© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Grüne Drohung aus Brüssel
CO2-Grenzausgleich: Ein Klimazoll ist ökonomisch wirksam, aber politisch problematisch und schwer umsetzbar
Dirk Meyer

Ambitioniert, populistisch oder aktionistisch? Die Klimaziele der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis zum Jahr 2050 per Saldo kein CO2 mehr auszustoßen, haben von allem etwas. Insbesondere aber wird der von Ursula von der Leyen in Davos bekräftigte „Green Deal“ teuer. So kalkuliert ihre EU-Kommission bis 2030 mit Kosten von 300 Milliarden Euro jährlich (1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), finanziert zur Hälfte von der EU und zu je einem Viertel von den Nationalstaaten und dem Privatsektor.

Ein Konsens mit den USA und China möglich?

Als konkrete Finanzierungsquellen werden Umschichtungen im EU-Agrarfonds (50 Milliarden Euro), im Sozialfonds (21 Milliarden Euro), der CO2-Emissionshandel (EU-ETS), die Europäische Investitionsbank (60 Milliarden Euro) und der EU-Investitionsfonds (27 Milliarden Euro) genannt. Letztlich zahlen es die Bürger. Bei einem derzeitigen Wachstum von 0,6 Prozent heißt dies Wohlstandsverzicht. Dabei sind weder Zweckmäßigkeit noch Wirtschaftlichkeit der Staatseingriffe gewährleistet.

Beim Klimawandel sitzen alle in einem Boot – die einen in der Holzklasse, die anderen auf dem Komfortdeck. Ob Unwetter, Meeresspiegelanstieg oder Dürren, es trifft alle. Die national verursachten Emissionen haben globale Schadenpotentiale, weshalb deutsche oder EU-Lösungen nicht zielführend sind. Ökonomen sprechen von globalen externen Effekten. Eine Kostenzurechnung gemäß dem Verursacherprinzip wäre deshalb weltweit anzustreben.

Eine ökonomische Optimallösung könnte so aussehen: Im Rahmen des UN-Umweltprogramms (Unep) wird eine Höchstmenge klimaschädlicher Gase beschlossen. Wer emittiert, muß nicht EU-ETS-, sondern Unep-CO2-Zertifikate erwerben. Nur sie berechtigen zur Emission. In einem weltweiten Börsenhandel entstünde ein einheitlicher Preis, ähnlich dem Rohölhandel. Jeder Nutzer, egal ob Entwicklungs-, Schwellen- oder Industrieland, zahlt das gleiche. Da ein notwendiger Konsens spätestens an den USA, China und manchem ärmeren Land scheitern wird, könnte die EU strengere Emissionsrichtlinien einführen. Allerdings würden CO2-intensive Produktionen wie Stahl, Chemie und Zement in andere Länder verlagert werden (Carbon leakage, Kohlenstoffleck). Hinzu käme der CO2-intensive Transport dieser Importe. Neben einem weltweit erhöhten Schadstoffausstoß käme es in der EU zu einem Verlust an Arbeitsplätzen.

Deshalb will die EU-Kommission einer 2008 von Frankreich vorgeschlagenen Idee folgend als zweitbeste Lösung einen „Klimazoll“ einführen. Diese CO2-Grenzausgleichsteuer würde ähnlich dem Ausgleich bei der Mehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen. Die Kostenvorteile durch „Umweltdumping“ ausländischer Produzenten würden an der Grenze durch einen Zoll abgeschöpft. Entsprechend würden „CO2-saubere“ Importe entlastet.

Die Orientierung der Grenzabgabe am Kohlendioxidgehalt des inländisch produzierten Produkts sichert eine gleich hohe Belastung, wie sie deutsche Konkurrenten zu tragen haben. Zwei weitere Vorteile gehen dem Klimazoll einher: Die EU könnte China oder Indien indirekt strengere Klimastandards auferlegen. Um Zollabgaben zu sparen, könnten dortige Produzenten „freiwillig“ CO2-Vermeidungstechnologien einsetzen. Würde dort Stahl mit Wasserstoffenergie erzeugt und mit Solarfrachtern nach Europa transportiert, könnte es zu Erstattungen kommen. Allerdings: Die EU-Länder exportierten 2018 für 169,3 Milliarden Dollar mehr in die USA, als sie von dort importierten – bei einem transatlantischen Klimazollkrieg säße Washington am viel längeren Hebel.

