© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Präzise Klimazeugen
Was Jahresringe alter Bäume alles verraten können / Differenzierte Antworten auf komplizierte Fragen
Christoph Keller

Die Universität Hohenheim verfügt, wie Alexander Land von der Forschungsgruppe Dendrochronologie/ -klimatologie mit Stolz betont, über die „längste Jahresringserie der Welt“. Sie erlaube die Rekonstruktion der Klimageschichte seit der letzten Eiszeit. Über 10.000 Jahre des Holozäns dokumentiere sie den Niederschlag während der Wachstumsperiode der Bäume.

Wie es möglich ist, Bäume als präzise Zeit- und Klimazeugen, als „stille Chronographen“, zu befragen, veranschaulicht Desiree Karge, die US-Korrespondentin vom Bild der Wissenschaft (11/19), indes nicht im Hohenheimer Jahresringarchiv, sondern in den Kellerräumen des Laboratory of Tree Ring Research (LTRR) der Universität von Arizona in Tucson. Dort lagern 750.000 Holzproben, die LTRR-Direktor David Frank für „wertvoller als Gold“ hält.

Deren älteste stammt von einer 5.000 Jahre alten Borstenkiefer aus dem Great Basin National Park in Nevada. Die Methode, in der Archäologie, Geologie, Klimatologie oder Ökologie Jahresringe zu analysieren, vom LTRR-Gründer Andrew Ellicott Douglass in den1930ern perfektioniert, ist einfach. Sie stützt sich auf die Funktionsweise des primären, einen dünnen Zylinder aus Zellen bildenden Lebendgewebes (Kambium) hinter der Baumrinde.

Interessante „Feuernarben“ zwischen 1571 und 2015

Während der Wachstumsperiode produziert es Kambiumzellen für die eigene Vergrößerung, Bastzellen in Richtung Stammaußenseite und Holzzellen mit Richtung ins Stammesinnere. Die Zellen wachsen nicht gleichmäßig. So entstehen im Frühjahr größere, hellere und dünnwandigere Zellen des „Frühholzes“, die es dem Baum erlauben, mehr Wasser zu transportieren, während er im Spätsommer und Herbst kleinere, dickere und dunklere Zellen bildet. Dieser Hell-Dunkel-Kontrast erzeugt optisch die Grenzen zwischen Früh- und Spätholz, aus denen im Querschnitt die Jahresringe resultieren, wie etwa die 600 feinen Ringe der nordsibirischen Lärche mit 25 Zentimeter Stammdurchmesser.

Bei Lärchen ist ein Schädlingsfall denn auch gut an ihren Ringen abzulesen. Frißt ein Käfer wie der Lärchenwickler Nadeln an, ist der Baum nur noch eingeschränkt zur Photosynthese fähig und stellt weniger Zucker her, die energetische Grundlage des Holzes, das bei diesem „Sparbetrieb“ eine hellere Tönung bekommt. Ähnlich wie Schädlinge hinterlassen Waldbrände, Vulkanausbrüche, Trocken- oder Nässeperioden markante Spuren an Jahresringen. So dokumentiert Franks Labor an Baumscheiben aus der Sierra Nevada ein breites Spektrum von „Feuernarben“ zwischen 1571 und 2015. Daraus sei die Regel abzuleiten, daß auf trockene Winter stets häufigere und größere Waldbrände im Sommer folgten. Dieses Muster schwächte sich seit 1904 ab und verschwand 1977. Was jedoch nicht allein aufs Konto des Klimawandels gehe. Vielmehr seien Verwüstungen wie 2018, als im nordkalifornischen Paradise 60.000 Hektar Wald und 130.000 Häuser in Flammen aufgingen, auch „einem jahrzehntelangen Feuer-Mißmanagement“ geschuldet, das das vermutlich kontraproduktive Unterdrücken von Waldbränden favorisierte.

Ebenso differenzierte Aussagen sind von den Baumzeugen zu erwarten, je weiter die Untersuchungen zum Einfluß des CO2 auf Photosynthese und Baumwachstum in Tucson voranschreiten. Simple Antworten auf komplexe Fragen, wie sie infantile „Klimaretter“ jeden Alters bevorzugen, geben die „Baumzeugen“ jedenfalls nicht.

 ltrr.arizona.edu

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