© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Die Angst fährt immer mit
Aus dem krassen Alltag von Rettungsdiensten und Feuerwehr: Einblicke in die realexistierende Ego-Gesellschaft
Martina Meckelein / Hermann Rössler / Christian Rudolf

Sie kommen, um zu helfen, zu retten, zu löschen, zu bergen und zu schützen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, wann immer sie gebraucht werden. Doch sie werden beschimpft, beleidigt, behindert, bespuckt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen. Sie erleben Routineeinsätze, die blitzschnell eskalieren, rücksichtslose Gaffer an Unfallstellen und eine schrankenlose Erwartungshaltung gegenüber dem Einsatzpersonal – Alltag von Rettungskräften, Notärzten und Feuerwehrmännern in Deutschland.

Fälle aus der Praxis, die die JF von Menschen erfuhr, die jeden Tag für das Gemeinwohl im Einsatz sind. Geschildert unter der Bedingung, den Namen nicht in die Zeitung zu bringen. Aus begründeter Furcht vor beruflichen Nachteilen.

„Viele meiner Kollegen sind dazu übergegangen, zum Eigenschutz hieb- und stichfeste Westen, Pfefferspray und schnitt- und bißfeste Handschuhe zu besorgen. Auf eigene Kosten.“ Nathan Sch. (*) ist Notfallsanitäter in Göttingen und Umgebung. „Von der Führung werden die Utensilien aber nicht gern gesehen, mitunter auch verboten. Weil das Bild des freundlichen, lieben Helfers dann nicht mehr stimmt.“ Der Mittzwanziger ist seit fünf Jahren im Rettungsdienst. Angriffs- und Bedrohungssituationen im Dienst hat er schon erlebt. „Wir werden nachts gerufen in einen dunklen Garten zu einem Mann, der schwer unter Drogen steht. In einer Gartenhütte geht der Patient dann urplötzlich auf meinen Kollegen los. Mit Gewalt mußten wir ihn zu Boden bringen und mit unserem Körpergewicht fixieren. Zum Glück hatte ich gerade vorher ein Selbstverteidigungstraining gemacht. Die Polizei kam erst nach zehn Minuten.“

Über solche und ähnliche Fälle tauschen sich die Kollegen aus, auf Einsatzfahrten, bei Fortbildungen. „Nur wenigen Kollegen ist noch nichts passiert“, weiß Sch. Als berüchtigt gilt der Hochhauskomplex Groner Landstraße 9 am Hauptbahnhof. Ein Brennpunkt mit Einwanderern vom Balkan und dem Nahen Osten, die Feuerwehr rückt im Wochentakt dorthin aus. „In der Ausbildung bekommen wir beigebracht, wie man am besten mit arabischer Klientel umgeht“, berichtet der Notfallsanitäter. „Wenn wir wegen einer Frau gerufen werden und in eine Wohnung reingehen, müssen wir erst herausfinden, wer unter den vielen Männern das Familienoberhaupt ist. Sich der Patientin zu nähern und ihr, etwa bei Verdacht auf Herzinfarkt, den Oberkörper freizumachen, ist ohne dessen ausdrückliche Zustimmung gefährlich für uns.“ Einer seiner Kollegen wurde in solch einer Situation vom Ehemann einer Patientin mit dem Messer attackiert.

Markus Z. (*) versieht seinen Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr in einer Kleinstadt westlich von Ulm. Mit 13 trat er in die Jugendfeuerwehr ein. „Wir hatten schon extra Schulungen, wie man mit kulturell bedingten Schwierigkeiten bestmöglich umgeht.“ Aber ein Fall aus der Praxis läßt alle Theorie grau aussehen. Ein Verkehrsunfall mit im Pkw eingeklemmter Person. „Die junge Frau ist bewußtlos. Ich also Türen auf und mit Schneidbrenner aus dem Auto ein Cabrio gemacht.“ Sanitäter legen die aus dem Wrack Befreite auf die Straße, sie muß reanimiert werden. „Die Kollegen schneiden die Kleidung auf, Pullover, Bluse, BH, alles, um die lebensrettenden Maßnahmen einzuleiten, da zählt jede Sekunde.“

Bespuckt, bedroht, als Taxi mißbraucht

Dem Aussehen nach hat die Fahrerin einen moslemischen Hintergrund. „Es hat nicht lange gedauert, da war die Familie da. Mit einem Mal hebt ein Mords-Halligalli an.“ Ein Mann, offenbar der große Bruder des Unfallopfers, schreit herum, geht auf die Sanitäter los, die sich um die Verletzte bemühen, will sie zur Seite schubsen, droht. „Man durfte sich dann so liebevolle Worte anhören wie ‘Nazischweine’!“, schildert der erfahrene Feuerwehrmann die brenzlige Situation. Zwei Kollegen hielten den aufgebrachten Mann in Schach, bis Polizei eintraf. „Die haben den erst mal mehr oder weniger festgenommen.“