Ein Grenzausgleich nach den Regeln der WTO?

Klimazölle wären zudem Einnahmen für den EU-Haushalt, die den „Green Deal“ mitfinanzieren und/oder den EU-Bürger entlasten – solange China & Co. nicht auch klimaneutral sind. Nach Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) würde ein CO2-Importzoll von 100 Euro pro Tonne CO2 – der CO2-Preis im EU-ETS beträgt etwa 25 Euro – im Jahr 2027 zu Einnahmen zwischen 70 und 180 Milliarden Euro führen. Dieser Betrag würde zwischen 35 und 90 Prozent des EU-Haushaltes abdecken.

Den ökonomischen Vorteilen stehen praktische Schwierigkeiten entgegen. So müßte für jeden Import die Höhe der Abgabe festgelegt werden, indem zu ermitteln wäre, wieviel CO2 bei der Produktion einer Tonne Stahlblech oder Dünger in einem EU-Land anfällt. Schwieriger wird es, wenn es um nicht standardisierte Produkte wie Fenster mit Kunststoffrahmen geht. Vereinfachend könnte man den durchschnittlichen EU-CO2-Gehalt als Referenzwert für die Besteuerung ansetzen. Außerdem müßte ein gegenteiliger Nachweis bei niedrigerem CO2-Ausstoß möglich sein, der beim Exporteur zu einer Erstattung führen würde. Dann bliebe immer noch das Problem für auf niedrigem Klimastandard hergestellte Billigimporte, die in der EU gar nicht produziert werden.

Und wie steht es um die politische Akzeptanz eines Klimazolls? Laut Ursula von der Leyen soll die Grenzausgleichssteuer „voll und ganz den Regeln der Welthandelsorganisation“ entsprechen. WTO-Handelsneutralität würde jedoch nicht nur eine Belastung der Importe, sondern zugleich eine Entlastung der EU-Exporte erfordern – ähnlich der Mehrwertsteuer. Die strengeren inländischen Klimaregeln würden weitgehend sinnlos. Zudem erlauben die WTO-Regeln nur den Ausgleich von Steuern, sofern diese auf Produkte erhoben werden.

CO2-Steuern oder -Zertifikatpreise betreffen jedoch nicht die Produkte, sondern den Ressourceneinsatz, dessen Belastung durch Vermeidungstechnologien umgangen werden kann. Insofern ist die Rechtmäßigkeit zweifelhaft. China und die USA, deren Importe im Regelfall zu verzollen wären, würden die Maßnahme als Provokation und Abschottungsversuch werten. Vergeltungszölle liegen nahe und würden eine neue Runde handelspolitischer Gegenmaßnahmen einläuten – auch ohne Donald Trump.

In einem Zweitrundeneffekt würden diese Länder nicht nur weniger exportieren, sondern aufgrund der einhergehenden Währungsabwertung auch weniger Waren importieren können. Die dann emissionsträchtiger selbst hergestellten Güter würden wiederum zu vermehrtem CO2-Ausstoß führen – unter diesen Umständen: besser keinen Klimazoll.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





EU-Importhürden für CO2-Sünder?

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat erneut damit gedroht, Zölle oder andere Importschranken zu verhängen, wenn internationale Handelspartner weniger „klimafreundlich“ produzieren als Firmen in der EU. „Es ist eine Frage der Fairneß gegenüber unseren Unternehmen und unseren Arbeitnehmern“, erklärte die frühere CDU-Bundesministerin vorige Woche auf dem 50. Weltwirtschaftsgipfel im Schweizer Davos. „Wir werden sie vor unfairem Wettbewerb schützen.“ Es sei sinnlos, „Treibhausgas-Emissionen nur zu Hause zu senken, wenn wir zugleich den Import von CO2 aus dem Ausland erhöhen“. Ein Aufpreis könnte im Rahmen ihres „Green Deals“ über einen „Kohlenstoff-Grenzmechanismus“ erreicht werden. Lieber würde sie aber die EU-Handelspartner „überzeugen, mit uns an gleichen Wettbewerbsbedingungen zu arbeiten, von denen wir alle profitieren“, so die EU-Kommissionschefin. „Bis 2050 wird Europa ein klimaneutraler Kontinent.“ Dafür werde das Green-Deal-Geld ausgeben. (fis)

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