© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

O alte Burschenherrlichkeit
Korporationen: Nicht überall kommt politisches Engagement für die AfD gut an
Jörg Kürschner / Christian Vollradt

In aller Regel ist es ein Anlaß zur Freude: Hat das Mitglied einer Studentenverbindung einen Parlamentssitz ergattert, steigt seine Beliebtheit in den eigenen Reihen enorm. Jenseits politischer Überzeugungen könnte der Abgeordnete für seine Bundes-, Corps- oder Kartellbrüder vielfältig von Nutzen sein, ob als Festredner, prominentes Aushängeschild beim „Keilen“, also der Nachwuchsgewinnung, oder auch als Vermittler eines Praktikumsplatzes. 

Der „Fall“ des AfD-Politikers Stephan Brandner ist die sprichwörtliche Ausnahme davon. Vor zwei Wochen schloß die katholische Studentenverbindung Agilolfia zu Regensburg im Kartellverband (KV) den Bundestagsabgeordneten, der seit den Zeiten seines Jurastudiums dort Mitglied war, aus (JF 5/20). Die Mitgliedschaft Brandners sei mit den christlich-katholischen Werten nicht vereinbar, ist eine Mehrheit in der nicht-farbentragenden, nicht-schlagenden Korporation überzeugt. Forderungen nach seinem Ausschluß gab es schon seit längerem und nicht erst seit seiner Abwahl vom Vorsitz des Rechtsausschusses (JF 46/19), bestätigte Brandner im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. 

Das hing offenbar auch zusammen mit einem Beschluß, den drei Dachverbände katholischer Verbindungen im Februar 2019 faßten. Man bekenne sich „aus christlicher Überzeugung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, hieß es darin. „Entsprechend beobachten die katholischen Studenten- und Akademikerverbände sehr genau und mit großer Sorge die Entwicklung der AfD.“ Die einzelnen Verbindungen mache man darauf aufmerkam, „daß einzelne Mitglieder, die dieser Grundhaltung zuwiderhandeln oder sich entsprechend extremistisch äußern, auszuschließen sind.“ 

Das Mißtrauen, mit dem dort der allgemein als „rechtspopulistisch“ bezeichneten AfD begegnet wird, hängt ganz offenbar auch damit zusammen, daß die katholischen Verbände nach wie vor stark von Mitgliedern der CDU und CSU geprägt sind. Er lasse sich inzwischen selten „auf dem Haus“ seiner CV-Verbindung blicken, berichtet ein AfD-Mitglied der JF. Das Thema Parteizugehörigkeit werde zudem tunlichst vermieden. Ein AfD-Politiker berichtete, seine Bundesbrüder hätten ihn aufgefordert, sämtliche Hinweise auf die CV-Verbindung, der er angehört, aus seinem Internetauftritt zu streichen. 

Nicht enttäuscht –          aber „sehr überrascht“ 

Auch von Stephan Brandner hatte man dies seitens der Agilolfen zunächst gefordert. Dem war der nun Hinausgeworfene nicht nachgekommen. Im „Kürschner“, dem Abgeordnetenverzeichnis, hatte er die Mitgliedschaft ausdrücklich erwähnt. „Ich wäre der Aufforderung ja nachgekommen, wenn diese Regelung für alle gegolten hätte und nicht nur für mich“, betont er. Aber dann hätten eben auch Politiker aus der CSU ihre Zugehörigkeit zu den Agilolfen nicht mehr nennen dürfen. 

Eher anders sieht es bei den Burschenschaften aus. Sie sind traditionell politisch. Und über die Hälfte der neun Burschenschafter im Bundestag sind Mitglied der AfD-Fraktion. Hinzu kommen zahlreiche Mitarbeiter. Daß man mittlerweile häufiger Männern mit Schmiß – einer Narbe, die von geschlagenen Mensuren zeugt – auf den Parlamentsfluren begegnet, fiel bereits diversen Medien auf. Augenzwinkernd gilt die AfD als „Buxen-Partei“, ernsthafter gesprochen gibt es viele Schnittstellen mit den nationalliberalen oder -konservativen Bünden. 

In den meist betont unpolitischen Corps gebe es schon den einen oder anderen Vorbehalt gegen AfDler in den eigenen Reihen, berichtet ein Betroffener der jungen freiheit. Befürchtet werde, wenn der Name der Korporation im Zusammenhang mit einem AfD-Abgeordneten fällt, in eine Art „Sippenhaft“ genommen zu werden. „Aber nach fünf Bier wird einem dann auf die Schulter geklopft und gesagt: ‘Deine Partei hat ja recht ...’“, schildert der Politiker entsprechende Erlebnisse. 

Deutliche Distanz zur größten Oppositionsfraktion hält dagegen der 1978 gegründete corpsstudentische „Kösener  und Weinheimer Stammtisch beim Deutschen Bundestag“. Hier treffen seit Bonner Zeiten Parlamentarier, Ministerialbeamte, Lobbyisten und Journalisten einmal monatlich während einer Sitzungswoche zusammen, um über ihre Arbeit zu reden, sich zu erinnern und Kontakte zu pflegen. Prominente Teilnehmer waren einst Manfred Kanther (von 1993 bis 1998 CDU-Innenminister im Kabinett Kohl) und Edzard Schmidt-Jortzig (von 1996 bis 1998 FDP-Justizminister). AfD-Abgeordnete, mögen sie auch Corpsstudenten sein, sind unerwünscht. Es gibt keinen formellen Beschluß, doch sind die Signale eindeutig. Ein Widerspruch zum corpsstudentischen Prinzip der Toleranz.

Probleme mit der AfD hatte auch die  Altherrenschaft des Corps Saxo-Borussia Heidelberg. In dem stark von adligen Mitgliedern gepägten Bund wurden Überlegungen angestellt, das Mitglied Marcus Pretzell auszuschließen. Der Jurist war 2014 ins Europäische Parlament gewählt worden. Es gab Gespräche, aber keine Entscheidungen. Inzwischen ist der „Alte Herr“ Pretzell aus der AfD ausgetreten und fraktionsloser Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag. Die „Causa Pretzell“ hat sich für die Sachsen-Preußen erledigt.

Von Sanktionen, gar Ausschlußanträgen sei in seinem Corps nie die Rede gewesen, betont ein AfD-Mann. „Das Lebensbundprinzip wird bei den schlagenden Verbindungen sicherlich ernster genommen.“ Auch Brandner ging bei seinem nicht-schlagenden Bund davon aus, daß die Gemeinschaft aus Studienzeiten lebenslang gelte. Ist er enttäuscht, daß man ihn nun rauswarf? Er könne es verkraften, gibt sich das Ex-Mitglied gelassen. „Aber sehr überrascht war ich.“