„Verbale Bedrohung ist als normal zu bezeichnen“, faßt Christian U. (*) seinen Alltag knapp zusammen. Seit mehreren Jahren arbeitet U. bei der Berufsfeuerwehr Hannover und im Rettungsdienst und hat schon so ziemlich alles erlebt. Zu seiner „Stammkundschaft“ zählen nicht nur Flüchtlinge aus Nahost, sondern auch Albaner, Weißrussen und weitere Osteuropäer. „Sich bespucken zu lassen ist mittlerweile keine Seltenheit mehr, Androhung von Gewalt ist ebenso Tagesgeschäft.“ Erst im Herbst war so ein Fall: Sie werden zu einem Mann gerufen, der randalierte. „Der war gar nicht mehr zu bändigen, der spuckte und schlug um sich. Wir mußten den auf einer Trage fixieren, zur Eigensicherung. Der schrie die ganze Zeit nur ‘I will kill you, I will kill you!’ Nichts anderes.“ Auf der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses erinnerten sich die Ärzte an den afrikanischen Asylbewerber. Nachforschungen der Polizei ergaben, daß es mit dem Mann just immer dann zum Problem kam, wenn dieser kurz vor der Abschiebung stand.

Respekt gegenüber Rettungskräften gebe es mittlerweile nur noch vereinzelt. Und daß Notärzte für Notfälle da sind, wird längst nicht mehr überall so gesehen. „110 zu wählen, da gibt es für manche keine Hemmschwelle mehr. Wir fühlen uns echt als Taxiunternehmen mißbraucht.“ Man könne nicht verallgemeinern, doch bei Familien mit türkischem Migrationshintergrund stellt U. ein „extrem hohes Anspruchsdenken“ fest: Diese riefen „wegen jeder Kleinigkeit den Rettungsdienst an, bei Husten, Durchfall, Erkältung“. Am Telefon würde eine dramatische Schilderung gegeben, und vor Ort stelle der Notarzt fest, daß aus medizinischer Sicht die Anfahrt nicht gerechtfertigt war, der Patient hätte selbst den Hausarzt aufsuchen können.

„Aber wir müssen jedem Notruf nachgehen und hinfahren. Wenn wir jemanden nicht mitnehmen wollen, weil unnötig, insistiert die Familie, da wird es auch schon mal laut.“ Als Sanitäter sieht U. sich und seine Kollegen zwischen Baum und Borke. „Da werden von denjenigen dann Beschwerden über uns bei der Stadt eingelegt, und wir kriegen von der Leitung auf den Deckel.“

Der Feuerwehrmann resigniert: „Wenn die Regierung Willkommenskultur preist und einfordert, dann kann ich nur sagen: Frau Merkel sollte einfach mal zwei, drei Tage bei uns auf dem Rettungswagen mitfahren.“

Für Sven N. (*) ist es „schleierhaft, warum man sich gegen Menschen wendet, die einem helfen möchten“. Als Notfallsanitäter bei einem Rettungsdienst in Bremen ist er schon oft in Situationen geraten, in denen die Luft brennt: Es beginne mit Beleidigungen, gehe über Drohungen, über leichtes körperliches Angehen wie Schubsen oder Zurückhalten bis hin zu einem Angriff. „Letzteres mußte ich zum Glück noch nicht erleben. Aber Kollegen, die den Beruf schon länger ausüben, berichten mir davon, daß Messer gezückt wurden oder auch Schußwaffen.“ Immer wieder stünden sie vor der Herausforderung, Situationen zu deeskalieren – „um nicht selbst in die Patientenrolle zu rutschen“. Seit 2016 ist der 23jährige schon dabei.

Wen auch immer die JF befragt hat: Alle berichten durch die Bank weg davon, daß der Respekt gegenüber Rettungskräften und den Anordnungen, die sie treffen müssen, stark abgenommen hat, in Großstädten wie auch in ländlichen Regionen. Davon weiß auch Maximilian Brandl ein Lied zu singen. Der 26 Jahre alte Landwirt dient bei der Freiwilligen Feuerwehr Salzweg und ist bei Unfällen und Verkehrsumleitungen im Landkreis Passau „oft vorne dran“, wie er sagt. Gewalt ist ihm persönlich noch nicht widerfahren, doch „es war schon mal Gesprächsthema, und wir sind schon auch besorgt“. Vor zwei Jahren wurden stichfeste Schutzwesten angeschafft.

