© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Einstieg in die Kohle
Kriminalität: Banküberfall war gestern, heute wird gesprengt / Tätergruppe stammt aus Marokko / Geldkassetten nun besser geschützt
Ronald Berthold

Ein maskierter Mann betritt den Schalterraum, zückt eine Schußwaffe und ruft: „Hände hoch! Überfall!“ Szenen wie diese spielen sich bei einem Bankraub von heute kaum noch ab. Nur 60mal in ganz Deutschland versuchten Ganoven 2018, mit dem Krimi-Klassiker an Bares zu kommen. 15 Jahre zuvor hatte es noch 767 Überfälle auf Geldinstitute gegeben. Doch Entwarnung bedeutet dieser Rückgang um mehr als 90 Prozent nicht. Denn dafür fliegen in Deutschland reihenweise Geldautomaten in die Luft. 2019 attackierten Gangster nach vorläufigen Zahlen 326 Geräte mit explosivem Gas und anderen Sprengstoffen. Und dabei machten sie reiche Beute.

Die Zahl dieser Verbrechen stagniert damit auf hohem Niveau, seit das Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr zuvor mit 369 Sprengungen und erbeuteten 18 Millionen Euro einen neuen Rekord registrierte. Die durch die Explosionen angerichteten Sachschäden liegen noch deutlich höher, das BKA schätzt sie auf 50 Millionen Euro. 2017 hatte die Zahl der versuchten und erfolgreichen Sprengungen von EC-Automaten noch bei 268 gelegen. Ob die Beamten für das vergangene Jahr jedoch tatsächlich einen Rückgang verzeichnen können, ist noch offen. Denn die Zahlen, über die die FAZ berichtet, sind vorläufiger Natur. Nicht selten geben die 16 Landeskriminalämter solche Fälle mit Verzögerung an die Bundesbehörde weiter.

Die Pressestellen der Polizei vermelden die Verbrechen dagegen zeitnah. Und daher ist bekannt, mit welch exakter Planung und hochkrimineller Energie die Verbrecher zuweilen vorgehen. So ärgerten sich die Polizisten im hessischen Kelkheim zunächst darüber, daß Unbekannte die Reifen ihrer Streifenwagen zerstochen hatten. Als dann auch noch ein Auto die Einfahrt zum Hof der Polizeiwache blockierte, war das für die Kleinstadt bereits ein ziemlicher Aufreger. Doch damit nicht genug: Der vor dem Revier abgestellte Wagen ging kurz darauf in Flammen auf, und es stellte sich heraus, daß er gestohlen worden war.

Als die Beamten vermutlich noch darüber nachdachten, von diesem Spektakel ihren Enkeln erzählen zu können, geschah das eigentliche Verbrechen: Ein mächtiger Knall erschütterte Kelkheim. Der Geldautomat in der örtlichen Bank war explodiert. Auch wenn die Vorbereitungen, die die Polizei am Ausrücken hindern sollten, auf ein von Profis begangenes Verbrechen hindeuteten, verließ die Gangster im entscheidenden Moment ihr Glück: Das Gerät war zwar stark beschädigt, aber nicht so erheblich, daß die Täter die Geldkassette entnehmen konnten. Sie flohen in ihrem dunklen BMW zwar unerkannt, aber auch ohne Beute.

Die Vorgehensweise ist keineswegs untypisch. Das BKA registriert viele Fälle, in denen örtliche Polizisten erst einmal „regelrechte Barrikaden“ aus dem Weg räumen müssen, um zum Tatort zu gelangen. Offenbar teilen sich die Täter in zwei Gruppen: Eine ist für den SB-Bereich der Bankfiliale zuständig, die andere „kümmert“ sich um die Polizei.

Die Täter scheitern dabei nicht nur wie in Kelkheim an nicht zielführenden Sprengungen, sondern auch daran, daß der Automat überhaupt nicht explodiert. Laut BKA-Lagebild für 2018 blieb es in 129 von 369 Fällen beim Versuch, weil sich der Sprengstoff nicht entzündete. Insgesamt gelangten die Verbrecher sogar nur 137mal tatsächlich ans Bargeld – die Quote liegt aus ihrer Sicht also lediglich bei 37 Prozent. Hauptgrund: Die Banken haben inzwischen mit besonderem Schutz der Geldkassetten auf die zahlreichen Sprengungen reagiert. Diese Prävention zeigt – so meint das BKA – inzwischen Erfolg. Außerdem lösen die Automaten ohrenbetäubenden Alarm aus und versprühen zum Teil dichten Nebel, damit die Täter nichts mehr sehen können.

Ausschließlich für die Tat nach Deutschland 

Die Räuber sind in den meisten Fällen keine Deutschen. Das BKA sagt, es handele sich vorwiegend um Niederländer. Doch wie irreführend diese Nationalitätenbezeichnung ist, machte der aufsehenerregende Prozeß gegen die sogenannte „Audi-Bande“ im vergangenen Sommer deutlich. Die drei Holländer, die neun Geldautomaten gesprengt, dabei 600.000 Euro erbeutet und mehr als 100.000 Euro Sachschaden verursacht hatten, heißen Zakaria M. (27 Jahre), Anouar A. (32 Jahre) und Samir A. (24 Jahre). Zwei von ihnen hatten auch die marokkanische Staatsangehörigkeit.

Insgesamt konnte die Polizei im vorvergangenen Jahr 128 Tatverdächtige festnehmen. Davon waren 92 sogenannte „reisende Täter“. Das heißt, sie kamen ausschließlich für das Verbrechen nach Deutschland und verschwanden danach wieder. Darunter seien, so das BKA, 67 Niederländer und 22 Polen gewesen.

Der Prozeß gegen die Mitglieder der „Audi-Bande“ in Düsseldorf veranschaulicht das laut Ermittlern „hochprofessionelle“ Vorgehen. Mit meist gestohlenen Autos, fast immer PS-starken Audis, gingen sie auf nächtliche Beutezüge in Nordrhein-Westfalen. Schwarz gekleidet und mit Sturmhauben maskiert, füllten sie ein Gas-Luft-Gemisch in die Automaten, das sie per Fernzündung explodieren ließen, um so an die Geldkassetten zu gelangen. Sieben von neun Mal gelang ihnen das.

Die Täter erhielten dafür Haftstrafen zwischen vier und knapp sieben Jahren.