© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Ein Farmer aus London regiert ein Weltreich
Georg III., der erste „englische“ König aus dem Haus Hannover, hinterließ vor 200 Jahren ein zwiespältiges Erbe
Heinz-Joachim Müllenbrock

Als Georg III. (1738–1820) vor 200 Jahren starb, hatte er den englischen Königsthron länger als alle seine Vorgänger innegehabt. Der dritte Monarch aus dem Haus Hannover trug entscheidend dazu bei, daß seine bis dahin als fremd empfundene Dynastie in Großbritannien heimisch und von der Bevölkerung akzeptiert wurde. Er war der erste in England geborene Herrscher aus dem Haus Hannover und zugleich der erste, welcher der englischen Sprache mächtig war; sein Kurfürstentum Hannover hat er nie besucht!

Als der junge König 1760 als Nachfolger seines Großvaters Georgs II. den Thron bestieg, gab er der Monarchie schon bald ein neues Image. Mit seiner Gemahlin Charlotte von Mecklenburg-Strelitz führte er ein vorbildliches Familienleben. Daß er sich nie eine Geliebte nahm, wurde als eine ausgesprochene Kuriosität belächelt. Seine Privatmoral war so untadelig, daß sie sogar sein harscher Kritiker Lord Byron anerkennen mußte, der die politische Kompetenz des Königs in seiner Dichtung „The Vision of Judgment“ (1822) satirisch zerpflückte. 

Sein frugaler Lebensstil paarte sich mit einer schlichten Frömmigkeit. 1787 erließ er sogar eine Proklamation gegen Laster wie übermäßiges Trinken und Blasphemie. Was den Londoner Klatschjournalisten Anlaß zum Spott gab, machte ihn beim Volk populär. Zur Volkstümlichkeit Georgs III. trug sein lebhaftes Interesse an der Landwirtschaft bei. Die zunächst als Spitzname gedachte Bezeichnung „Farmer George“ zeugte von seiner späteren Beliebtheit.

Das von dem Familienmenschen Georg III. geführte Leben biederer Häuslichkeit kontrastierte eigentümlich mit dem schillernden politischen Treiben, dem der König mit starken Überzeugungen seinen Stempel aufzudrücken versuchte. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt setzte er der langjährigen Dominanz der Whig-Aristokratie ein Ende, die sich auf ein korruptes Patronage-System gestützt hatte. Unter dem Einfluß von Lord Bute, seinem 1762 zum Premierminister berufenen Mentor, strebte Georg III. eine Art Selbstregierung an. Er sah sich als über kleinliche parteiliche Cliquenbildung erhabener „Patriot King“ allein dem Wohl des Landes verpflichtet. Die sogenannten „King’s Friends“, seine Machtbasis im Parlament, waren von der königlichen Schatulle abhängig; Georg III. nahm nämlich sein Recht wahr, den Pfründen- und Ämterfundus der Krone selbst zu verwalten. 

1763 wurde unter seiner Ägide der Pariser Frieden geschlossen, der den für England einträglichen Siebenjährigen Krieg (1756–63) beendete. Dem Gewinn der französischen Kolonien in Kanada stand wenig später der bittere Verlust der englischen Besitzungen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–83) gegenüber. Der von der Rechtmäßigkeit seines Handelns tief überzeugte König vertrat unnachgiebig das bloße Buchstabenrecht der Besteuerung gegenüber dem dringlichen Lebensrecht der Kolonisten, die unter der Parole „No Taxation without Representation“ rebellierten.

Als der leitende Minister Lord North 1782 zurücktrat, weil ihm das Unterhaus die Unterstützung versagte, war das konstitutionelle Intermezzo der Selbstregierung Georgs III. zu Ende. Seitdem ist Großbritannien nur noch von Premierministern und ihren Kabinetten regiert worden, die in erster Linie dem Unterhaus gegenüber verantwortlich waren. 

Sein letztes Jahrzehnt nur geistig umnachtet erlebt

Durch die Zurückdrängung der königlichen Prärogative mit Schwierigkeiten konfrontiert, eine aktionsfähige Regierung zu bilden, tat Georg III. 1783 mit der Ernennung von William Pitt d.J. zum Premierminister einen glücklichen Griff. Er wurde die zentrale Figur in Englands erbittertem Kampf mit dem revolutionären Frankreich. Zudem gelang es Pitt, eine dem Muster der Vereinigung mit Schottland im Jahr 1707 entsprechende Realunion der beiden britischen Inselreiche mit einem einzigen Parlament in London herbeizuführen. Das seit 1801 bestehende „Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland“ beruhte allerdings auf einer konfessionell einseitigen Lösung, weil der sich als Schutzpatron des Protestantismus fühlende Georg III. einer politische Gleichberechtigung herstellenden Katholikenemanzipation energisch widersprach.

Georg III. hat das Ende der Napoleonischen Kriege, in deren Gefolge aus dem Kurfürstentum das Königreich Hannover wurde, nicht mehr bei wachem Bewußtsein erlebt. Seit November 1810 verfiel er endgültig einer schon vorher sporadisch aufgetretenen geistigen Umnachtung. So blieb ihm auch die Wahrnehmung des in ironischer Anspielung auf die Schlacht von Waterloo „Peterloo“ genannten Massakers erspart, als im August 1819 die Miliz auf dem St. Peter’s Field in Manchester eine für die Interessen der Weber eintretende Massenkundgebung brutal auflöste. Dieses Ereignis bildete den makabren Schlußpunkt der Regentschaft seines ältesten Sohnes Georg, der nach Inkrafttreten der Parlamentsakte vom Januar 1811 die Krone repräsentierte.

Der letzte Lebensabschnitt Georgs III. gibt seiner Biographie eine tragische Note. In seiner Vortragsreihe „The Four Georges“ (1855–56) hat der Romancier W.M. Thackeray das bedauernswerte Schicksal des in seiner Hilflosigkeit an Shakespeares König Lear erinnernden erblindeten und tauben Herrschers einfühlsam beschrieben.






Prof. Dr. Heinz-Joachim Müllenbrock ist emeritierter Ordinarius für Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen.