© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Kein Licht ohne Strahlung
Digitalisierung: Ein sächsisches Staatsgut soll Europas größtes 5G-Versuchsgelände werden / Bundesamt für Strahlenschutz rät Bürgern zur Vorsicht / Langzeitwirkungen unbekannt
Mathias Pellack

Friedlich sieht es aus, das Dorf Köllitsch und das anliegende gleichnamige Lehr- und Versuchsgut (LVG) des sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG). Die Taxifahrt von Torgau hierher dauerte gut 20 Minuten – ein Bus fährt zu dieser Uhrzeit nicht mehr. Die Sonne verschwindet hinterm Horizont. Bürger sind ohnehin keine auf den Gehsteigen, in den Vorgärten oder Fenstern zu sehen. Die Straßenlaternen werfen ihr gelb-schummriges Licht auf die Durchfahrtsstraße. Einzig die elektronische Leuchttafel des LVG strahlt voller Energie „5G“ in die Umgebung.

„Wann das Internet hier endlich besser?“

„Das Dorf Köllitsch beherbergt 76 Einwohner“, wird später der Bürgermeister der zuständigen Hauptgemeinde Arzberg, Holger Reinboth, sagen. „Wie ich sehe, sind weit mehr gekommen.“ Die Veranstalter mußten die Zahl der Stühle kurzfristig um etwa 80 verdoppeln. Reinboth begrüßt den direkt gewählten Bundestagsabgeordneten Marian Wendt, mehrere Landtagsabgeordnete, darunter Gudrun Petzold (AfD), sowie die Hauptredner: den Inhaber des Vodafone-Stiftungslehrstuhls für Mobile Nachrichtensysteme (5G-Professur) Thomas Welsch und den Fachreferenten des LfULG für Klima, Luft, Lärm und Strahlen, Peter Gamer, sowie Uwe Bergfeld, einen Fachreferenten für Landwirtschaft.

Während sich das LVG sonst um die Aus- und Weiterbildung von Landwirten kümmert, sind heute Bürger, Anlieger und Mobilfunkinteressierte da. Einige kamen gar aus Dresden, Leipzig oder Berlin. Viele wollen erfahren, „wann das Internet hier besser wird“, wie ein Anwohner aus Oelzschau bei Leipzig der JF sagt. Die von der Bundesregierung stets gepriesene Digitalisierung lasse auf sich warten. Selbst die Kanzlerin war laut Web-Terminkalender 2019 auf über 30 Veranstaltungen zum Thema. Doch Deutschland hinkt beim Ausbau hinterher. Viele Länder Afrikas haben leistungsfähigere Mobilfunknetze. In Europa gehören wir zum letzten Drittel.

Dann sitzen da noch jene, die Bedenken haben, die sich im Internet informiert haben. Sie wollen Warnungen von Ärzten oder Wissenschaftlern nicht einfach in den Wind schlagen. Die 68jährige Gudrun Petzold meint: „Für ein Umsteuern sei es hier in Nordsachsen wahrscheinlich schon zu spät.“ Aber versuchen wolle sie es trotzdem. „Im Westen und in Bayern hatten sich Bürgerinitiativen viel schneller und effektiver gegen 5G-Testgelände ausgesprochen.“ Sie wolle Aufmerksamkeit schaffen.

Der Agrarexperte Bergfeld beschreibt hingegen die Lage im 5G-Testgebiet zwischen Torgau und Dresden. Er hofft auf technische Verbesserungen durch die fünfte Mobilfunkgeneration: bessere Überwachung des Milchviehs und Fernsteuerung der Landmaschinen. Möglichen Nachteile seien: „Höhere Kosten, geringere Informationssicherheit und Überforderung der Erzeuger.“ Das LVG wolle „Praxisprüfstand“ sein, deshalb sei man heute hier nun zusammengekommen, „um Vertrauen zu schaffen und die Akzeptanz zu erhöhen“. Den Aspekt Anwohnergesundheit nennt er nicht.

Bürger fragen nach Gesundheitsaspekten

Der 5G-Professor Welsch erklärt die Funktionsweise der Technologien (siehe Infokasten). Er sagt, man benötige wegen der kürzeren, lichtähnlicheren Wellenlänge mehr Sendemasten. Jeder für sich genommen strahle weniger. Auch dringe die kurzwellige Strahlung weniger tief in die Haut ein. Aber das Pilotprojekt habe nur Geld für etwa 15 Funkmasten. Diese würden wahrscheinlich mobil eingesetzt.

