© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Wir sind dann mal weg
Agrarpolitik: Deutschlands Bauern plagen Existenzängste / CDU bekommt Unmut zu spüren
Christian Vollradt

Könn’ wa mal auf den Trecker rauf?“ Drei Schüler stehen mit leuchtenden Augen in der Halle 3.2 auf dem Berliner Messegelände. In der Hauptstadt ist Grüne Woche und hier auf dem sogenannten Erlebnisbauernhof dreht sich alles um die moderne Landwirtschaft und ihre Produkte. Getreidesorten und ihre Verarbeitung kann man hier kennenlernen, sich aber auch über Imkerei, landwirtschaftliche Praktika im Ausland oder Jagdrecht informieren. Unter einer Wärmelampe hinter Plexiglas tippeln flauschige gelbe Küken umher, nebendran stehen drei Kälbchen in einer Box – „wie süüüüüüß!“ schallt es mehr als einmal durch den Raum. 

Doch die drei Jungs sind besonders fasziniert von der Technik. „Na klar“ beantwortet der zuständige Standbetreuer ihre Frage und läßt sie die Trittleiter in die Fahrerkabine emporklettern; nicht ohne ein augenzwinkerndes Lachen, denn der vermeintliche Trecker ist gar keiner, sondern ein Maishäcksler. 

Landwirtschaft, das ist mittlerweile für die meisten Deutschen eine große Unbekannte. Tagtäglich konsumiert man ihre Produkte, in der Regel eher unbewußt. Doch das Wie ihrer Herstellung, die Arbeit der Bauern kennt lediglich eine Minderheit der Verbraucher aus eigener Anschauung.

Auch während der zehntägigen Internationalen Grünen Woche in Berlin, die noch bis Sonntag andauert, zieht es die meisten erwachsenen Besucher zu den Ständen, die zum Schlemmen einladen. Von Armenien bis Vietnam kann man es im Menschenstrom durch die Gänge schaffen und Spezialitäten wie Elch-Burger oder Cannabis-Bier probieren. Auch die Bundesländer präsentieren vor allem ihre kulinarische Vielfalt. 

Nur fünf U-Bahnstationen entfernt bietet sich ein anderes Bild. Der Wind pfeift eisig über die Straße des 17. Juni. Vor der Technischen Universität sammeln sich am Freitag vergangener Woche wieder Bauern, um erneut mit einer Traktoren-Sternfahrt gegen die Agrarpolitik von Bundesregierung und EU zu demonstrieren. Nicht so viele wie im November vergangenen Jahres sind es diesmal, doch das liegt vor allem an der dezentralen Mobilisierung. Denn die bäuerliche Basisbewegung „Land schafft Verbindung“ hat in mehreren deutschen Städten gleichzeitig Kundgebungen organisiert, um den Teilnehmern zu weite Anreisewege zu ersparen. Zwischen 800 und 1.000 Traktoren waren es in der Hauptsadt, rund 2.500 Landwirte kamen in Hannover zusammen, 4.500 gingen in Bremen auf die Straße. Aber auch in Nürnberg, Dresden, Mainz und Kiel demonstrierten Bauern. 

„Sie säen nicht, sie ernten nicht, doch wissen alles besser“ ist eine Formulierung, die man als Vorwurf Richtung Politik, Medien und Nichtregierungsorganisationen häufig hört. Man sperre sich nicht gegen Veränderungen oder Umweltauflagen, doch müßten die Bauern mitreden können. Und: „Wir brauchen Planungssicherheit“, das ist eine Kernforderung. Wenn ständig die Rahmenbedingungen von der Politik geändert würden, könne kein Bauer mehr die Investitionen wieder reinholen. 

Einer der Hauptkritikpunkte ist die geplante Verschärfung der Düngeverordnung. In den sogenannnten roten Gebieten mit erhöhten Nitratwerten im (Oberflächen-)wasser müsse die Düngung pauschal um 20 Prozent reduziert werden. Das führe zu Unterdüngung, die Pflanzen „verhungerten“ quasi, so der Vorwurf der Praktiker. Das A und O sei das Meßstellennetz. Bereits vor drei Jahren hatten Kritiker anhand des Nitratberichts moniert, daß das deutsche Netz verglichen mit anderen EU-Staaten alles andere als repräsentativ sei. Das kleine Österreich habe pro einer Million Einwohner 225 Meßstellen, Deutschland dagegen bloß 8,6. 

Die Strafzahlungen, die die EU den Deutschen androht, seien demnach auch Folge einer abweichenden Meßpraxis, nicht einer pauschal schlechteren Wasserqualität. Während Deutschland nur die problematischen Gebiete als Grundlage ausgewählt hat, haben andere Staaten sich nicht darauf beschränkt. „Das ist so, als würde man sich bei der Bestimmung der Analphabeten-Quote in Deutschland auf Sonderschulen beschränken, während andere Länder auch die Universitäten mit einschließen“, meint ein Landwirt. „Dann wäre die Situation bei uns auch dramatischer, während bei den anderen nur ein viel kleinerer Anteil nicht lesen oder schreiben könnte.“

Wie lange man das noch durchhalte, fragt sich indes mancher Berufkollege besorgt. Anders als etwa die NGOs wie „Campact“, die einen Tag nach den Bauernprotesten im Regierungviertel unter dem Motto „Wir haben es satt“ für eine „Agrarwende“ demonstrierten, sind die Leute von „Land schafft Verbindung“ keine Demo-Profis. Spätestens wenn die Erntezeit näher rückt, werden die Landmaschinen auf den Äckern benötigt, dann hat sich das Kolonne-Fahren in die Städte zumindest für eine Zeit erledigt. „Wir machen auf jeden Fall weiter“, bekräftig Mitorganisatorin Johanna Mandelkow im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Die Agrarpolitik müsse praktikable Lösungen bieten, fordert die junge Bäuerin aus Brandenburg.  

