© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Böller, Steine, purer Haß
Indymedia-Demo in Leipzig: Was Linksterroristen unter Pressefreiheit verstehen
Martina Meckelein

Die Überschrift in dem Indymedia-Artikel lautet: „Wir suchen die direkte Konfrontation – Am Tag (((i))) alle nach Leipzig: Bullen angreifen!“ Der Gewaltaufruf ist eine bundesweite linksextremistische Mobilisierungskampagne auf der Internetseite „indymedia“. Mit dem ominösen „Tag (((i)))“ ist der Zeitpunkt gemeint, an dem die Antifa in Leipzig sich dafür „rächen“ will, daß vor zwei Jahren die linke Hetz- und Haßseite „linksunten“, ein nationaler Ableger von indymedia in Deutschland, vom Netz genommen wurde. 

Der richtige Zeitpunkt, so planten es die Linksextremisten, sei Samstag, der 25. Januar 2020. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) erwartete einen schwierigen Polizeieinsatz. „Das, was wir in der Silvesternacht in Connewitz erlebt haben, soll dort seine Fortsetzung finden“, sagte Wöller vorab gegenüber der Leipziger Volkszeitung. Silvester hatte es wieder Ausschreitungen am Connewitzer Kreuz gegeben, ein Polizeibeamter wurde schwer verletzt. Die Linksextremisten gaben der Polizei die Schuld. 

Demonstranten bedrohen Journalisten

Doch an diesem Demo-Samstag herrscht Ruhe in Connewitz. Die Leipziger schlendern auf der Karl-Liebknecht-Straße, shoppen in Boutiquen, schlemmen in den vielen Restaurants, genießen den Tag. Seit dem Abend zuvor um 22 Uhr kontrollieren Polizisten in der Südvorstadt, durchsuchen Personen nach Waffen. Überall patrouillieren Polizeifahrzeuge. Hundertschaften aus verschiedenen Bundesländern sind zur Unterstützung angereist. Trotz des Aufgebots fährt die Leipziger Polizei unter ihrem Präsidenten Torsten Schultze eine Deeskalationsstrategie.

Ab 16.30 Uhr sammeln sich Linksextremisten vor dem Bundesverwaltungsgericht am Simsonplatz. 500 Teilnehmer sind gemeldet. Über die Karl-Liebknecht-Straße wollen sie zum Herderplatz marschieren. Ihr Motto: „Wir sind alle linksunten – Pressefreiheit verteidigen, den autoritären Staat angreifen“. Was sie unter der Verteidigung der Pressefreiheit verstehen, werden Journalisten an diesem Abend noch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Hinter einem weißen Banner stehen schwarzvermummte Gestalten brüllend und trommelnd. Andere klappen schwarze Regenschirme auf, wollen nicht fotografiert werden. Dabei sind Gesichter unter den Vermummungen kaum zu erkennen. Als um 18.23 Uhr der Zug losmarschiert, ist er auf 1.300 angewachsen, es krachen die ersten Böller. Immer mehr Vermummte sickern aus Häusern und Nebenstraßen ein. Rund 1.600 Demonstranten marschieren über die gesamte Breite der Karl-Liebknecht-Straße, auch über die Fußwege. Die Polizisten sichern nicht die Flanken ab.

 Unterwegs klauben die Demonstranten Pflastersteine aus dem Straßenbelag. Um 18.59 Uhr krachen ohrenbetäubende Böller, glutrot leuchten Bengalos, Raketen zischen in den Himmel. Steine und Flaschen fliegen. Ab 19.02 Uhr rückt die Polizei langsam auf. „Mensch, geht doch mal hin“, schreit ein aufgebrachter Anwohner die Beamten an. „So wird das doch nichts. Räumt da auf, das ist doch unerträglich.“ Immer mehr Demonstranten kehren der Demo den Rücken. „So eine Scheiße“, sagt ein Vermummter zu seiner Begleiterin mit Rastazöpfen.

 Die Scheiße ist erkennbar an der Karli- Ecke Fichtestraße: Fensterscheiben eines Supermarktes und eines Pizzalieferservice sind zerborsten. „Das war ein Böller, den die auf Polizisten gerichtet haben“, sagt ein Mitarbeiter, der gerade die Scherben wegkehrt. „Ich stand an der Kasse, das hätte mich treffen können, mein Kollege zittert noch immer.“ Einem BMW ist das Kennzeichen abgerissen worden, einem Mazda 2 die linke hintere Seitenscheibe eingedroschen. Überall Bierflaschen, Farbbeutel und Steine.

 Eine Journalistin twittert, daß sie von einem Demonstranten bedroht worden sei. Laut MDR berichten seine Reporter „mehrheitlich von einer sehr pressefeindlichen Haltung vieler Demoteilnehmer“. Sie seien geschubst, bedroht, beschimpft und in ihrer Arbeit behindert worden. „Die Demonstranten sind in Leipzig für die Pressefreiheit auf die Straße gegangen“, erklärte ein anderer Reporter, „aber nur für ein Medium – indymedia.“

Die Irritation bei den Journalisten ist groß. Einerseits, weil die Polizei eben nicht provoziert, sondern die Gewalt direkt von den Linksextremisten ausgeht, und andererseits sie selbst angegriffen worden sind. Wo sie doch der linken Szene mindestens neutral gegenüber eingestellt sind. Alle Politiker distanzieren sich sofort via Twitter von den Demonstranten und den Ausschreitungen, selbst Juliane Nagel von der Linkspartei versucht es. Das könnte mit dem 2. Februar zusammenhängen, am Sonntag wird der neue Oberbürgermeister in Leipzig gewählt. Die Bilanz der Demo: 13 verletzte Polizisten, sechs Festnahmen wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Sachbeschädigung.

 Doch vor der Bürgermeisterwahl steht der 29. Januar. An dem Tag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig das Verbot der Seite „linksunten.indymedia.org“. Fünf Privatpersonen haben Klage erhoben. Wobei der 6. Senat des BVerwG mit Beschluß vom 23. Oktober 2019 den Antrag eines Antragstellers zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Klage gegen das Verbot des Vereins „linksunten.indymedia“ abgelehnt hatte: Zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung sei nur die verbotene Vereinigung selbst befugt, nicht dagegen ein Mitglied, erst recht nicht ein Nichtmitglied. Es fehle die für solch eine Klage erforderliche Betroffenheit in eigenen Rechten. Die Begründung des Antragstellers lautete: Das Verbot einer Internetzeitung könne nicht im Wege eines Vereinsverbots erfolgen. Der ergangene Verbotsbescheid sei vielmehr eine verfassungswidrige Zensur und sei rechtswidrig.

Rückblick: Die internationale Seite Indymedia wurde von sogenannten Medienaktivisten und Journalisten 1999 in den USA anläßlich der Proteste gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle gegründet und wird seitdem betrieben. In Deutschland wurde ab 2001 indymedia Deutschland und ab 2008 linksunten.indymedia.org mit linksradikalen Inhalten bespielt. Diese sogenannten Open-posting-Seiten erlauben jedem anonym und ohne Speicherung der eigenen IP-Adresse, Texte zu veröffentlichen.

 Am 14. August 2017 wurde die Seite linksunten.indymedia.org – nicht das gesamte indymedia-Netzwerk – durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mittels des Vereinsrechts verboten. Das Bundesinnenministerium erklärte das nach dem desaströsen G20-Gipfel in Hamburg erfolgte Verbot so: „Die Internetplattform wird insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten genutzt, um dort fortlaufend öffentlich zur Begehung von Straftaten aufzufordern, zu ihnen anzuleiten oder die Begehung von Straftaten zu billigen. Auf der Plattform finden sich beispielsweise Gewaltaufrufe gegen Polizeibeamte sowie Anleitungen zum Bau von zeitverzögerten Brandsätzen und die Aufforderung, diese auch zur Begehung von Straftaten zu verwenden. Diese Beiträge werden vom Betreiberteam trotz Moderation der Plattform nicht gelöscht.“

Allerdings kritisierten selbst Polizeikreise die Abschaltung der Seite. Das Hamburger Abendblatt zitierte am 25. August 2017 den Hamburger Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Jan Reinecke: Dies sei „mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“. Die Plattform sei „polizeitaktisch sogar wichtig, um die Szene, ihre Pläne und Bekennerschreiben zu beobachten. Das fehlt den Polizisten nun in Zukunft“.

Linke auf der Schwelle zum Terrorismus

Parallel zum Verbot wurden Wohnungen einiger Zugriffsberechtigter auf die Seite durchsucht. Beamte beschlagnahmten in Freiburg Waffen, aber auch Computer und weitere Technik. Ausgewertet werden konnten die Geräte bis heute angeblich nicht – die Verschlüsselung sei ausgezeichnet.

 Seit dem 16. Januar 2020 ist das Archiv von „linksunten.indymedia.org“ auf der internationalen Seite „indymedia“ wieder offen zu lesen. Rund 200.000 Texte seien wieder online. Jetzt das Verfahren vor dem BVerwG in Leipzig. 

Die Stadt wird von Linksextremisten seit Jahren terrorisiert. Ausgehend vom Stadtteil Connewitz breitet sich der linke Haß metastasierend in der Stadt und darüber hinaus im Freistaat aus. Die aktuelle LKA-Statistik weist für die Stadt Leipzig 357 linksmotivierte Straftaten aus (2018: 222), davon 54 Gewalttaten. Am 3. November wurde eine Immobilienmaklerin in ihrer eigenen Wohnung von Linksextremisten überfallen und zusammengeschlagen. Baufahrzeuge wie Autokräne brannten, am 1. Dezember 2019 das Bundesverwaltungsgericht. 35 Brandanschläge zählten die Fahnder im vergangenen Jahr in der 600.000-Einwohner-Stadt. Insgesamt verzeichnet das LKA eine Steigerung der politisch motivierten Kriminalität links zu 2018 um 61 Prozent. Die Behörde beurteilt die Lage in Leipzig kritisch. Linksextremisten seien auf der Schwelle zum Terrorismus.

 Deeskalationsstrategien gegenüber Linksextremisten kann die Leipziger Polizei wieder vom 13. bis 15. September proben. Indymedia ruft schon jetzt dazu auf: „Für eine Fortführung der Kämpfe auf europäischer Ebene – den EU-China-Gipfel in Leipzig 2020 zum Desaster machen“.