© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ganz geschlafen ist halb regiert
Paul Rosen

Wer sich fragt, warum die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, in jüngster Zeit so hektisch ist, wird bei der aktuellen Gesetzgebung fündig. Es begann im Herbst mit dem Entwurf zur Förderung von elektrisch angetriebenen Dienstwagen. Darin hatte die Regierung noch ein paar Dutzend andere Regelungen hineingepackt. Unter anderem sollte ein für die Steuerzahler günstiges Urteil des Bundesfinanzhofes, wonach Verluste aus bestimmten Kapitalanlagen steuerlich geltend gemacht werden können, per Gesetz ausgehebelt werden.  

Wenn bei Spekulationen Geld verlorenginge, müßten die Steuerzahler nicht dafür einspringen, war in der Begründung des Gesetzentwurfs von Minister Olaf Scholz (SPD) zu lesen. Die Union wollte das nicht mitmachen, zumal in einer Anhörung im Bundestag mehrere Sachverständige dringend warnten. Tenor: Scholz will nur abkassieren.

In der folgenden Finanzausschußsitzung flog die Regelung auf Druck der Union aus dem Gesetzentwurf, was Lothar Binding, der finanzpolitische Sprecher der SPD, amüsiert kommentierte: Man habe sich in der Frage „Zeit gekauft“. Scholz und Binding dachten nicht ans Aufgeben. Das Weihnachtsfest stand inzwischen vor der Tür, und im Finanzausschuß wurden schnell die letzten Gesetze für 2019 erledigt. Beim „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ hatte es „Umdruck Nr. 11“ (Umdrucke sind Änderungsanträge) in sich. Er betraf wieder die Verlustabsetzbarkeit bei bestimmten Wertpapieren. Scheinbar großzügig erklärte das Finanzministerium in der Begründung: „Es erscheint – vor allem in Hinblick auf Kleinanleger – sachgerecht, derartige Verluste mit einem bestimmten Betrag steuerlich anzuerkennen.“ Anerkannt werden nach der inzwischen in Kraft getretenen Regelung bis zu 10.000 Euro Verlust im Jahr. Tillmann hätte gerne mehr gehabt, erklärte sie: „Wir halten hier eine vollständige Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten weiterhin für sachgerecht, mußten aber mit dem Koalitionspartner einen Kompromiß erreichen.“

Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Tillmann war vermutlich – nach Ansicht von Insidern nicht zum ersten Mal – von Ministerium und SPD hinters Licht geführt worden. Was wirklich beschlossen, aber in der Sitzung weder von Regierung oder SPD dargelegt wurde, machte der Blog „finanz-szene.de“ an einem Beispiel deutlich: Wer mit Derivaten handelt und in einem Jahr 100.000 Euro Gewinn macht, dem 80.000 Euro Verlust gegenüberstehen, mußte bisher die Differenz (20.000 Euro) versteuern. Nach der Neuregelung können vom Verlust nur 10.000 Euro abgezogen werden; der Anleger hat 90.000 Euro Gewinn zu versteuern, den er überhaupt nicht gemacht hat. Sogar für Verluste sind Steuern zu zahlen. 

Dem Finanzplatz Deutschland wurde so ein schwerer Schlag zugefügt, denn der Handel mit solchen Papieren birgt nun massive steuerliche Risiken.Und das, weil im zuständigen Bundestagsausschuß weder Union noch Opposition gemerkt hatten, was wirklich beschlossen wurde.