Haben die Proteste denn schon etwas bewirkt? Bei vielen, mit denen man spricht, überwiegt die Skepsis. Daß Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) umsteuern und auf Konfrontationskurs zur Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD) vom Umweltministerium gehen könnte, halten viele für unwahrscheinlich. Klöckner greift rhetorisch geschickt einzelne Bedenken der Branche auf und warnt vor „Bullerbü“-Vorstellungen und einem „Zurück“ in vormoderne Zeiten. Doch echte, greifbare Zugeständnisse? Fehlanzeige. Die Politikerin wolle es allen recht machen und es sich mit keinem verscherzen, das sei ihr Problem, so ein Insider aus dem Ministerium. Doch so ganz spurlos seien die Proteste nicht geblieben. Im Agrarland Niedersachsen beispielsweise gebe es kaum eine Ministervisite, die ohne eine bäuerliche Begleitmusik auskomme. Und mittlerweile scheren zumindest die Landesregierungen in Hannover, Mainz und München schon aus und opponieren gegen die Pläne zur Düngeverordnung.

Lernen durch Schmerzen ist als „schwarze Pädagogik“ verpönt, in der Politik wirkt es. Und so schmerzt die Schwarzen in den ländlichen Regionen und insbesondere im Agrarland Niedersachsen, daß ihnen die Bauern abhanden kommen. Und damit Wähler – was zahlenmäßig nicht mehr allzu stark ins Gewicht fallen mag – vor allem aber auch als engagierte Mitglieder und ehrenamtliche Kommunalpolitiker in den Dörfern. „Ja, wir haben Kündigungen von Landwirten und großes Unverständnis – und vor allen Dingen verlieren wir die jungen Landwirte“, beklagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher. Die Bundestagsabgeordnete kommt aus dem agrarisch geprägten Wahlkreis Cloppenburg-Vechta.  

Die Angst geht um, daß davon andere Mitbewerber profitieren könnten. Da ist zum einen die FDP; vor allem aber die AfD, deren Positionen nahezu deckungsgleich mit denen der protestierenden Landwirte sind. „Die schlechte Stimmung in der Landwirtschaft müssen wir ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sonst laufen wir Gefahr, einen Teil der Bäuerinnen und Bauern an die Hetzer des rechten Randes zu verlieren“, ereiferte sich denn auch der Grünen-Politiker Friedrich Ostendorff im Bundestag. 

Den Vorwurf, man diene sich aus politischem Opportunismus und auf Wählerfang den unzufriedenen Bauern an, läßt Stephan Protschka, landwirtchaftspolitischer Sprecher der AfD im Bundestag, nicht gelten. „Wir orientieren uns an den wissenschaftlichen Fakten“, betont der Abgeordnete aus Niederbayern. Deswegen sei man etwa gegen die weiteren Verschärfungen der Dünge-Verordnung. Das möge man für „langweilige bürgerliche Politik halten, aber Politik, die nur auf Emotionen ziele, „das machen ja schon alle anderen Fraktionen im Bundestag“. Im Blick habe seine Partei vor allem die mittelständischen Familienbetriebe. „Mir sind zehn Bauern in einem Dorf lieber als ein Bauer, dessen Flächen sich über zehn Dörfer erstrecken.“ 

Daß Protschka trotz einer vorherigen schriftlichen Einladung dann doch nicht bei der Kundgebung auf der Bühne von „Land schafft Verbindung“ in Berlin reden durfte – anders als etwa seine Oppositionskollegen von FDP oder Linkspartei, nimmt Protschka den Organisatoren nicht übel. „Da gibt’s eine Menge Druck von außen“, ist er sich sicher. „Von den Bauern an der Basis bekommen wir viel Zustimmung“, sagte er im Gespräch mit der jungen freiheit. 

Ergänzend zu den bundesweiten Protestkonvois und Sternfahrten der großen Schlepper demonstrierte quasi der landwirtschaftliche Nachwuchs am vergangenen Samstag in der Innenstadt von Braunschweig mit einer „Trampeltrecker“-Rundfahrt. Zahlreiche Bauernfamilien waren auf Initiative des örtlichen Landvolkverbands mit ihren Kindern in die Fußgängerzone gekommen. Und die Kleinen hatten an den Trettreckern Protestschilder angebracht: „Ich will auch noch Landwirt werden!“ stand da, „Kleiner Bauer sucht Zukunft“ oder „Ich weiß, daß die Eier nicht vom Osterhasen kommen“. Die Aktion en miniature – zum Schmunzeln von der Machart her, aber mit durchaus ernsthaftem Hintergrund – kam bei vielen Passanten erkennbar gut an.