nur der geringste Verdacht auf Gesetzesverstöße besteht, liegen die Interessen des Verfassungsschutzes im Bund und den Ländern völlig anders. Die Verfassungsschützer sind eben keine auf Verbrechensbekämpfung eingeschworenen Polizisten und können polizeiliche Handlungen weder selbst durchführen noch anordnen. Sie sind einzig zur Informationssammlung für die informationsbedürftigen politischen Stellen bestimmt.

Bewirkte der Polizeibrief der alliierten Besatzungsmächte von April 1949 an den Parlamentarischen Rat tatsächlich ein ins Grundgesetz eingegangenes Verbot für gemeinsames polizeiliches und nachrichtendienstliches Handeln? 

Deshalb finden Verfassungsschützer es auch keineswegs immer gut, wenn auf Grundlage der von ihnen gelieferten Informationen die polizeilichen Staatsschutzorgane sogleich zur Verhaftung schreiten, obwohl eigentlich die Polizei genau dafür da ist. Denn die Polizisten benutzen dafür die von V-Leuten des Verfassungsschutzes gesammelten Informationen, welche notfalls vor Gericht als Beweismaterial vorgebracht werden. Das enttarnt natürlich die mühe­voll gewonnenen V-Leute. Wer möchte schon gern V-Mann sein, wenn er damit rechnen muß, in den nächsten zwei bis drei Jahren seinen Namen in der Presse zu lesen.

Im Niedersachsen des treuen SPD-Parteisoldaten und Innenministers Boris Pistorius mußte erst unlängst die von ihm installierte Leiterin des Verfassungsschutzes ihren Hut nehmen, weil durch behördliche Schlamperei die Namen von V-Leuten in der linksradikalen Szene durchsickerten.

Doch bleiben wir bei den V-Leuten. Häufig werden deren niedrige moralische Eigenschaften und deren kriminelle Vergangenheit kritisiert, gerade von der Linkspartei und den Grünen.

Doch leider würde uns selbst Papst Franziskus nichts nützen, gelänge es einem deutschen Verfassungsschutzorgan, ihn als V-Mann zu gewinnen. Zwar wäre er ein völlig honoriger V-Mann, nur hätte er leider weder Verbindung zu islamischen Terroristen noch zu deutschen Links- und Rechtsextremisten, wäre also völlig nutzlos. Der Verfassungsschutz muß folglich V-Leute gewinnen, die einen gewissen Einblick ins betreffende „Milieu“ haben und sich zu einer V-Mann-Tätigkeit entweder auf Grund vorheriger Straftaten erpressen lassen oder aber sehr geldgierig sind. Ob diese V-Leute nun wahrheitsgemäß berichten, ob sie die volle oder nur die halbe Wahrheit sagen beziehungsweise sich glaubhaft klingende Lügen ausdenken, das bleibt der Menschenkenntnis des betreffenden V-Mann-Führers und den Analysefähigkeiten der auswertenden Verfassungsschutzstellen überlassen.

Abhilfe würde hier eine bundesweit zentral geführte Polizeibehörde mit nachrichtendienstlichen Kompetenzen schaffen, welche eigenständig V-Leute in der Szene führt und daher kompetent entscheiden kann, wenn es notwendig wird, zum Zwecke der Strafverfolgung einen V-Mann zu „verbrennen“, während andere V-Leute am Beobachtungsobjekt „dranbleiben“. So funktionierte es übrigens völlig problemlos und effektiv zu Zeiten des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik. Man glaube hier nicht das alte Märchen von der Weimarer Republik, welche „auf dem rechten Auge blind“ gewesen sei. 1926 bis 1931 unterwanderte die Politische Polizei in Preußen sehr geschickt die sich als Polizei und Nachrichtendienst der NSDAP verstehenden „Schutzstaffeln“ (SS) und legte regelmäßig dem preußischen Innenminister deren geheime Grundsatzbefehle und sonstige Interna vor. Gestört wurde dieser Ablauf erst durch Durchstechereien aus dem preußischen Innenministerium an die Presse, woraus die Nationalsozialisten entnehmen konnten, wie gut die Politische Polizei über ihre Geheimnisse informiert war.

Doch kehren wir zum „Polizeibrief“ von 1949 zurück. Häufig wird dessen Forderung nach strikter Trennung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit auch mit dem Schlagwort „Gestapo“ begründet. Nur hat nicht die zentral geführte Politische Polizei der Weimarer Republik die Gestapo geschaffen, sondern die Ablösung der Weimarer Republik durch die nationalsozialistische Diktatur schuf die Voraussetzungen für die Gestapo. Im logischen Umkehrschluß kann also in einem demokratischen Rechtsstaat gar keine neue „Gestapo“ entstehen, selbst wenn dieser Staat über zentralisierte Polizeiorgane mit nachrichtendienstlicher Kompetenz verfügen sollte. Die Existenz des FBI in den USA und der „Special Branch“ von Scotland Yard in England beweisen das seit vielen Jahren.

Doch bewirkte der Polizeibrief von 1949 tatsächlich ein ins Grundgesetz eingegangenes Verbot für gemeinsames polizeiliches und nachrichtendienstliches Handeln? Man könnte sich hier schlicht auf den Standpunkt stellen und sagen: „Was interessiert uns der Polizeibrief von 1949, schließlich sind wir spätestens seit 1990 ein souveränes Land und können unsere Sicherheitsarchitektur so gestalten, wie wir es für nützlich und erfolgversprechend halten?“

Im Abwehrzentrum in Berlin, wo deutsche Geheimdienste und Polizeibehörden  Informationen zusammenführen, wird auf informellem Wege das „Trennungsgebot“ aus ganz praktischen Sicherheitsgründen schon jahrelang

unterlaufen. 

Doch ergibt der Blick in neue rechtswissenschaftliche Studien ganz Erstaunliches und läßt zumindest die Frage aufkommen, ob der Polizeibrief jemals so unbedingt rechtswirksam bindend für die Bundesrepublik gewesen ist. Oder ob er nicht, falls je rechtsbindend, seine Rechtswirksamkeit schon vor vielen Jahren verloren hat, folglich nur ein leerer Popanz ist, der dem Bürger beständig vor die Nase gehalten wird.

Jener Polizeibrief wurde im April 1949 von den drei alliierten Militärgouverneuren Lucius D. Clay, Brian H. Robertson und Pierre Koenig an den Parlamentarischen Rat über die „Polizeibefugnisse“ der künftigen Bundesregierung geschrieben. Darin heißt es unter Punkt 2: „Der Bundesregierung wird auch gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.“ Im nachfolgenden Punkt 3 wurde zusätzlich festgelegt: „… Keine Bundespolizeibehörde darf Befehlsgewalt über Landes- oder Ortspolizeibehörden besitzen.“

Daß letzterer Punkt sehr unpraktikabel ist, wer würde es bestreiten? Doch zeigt er die Wurzel des Problems. Die alliierten Besatzungsmächte waren sich 1949 der Entwicklung in der entstehenden Bundesrepublik noch nicht sicher und wollten deshalb aus sehr eigennützigen Motiven deren Sicherheitsbehörden präventiv einige Zähne ziehen. Daß man sich noch 70 Jahre später in der Bundesrepublik Deutschland sklavisch an diese Regelung halten würde, hätte Lucius D. Clay wahrscheinlich nie erwartet.

In diesem Sinne ist etwa die rechtswissenschaftliche Dissertation von Christoph Streiß (Universität Trier) mit dem Titel „Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten im Lichte aktueller Herausforderungen des Sicherheitsrechts“ (Frankfurt/M. 2011) zu bewerten. Darin kommt Streiß zu der erstaunlichen Erkenntnis, daß das „Trennungsgebot“ im Grundgesetz gar nicht verankert, sondern nur „einfachgesetzlich“ geregelt ist. Deshalb werde nun durch sukzessiven Erlaß neuer ländereigener Gesetze für die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz versucht, das „Trennungsgebot“ durch die Hintertür zur gesetzlichen Norm zu machen.

Hinzuzufügen wäre noch, daß durch das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) in Berlin-Treptow, wo die deutschen Geheimdienste und Polizeibehörden ihre einschlägigen Informationen zusammenführen, auf „informellem Wege“ jenes mythische Trennungsgebot aus ganz praktischen Sicherheitsgründen schon jahrelang unterlaufen wird. Werfen wir deshalb im Interesse der Sicherheit der deutschen Bürger das „Trennungsgebot von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit“ dorthin, wo es allerspätestens seit 1990 hingehört, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte.






Dr. Jürgen W. Schmidt, Jahrgang 1958, diente als Offizier in NVA und Bundeswehr. Nach dem Militärdienst promovierte er in Geschichte. Heute arbeitet er in einem Berliner Unternehmen. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der polnischen militärhistorischen Zeitschrift „Przeglad Historyczno-Wojskowy“ und verfaßte eine Reihe von Büchern zur Geheimdienstgeschichte, zuletzt „Spionage, Terror und Spezialeinsatzkräfte“ (Berlin 2019). Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den 22. Juni 1941 in der aktuellen russischen Militärgeschichtsforschung („24 Stunden“, JF 45/19).

Foto: Wissen viel über Feinde der Verfassungsordnung,  dürfen aber nichts tun – die deutschen Geheimdienste: Wir Deutsche sollten endlich unsere Sicherheitsarchitektur so gestalten, wie wir es für nützlich und erfolgversprechend halten