© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Historiker der Großmacht Deutsches Reich
Eine Spurensuche mit Tücken: Zur Biographie des jungen Andreas Hillgruber
Oliver Busch

Schon der Titel des Aufsatzes, der einem führenden westdeutschen Zeithistoriker gewidmet ist, läßt Schlimmes befürchten: „Der junge Andreas Hillgruber und die Last der (aller)jüngsten deutschen Vergangenheit“ (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 9/2019). Folglich wird kein Leser dieser Studie angenehm enttäuscht, da der Marburger Historiker Klaus-Peter Friedrich den Lebensweg Hillgrubers bis 1965 durch die Brille von Jürgen Habermas betrachtet, seinem giftigsten Feind während des „Historikerstreits“.

Immerhin beginnt Friedrich handwerklich solide mit dem drögen Referat seiner Archivfunde, die erstmals tiefere Einblicke in ostpreußische Prägungen des 1925 in Angerburg geborenen Lehrersohnes gewähren. Obwohl eine „künftige umfassende Biographie“ hierfür noch vieles zu leisten hätte, ergibt sich aus diesem Mosaik schon der Umriß eines klassischen Vater-Sohn-Konfliktes. Andreas Hillgruber senior, ein Nachfahre der 1732 in Ostpreußen aufgenommenen Salzburger protestantischen Glaubensflüchtlinge, fand nach Studium und Promotion in Königsberg als Studienrat sein Auskommen. Zwar haderte Hillgruber beruflich mit seinem Schicksal, wie der von Friedrich nicht erwähnte gescheiterte Versuch signalisiert, sich 1928 in Königsberg zu habilitieren. 

Er identifizierte sich aber als Liberaler politisch mit der Weimarer Republik. Was für ihn 1937, nachdem er den Beamteneid auf Adolf Hitler und die Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund verweigert hatte, die Zwangspensionierung bedeutete, verbunden mit sozialem Prestigeverlust und finanzieller Enge. Woraus der Sohn den frühen Tod der Mutter (1943) ableitete. Sein Vater habe aus Prinzipientreue „das Glück seiner Familie geopfert“, so grollte ihm Hillgruber junior noch über dessen schrecklichen Tod hinaus, der den 64jährigen Offizier 1946 in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Estland ereilte. 

Wie Friedrich nur vermutet, seien sich Vater und Sohn auch jenseits der Entlassungsfrage über die „richtige Haltung“ zum Nationalsozialismus uneins gewesen. Jedenfalls tat es, nach „derzeit zugänglichen Quellen“, weder der Königsberger Abiturient noch der seit 1943 an Ost- und Westfront kämpfende Soldat Hillgruber dem Vater gleich und widersprach „politischen Anforderungen“. Damit ist angedeutet, daß die mögliche NS-Nähe des jungen Hillgruber aus Opposition zum regimefeindlichen Vater erwuchs. Mehr noch: hier lägen die Wurzeln weltanschaulicher Präferenzen des demonstrativ 1969 – als mit der sozialliberalen Koalition wieder die Parteien des Vaters regierten – der CDU beigetretenen Historikers, der nach eigenem Bekenntnis „seit Jahrzehnten aus einer konservativen, allen ‘linken’ und sonstigen Weltverbesserung-Utopien gegenüber zutiefst mißtrauischen Grundhaltung nie ein Hehl gemacht“ habe. 

Von hier bis zu Hillgrubers Position im „Historikerstreit“ sei es nicht weit gewesen. Denn der von Habermas (mittels Zitatenfälschungen, was Friedrich verschweigt) skandalisierte und mit Ernst Noltes These vom Kausalnexus zwischen Gulag und Auschwitz kurzgeschlossene Essay über den „Zusammenbruch im Osten 1944/45“ („Zweierlei Untergang“, 1986) begreife sich allein aus biographischen Befangenheiten des allzu viel Verständnis für die „damalige Gefühlslage seiner Zeitgenossen“ aufbringenden Verfassers. 

Wie die meisten Angehörigen seiner Generation, habe Hillgruber die „persönliche Mitverantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus“ weder er- noch gar anerkennen wollen. Darum, so sekundiert Friedrich dem einstigen HJ-Führer Habermas, sei Hillgruber unfähig gewesen, den „Horizont der eigenen Lebensgeschichte“ zu überschreiten und sich von „Ressentiments seiner unreflektierten lebensgeschichtlichen Erfahrungen“ zu lösen.

Generationstypische Hitler-Fixierung

Ein Befund, der im krassen Widerspruch steht zu dem, was Friedrich über das Frühwerk des 1965 in Marburg mit Unterstützung von Peter Scheibert und Ernst Nolte habilitierten Oberstudiendirektors Hillgruber schreibt. Billigt er doch „Hitlers Strategie“, der Habilitationsschrift des Konservativen, zu, unter Noltes Einfluß erstmals den Rußlandfeldzug in seinen völkermörderischen Konturen als „rassenideologischen Vernichtungskrieg“ präsentiert und damit die Interpretation antizipiert zu haben, die seit den 1990ern als vermeintlich „progressiv“ den öffentlichen Gebrauch der Geschichte dominieren.

Darüber hinaus verschenkt Friedrich aber die eigentliche, auch ihrem Urheber verborgen gebliebene Pointe von Habermas’ Vorwurf der zur Zeitgeschichte geronnenen „unreflektierten“ Lebensgeschichte Hillgrubers. Sie steckt im zitierten Habilitationsgutachten Wolfgang Abendroths. Die Untersuchung, so die Kritik des marxistischen Politologen, reduziere „Hitlers Strategie“ auf dessen „Psychologie“ und ignoriere „reale politisch-soziale“ Faktoren in historischen Prozessen. 

Das entspricht exakt dem generationstypischen „Hitler-fixierten Intentionalismus“ (Frank Bajohr, 2017) bundesdeutscher Zeitgeschichtsforschung um 1970, der bei Hillgruber, dem „Historiker der Großmacht Deutsches Reich“ (Günter Wollstein), in die gerade Kritikern wie Habermas am wenigsten revisionsbedürftige idée fixe von „Hitlers Stufenplan zur Weltherrschaft“ und in den Glauben an dessen „Alleinschuld“ an der „Entfesselung“ des Zweiten Weltkriegs mündete.