© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Vor dem von Anywheres bewohnten linksalternativen Hausprojekt „ausland“, die dort durch eine Laune linker Senatsgeschichte vor Jahrzehnten zu Wohnungseigentümern mutierten, diskutieren drei dieser Bewohner auf dem Gehweg, nachdem sie – wie dort üblich – ihren Zivilisationsmüll (Bücher, CDs, Videos, Klamotten und Spiele) auf den vorgelagerten Sitzbänken ausgelegt haben: „Wen, sagst du, sollen wir unterstützen?“ – „Na, die Leute, die zu Hause sitzen und arbeitslos sind – und die keinen Müll produzieren.“ Darauf lachen alle drei und trollen sich, auf dem Weg zu ihrem Tagwerk. Seit Jahren schon prangt an der Hauswand dieses dunkelblau gefärbten Altbaus in großen Buchstaben der so typisch systemkritisch wie originell wirkende Spruch: „Das HAMSTERRAD / sieht von innen aus / wie eine / KARRIERELEITER.“ Doch so gelassen, wie die linken Wohnungseigentümer des Hauses sich glauben machen wollen, sind sie dann doch nicht: Als ein Passant mit seiner Ikea-Tasche die dort zum Mitnehmen ausgelegten Fachbücher an sich nimmt und zum Wiederverkaufswert mit der App seines Smartphones scannt, dreht sich ein Bewohner des Hauses, der gerade an den Mülltonnen hantiert, empört um: Das gehe so überhaupt nicht, die Bücher seien nur für Leute, die sich dafür interessieren. Darauf der Angesprochene provokant: Na, er interessiere sich ja dafür, um schließlich entschuldigend anzufügen: Er sei ja von der Gentrifizierung selbst betroffen und könne nur über diese Zuverdienste seine rasant steigende Miete noch bezahlen. Darauf entgegnet der griesgrämige Typ der linken Hauseigentümerschaft: „Nein, Gentrifizierung gibt es nur wegen solchen Leuten wie dir!“ Als der angesprochene Passant darauf libertäre Weisheiten zu den kontraproduktiven Wirkungen linker Gesellschaftspolitik wie „Mietpreisspiegel“ oder „Mietpreisbremse“ erläutern will, fällt ihm der Giftzwerg an der Mülltonne ins Wort: „Du bist ein Faschist, du bist ein Faschist!“ Erstaunlich ruhig entgegnet darauf der Passant: „Sie können froh sein, daß ich Sie nicht so rasch einsortiere wie Sie es mit anderen Menschen tun.“


Währenddessen versuche ich die Propaganda im Frühprogramm des Deutschlandfunks, den „Desinformationen am Morgen“, in Zweizeilern zu bändigen, etwa: „Zog man früher los mit dem Spaten / Verkauft man heute seine Daten.“ Oder: „Kommt Linken plötzlich in die Quere / Die fehlende Vermögensschere.“ Und vor allem: „Ein Datum, das ich gar nicht mag / In Deutschland der Weltflüchtlingstag.“