© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Ansichten auf ein Pontifikat
Jeder Papst prägt seine Münzen: Zwei Historiker analysieren die Absichten der Selbstdarstellung und Propagandawirkung der „Papstmedaillen“
Martin Bürger

Einen innovativen und hochinteressanten Zugang zur Papstgeschichte bieten Kay Ehling und Jörg Ernesti in ihrem Buch „Glänzende Propaganda“, das sich mit den sogenannten Papstmedaillen beschäftigt. Eine Medaille ist, wie die Autoren im Vorwort erklären, einer Münze ähnlich, im Unterschied dazu „jedoch nicht als Zahlungs- und Umlaufmittel“ in Gebrauch, sondern dient als Erinnerungsstück. Seit dem 15. Jahrhundert ließen die Päpste regelmäßig Medaillen anfertigen – ein Brauch, der sich bis heute erhalten hat. „Treffend ist die Medaille als ‘Denkmal für die Hand’ bezeichnet worden, das in der Regel auf der Vorderseite das Bildnis des Auftraggebers festhält und auf der Rückseite eine nicht selten symbolisch verdichtete Botschaft in Wort und Bild propagiert.“

Die Autoren haben das Ziel, die Papstmedaillen als kirchenhistorische Quellen auszuwerten. Welche Ereignisse hat ein Papst im Laufe eines Jahres als so wichtig eingeschätzt, daß er die Rückseite der Medaille eben diesem Ereignis widmen wollte? Geht es um etwas Profanes, immerhin sind die Päpste bis heute auch weltliche Herrscher, wie die Erneuerung einer Straße? Oder handelt es sich doch um etwas Sakrales, beispielsweise die Darstellung von neuen Heiligen?

Seit Papst Paul VI. waren Motive abstrakter gestaltet 

In einem Werk, das weniger als 250 Seiten umfaßt, ist es natürlich nicht möglich, auf jede einzelne Papstmedaille einzugehen. Stattdessen haben Ehling und Ernesti, beide ausgewiesene Kenner ihres jeweiligen Fachs, eine Auswahl getroffen und vom 17. bis ins 21. Jahrhundert insgesamt 50 Medaillen ausgewählt. Schön wäre gewesen, wenn die Autoren die Motive der anderen Medaillen zumindest kurz erwähnt hätten, um ein vollständigeres Bild zu präsentieren.

Eine weitere interessante Frage, die den Rahmen des Buches aber ganz gewiß gesprengt hätte, ist, ob sich das, was die Päpste als wichtig ansahen, im Laufe der Zeit auch tatsächlich als wegweisend herausgestellt hat. Gab es vielleicht auf der anderen Seite Ereignisse, die aus heutiger Sicht ein Pontifikat geprägt haben, von den Päpsten aber nicht durch eine Medaille memoriert wurden?

Die Gestaltung der meisten Medaillen folgt klassischen Formen. Aber: Seit dem Jahr 1966 wurden alle von Papst Paul VI. in Auftrag gegebenen Medaillen von modernen Künstlern gestaltet. Manche dieser modernen Medaillen dürften für viele Betrachter gewöhnungsbedürftig sein. Interessanterweise sind gerade die beiden Medaillen, die vom derzeitigen Papst Franziskus veranlaßt und im Buch abgebildet wurden, wieder beinahe klassisch.

Die grandiosen detailreichen Fotografien der Medaillen, die noch dazu recht groß sind, stammen von Nicolai Kästner. Obwohl also der Detailreichtum beeindruckend ist, haben die Autoren doch eine wissenschaftliche Beschreibung der Motive beigefügt. Dazu gehören deutsche Übersetzungen der lateinischen Inschriften, die sich immer wieder auf den Medaillen finden. Auch Lateinkenner dürften übrigens bei den häufigen Abkürzungen der lateinischen Texte an ihre Grenzen kommen. So aber kann auch der Laie nachvollziehen, was er vor sich hat. Sodann wird genauer beschrieben und interpretiert, was es mit dem Motiv auf sich hat. Als Kostprobe sei auf eine Medaille von Papst Pius XII. verwiesen, die er 1958 anfertigen ließ: „Die starke Wirkung der (...) der jüngeren Medaille wird durch den Gegensatz zwischen dem aus der christlichen Kunst so vertrauten Bild des verkündenden Engels und den hochmodernen, rein technisch funktionalen Radiomasten im Hintergrund hervorgerufen. (…) Der biblische Bote und Helfer Gottes ist in die Gegenwart versetzt worden und trägt nun das Wort der Kirche in die ganze Welt hinaus. (…) Dabei verkörpert der Engel sowohl die Radiowellen, die die Stimme des Papstes durch den Äther tragen, als auch die Frohe Botschaft der Kirche.“

Schließlich folgt auf die Papstmedaillen bei jedem Papst jeweils ein kirchengeschichtlicher Hintergrund. Jene Texte bieten einen kompakten Blick auf das jeweilige Pontifikat, der auch das Interesse weckt, tiefer in die Papstgeschichte einzutauchen und den einen oder anderen Papst genauer kennenzulernen.

Kay Ehling, Jörg Ernesti: Glänzende Propaganda. Kirchengeschichte auf Papstmedaillen. Herder Verlag, Freiburg i.Br. 2019, gebunden, 240 Seiten, 35 Euro