© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Woher dieses Interesse an Mord und Totschlag?
Podcast: Auch beim Hören bleiben die Deutschen ihrem Krimi-Fetisch treu / Die „Zeit“ hat eine Erklärung dafür
Gil Barkei

Sie heißen „Verbrechen von nebenan“, „True Crime Germany“ oder „Die Spur der Täter“. Mehr als 30 deutschsprachige Kriminalformate gibt es auf dem hiesigen Podcastmarkt. Hinzu kommen zahlreiche internationale Produktionen. Wie beim Lesen und beim Fernsehen – deutsche Schauspieler ermitteln mit deutschen Rundfunkgeldern von Istanbul bis Island – bleiben die Bundesbürger auch beim Hören ihrem Krimi-Fetisch treu. 

„Stern Crime Spurensuche“ ist mit über 140.000 Aufrufen der bisher meistgehörte Podcast beim Bertelsmann-Hörportal Audio Now. Die Formate „Verbrechen“ von Zeit Online und „Mordlust“ des ARD & ZDF-Jugendportals funk stehen in den Top Zehn der Spotify-Podcastcharts. 

Während TV-Produktionen und Romanautoren mehr oder weniger spannende fiktionale Fälle konstruieren, kommen in den Zuhörgeschichten allerdings auch reale Ermittler, Psychologen, Reporter und Mediziner zu meist tatsächlich passierten Gewalttaten und Gerichtsprozessen zu Wort und prägen so ein Audio-Genre, das sich „True Crime“ nennt. Dieses präsentiert sich nicht steif und ernst wie teilweise klassische Dokumentationen, sondern das lockere Geplauder wird wie beispielsweise bei „Mord auf Ex“ mit dem Konsum einiger Cocktails der beiden Sprecherinnen begleitet. 

Woher diese alte und neue Faszination der Deutschen für Mord- und Totschlaggeschichten? Sabine Rückert aus der Zeit-Chefredaktion, Gastgeberin des „Verbrechen“-Podcasts, hat eine typisch zeitgeistige Erklärung dafür, warum „achtsame“ Menschen, die sonst darauf erpicht sind, „daß sie linksdrehenden Joghurt essen“, abends „der Abschlachtung ihrer eigenen Spezies“ zuschauen oder zuhören. In einer Folge vor Publikum führte sie „einen kleinen Hinweis“ aus, was dahinterstecken könnte. „Wir stehen auf einem Boden, der vor wenigen Jahrzehnten noch blutgetränkt war“, betont Rückert. „Wir alle hier sind Nachgeborene, und sind immer furchtbar vorsichtig zusammen und sind sehr empfindlich, aber meine Eltern haben es noch erlebt, daß dieses Land bis zum Knie im Blut stand. Und viele der braven Bürger, die in Deutschland ihr Häuschen hatten, mutierten vorübergehend zu Mördern. Und danach mutierten sie wieder zurück zu Bürgern.“