 Die Hemmschwelle für Gewalt ist gesunken

An einen Fall krasser Rücksichtslosigkeit erinnert er sich noch deutlich. „Unlängst ein Unfall, wir sperren die Bundesstraße entlang der Donau, stellen dafür das Löschfahrzeug quer auf die Fahrbahn und leiten den Verkehr aus.“ Ein Warndreieck auf die Fahrbahn, Kegel dazu. Routine. Plötzlich kommt ein Auto angerauscht, fährt trotz ersichtlicher Sperrung in die Lücke zwischen Leitplanke und Einsatzwagen, schlängelt sich durch: „Um ein Haar hätten die einen Kameraden erfaßt!“, und seine Stimme spiegelt noch die Fassungslosigkeit. „Dabei stehen wir da mit Blaulicht!“ Daß Rettungsgassen nachlässig gebildet werden, daß Autofahrer an Unfallstellen anhalten, um „gaffen“ zu können – für Brandl Alltag.

„Du stehst bei Veranstaltungen sechs, acht Stunden und wirst dann noch beschimpft. Das gibt einen bitteren Beigeschmack.“ In 15 Jahren als Leiter einer Freiwilligen Feuerwehr in Ostthüringen hat Frank K. die Erfahrung gemacht: „Das gegenseitige Miteinander hat nachgelassen.“ 

Nicht anders im schwäbischen Landkreis Donau-Ries. „Eine Feuerwehr zwei Orte weiter hatte einen Einsatz bei einem Motorradunfall und mußte ausgerechnet die gesamte Zufahrt zum Wertstoffhof absperren. Auf dem Land ist am Samstag vormittag auf dem Wertstoffhof Hochzeit“, erzählt Peter O. (*) aus Rain/Lech. „Die ankommenden Autofahrer waren extrem erbost und unwillig, weil sie ihr Zeug nicht erledigen konnten. Alles andere war uninteressant. Sehr unangenehm für die Feuerwehrmänner an der Absperrung, die sich in ihrer Freizeit am Samstag beschimpfen lassen mußten“, resümiert der Mittzwanziger diese Erfahrung, die pars pro toto für die realexistierende Ego-Gesellschaft steht.

„Angriffe auf Helfer gab es schon immer, aber sie wurden lange nicht gemeldet“, faßt der Thüringer Landesvorsitzende der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft, Oberbrandmeister Andreas Kacsur, zusammen. „Das liegt daran, daß die Kollegen nicht als Opfer dastehen wollten.“ Der Gewerkschafter weiß, wovon er spricht. Kacsur ist stellvertretender Wachabteilungsführer bei der Berufsfeuerwehr in Mühlhausen, der er seit elf Jahren angehört. „Es ist ohne Frage zu konstatieren, daß heute die Hemmschwelle niedriger geworden ist, Kollegen anzugreifen.“

Doch es geht nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität der Gewalt. „Gab es früher meist verbale Angriffe, wird heute verstärkt körperliche Gewalt in Form von Tritten, Schlägen bis hin zur Benutzung von Gegenständen ausgeübt“, so Kacsur. Dadurch, daß Retter mit Gewalt im Einsatz rechnen müßten, gebe es Probleme, die Qualitätsstandards zu halten. „Wenn ich mich nicht mehr hundertprozentig auf meine Arbeit konzentrieren kann, kann ich dem Bürger auch nicht die bestmögliche Hilfe zuteil werden lassen.“

Gewalt, Pöbeln, Gaffen – diese Phänomene beträfen die breite Masse, unabhängig von der Nationalität oder dem Geschlecht, so Andreas Kacsur.

Vor dem Hintergrund der Gewaltspirale gegen Retter begrüßt die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft die Gesetzgebung zum Schutz der Einsatzkräfte. Die Änderung des Paragraphen 114 StGB aus dem Jahr 2017 sieht Strafverschärfungen von bis zu fünf Jahren Haft bei Angriffen auf Polizisten, Sanitäter und Rettungskräfte vor. „Die Anhebung der Strafen ist ein guter Zug“, sagt Kacsur, „nur muß das auch vor Gericht umgesetzt werden.“

Foto: Erst gegafft und Rettung behindert, dann handgreiflich gegen die Einsatzmannschaft geworden (hier im niedersächsichen Bremervörde): An vorderster Front in einem mehr und mehr fragmentierten Gemeinwesen