Ein Bürger will wissen „wie sich Technologie auf die Gesundheit auswirkt“. Welsch antwortet: „Das Funkspektrum sei ausgeforscht und das Risiko für die Gesundheit gering.“ Er verweist auf den dann folgenden Vortrag. Ein empörter junger Mann will über die Bestimmung der Grenzwerte diskutieren. Doch die Antwort ist wieder der Verweis auf den Folgebeitrag. „Werden die Anwohner dann einen 5G Internetzugang bekommen können?“ fragt ein anderer. „Nein“, sagt Welsch. Es sei nur ein Testnetz. Er glaube aber, daß Deutschland den Ausbau in den nächsten fünf Jahren vorantreiben werde. Ob denn die Bewohner auch gefragt würden, ob sie bestrahlt werden wollen, fragt der nächste. Welsch schaut ungläubig und wendet sich wieder seinem Vortrag zu.

Der Strahlenexperte des LfULG, Gamer, ist dran. Wie Bergfeld beteuert er, Vertrauen schaffen zu wollen. „Deshalb sind wir ja hier.“ Aber: „Wir wollen hier nicht jede einzelne Studie diskutieren.“ Er wird unterbrochen. Ein Gast will wissen, was Gamer zum Appell von 400 Ärzten sage, die im Herbst 2019 eindringlich vor möglichen Gefahren der Mobilfunkstrahlung gewarnt hatten. „Den kenne ich natürlich.“ Dazu könne er aber nichts sagen. Er sei kein Arzt. Die vorgeschriebenen Grenzwerte seien bei im Januar extra durchgeführten Messungen in Köllitsch fast nirgends auch nur zu einem Prozent ausgereizt gewesen. Die Nachfragen überschlagen sich. Teils im Vortrag, teils im Gespräch mit den Fragenden klärt sich, die Grenzwerte wurden an Leichen ermittelt. Allein der wärmende Effekt der Handystrahlung auf Gewebe sei darin erfaßt.

Der wütende junge Mann geht abermals nach vorne, schnappt sich ein Mikro aus den Händen von Bergfeld und versucht zu sprechen. Von hinten ruft jemand: „Etwas weniger aggressiv bitte!“ Er fragt, ob denn alle Menschen gleich auf die Strahlung reagierten. Gamer wirft ihm entgegen: „Um eben solchen Befindlichkeiten und Ängsten entgegenzuwirken, bin ich hier. Um aufzuklären!“ Dem CDU-Bundestagsabgeordneten wird es zu bunt. Er versucht zu beruhigen. „Habe ich Sie richtig verstanden? Die Strahlung ist weniger intensiv, dringt also weniger tief in die Haut ein, und damit ist 5G ungefährlicher, oder nicht?“ Gamer antwortet: „Nein, so kann man das nicht sagen.“

Die Grenzwerte bleiben Thema: „Was ist mit den Wirkungen auf DNA, auf Bäume, auf Kinder oder auf das Gehirn? Ist das alles sicher?“ Gamer sagt: „Die Verfahren zur Bestimmung der Grenzwerte werden vom Gesetzgeber festgelegt. Das ist heute nicht Thema. Bitte wenden Sie sich an den Gesetzgeber.“

 emf3.bundesnetzagentur.de

 www.bfs.de/





Wie gefährlich ist der 5G-Mobilfunk?

5G ist die neue Mobilfunkgeneration, die in diesem Jahr eingeführt wird. Mit höheren Frequenzen können größere Datenmengen schneller übertragen werden. Die geringeren Reaktionszeiten sind für Industrieanwendungen interessant und für autonomes Fahren notwendig. Mehr Empfangsgeräte könnten gleichzeitig bedient werden. Im Gegensatz zu UMTS (3G) und LTE (4G) ist es kein offenes Konzept, das verschiedene Techniken vereint. So sollen neuen Antennensysteme die Strahlung bündeln und richten. Dieses „Beamforming“ soll den Energieeinsatz und die Strahlenbelastung verringern. Die Strahlenbelastung ist umstritten. Die Grenzwerte wurden für Vorgängertechniken entwickelt und deckeln nur die thermische Belastung. Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht „wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich möglicher Langzeitwirkungen“. Für eine definitive Beurteilung sei die 5G-Technologie aber „noch zu jung, da sich beispielsweise Krebserkrankungen über Zeiträume von 20 bis 30 Jahren entwickeln. Auch bei Wirkungen auf Kinder sind noch nicht alle Fragen abschließend beantwortet“, so das BfS.