© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Neutral ist nicht egal
Klage der AfD: Vor dem Bundesverfassungsgericht geht es darum, ob der Bundesinnenminister gegen das Mäßigungsgebot verstoßen hat
Christian Vollradt

Ordentlich gebrüllt hatte der bayerische Löwe. „Die stellen sich gegen diesen Staat“, behauptete Horst Seehofer (CSU) im September 2018 in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Die“, damit meinte der Bundesinnenminister die AfD, die sich seiner Meinung nach in den vergangenen Jahren radikalisiert habe. „Da können sie tausendmal sagen, sie sind Demokraten“, so der CSU-Politiker. Weil das Interview auch auf der Seite des Bundesinnenministeriums abrufbar war, reichte die AfD-Bundestagsfraktion Klage in Karlsruhe ein. Denn sie ist sich sicher, daß der Innenminister gegen das Gebot der Mäßigung verstoßen habe. Später wurde Seehofers Wutrede von der Ministeriumsseite heruntergenommen. Wer den Link anklickt, bekommt die Mitteilung: „Uups, diese Seite ist leider nicht auffindbar.“ 

Kommende Woche steht in Karlsuhe nun eine mündliche Verhandlung zum Fall an. Der Prozeßbevollmächtigte der AfD-Bundestagsfraktion, der Berliner Anwalt und habilitierte Rechtswissenschaftler Ulrich Vosgerau, gibt sich im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT optimistisch, was die Erfolgsaussichten seiner Mandantin betrifft.

Herr Dr. Vosgerau, nächste Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht Ihre Klage gegen den Innenminister. Wollen Sie die Meinungsfreiheit von Horst Seehofer einschränken?

Vosgerau: Nein, um die Meinungsfreiheit geht es nicht, für die wären ja auch die Landgerichte zuständig. Der Bundesinnenminister hatte in dieser Eigenschaft und auf der offiziellen Homepage des Innenministeriums genau einen Monat vor der jüngsten bayerischen Landtagswahl unter anderem die Aussagen einstellen lassen, die AfD stelle sich gegen diesen Staat, sie sei staatszersetzend, sie tue nur demokratisch, sei es aber nicht, und man müsse ihr stärker entgegentreten. Das geht nicht! Denn der Bundesinnenminister muß als Amtsträger der Innenminister aller Deutschen sein, einschließlich sogar der AfD-Wähler und -Mitglieder. Er kann nicht auf der offiziellen Seite eines Bundesministeriums eine mit der CSU konkurrierende politische Partei schlechtmachen, nur weil er fürchtet, diese werde der CSU bei der nächsten Landtagswahl etliche Stimmen wegnehmen.

Seehofer warf der AfD-Fraktion vor, mit ihren verbalen Attacken auf den Bundespräsidenten „staatszersetzend“ zu wirken. Ist es nicht Aufgabe des Innenministers, ein Verfassungsorgan vor Angriffen zu schützen?

Vosgerau: Nun, das warf er eben nicht der Fraktion vor, sondern der Partei und nur aus Anlaß einer Haushaltsdebatte. In dieser hatten einzelne Mitglieder der Fraktion in der Tat auch den Haushalt des Bundespräsidenten thematisiert, was bisher so nicht üblich gewesen war. Davon einmal abgesehen, daß auch der Bundesrechnungshof etwa zeitgleich das Finanzgebaren des Bundespräsidialamts gerügt hatte: Anlaß dafür war wiederum, daß ja der Bundespräsident in sogenannten sozialen Medien zum Besuch eines quasi halbamtlich veranstalteten Chemnitzer Rockkonzerts aufgerufen und dieses vorab schon belobigt hatte, auf dem es dann zu unbeschreiblichen, linksextremistischen und gewaltverherrlichenden Proklamationen und außerdem üblen Beschimpfungen der parlamentarischen Opposition gekommen war. Dies dürfte sehr viel eher „staatszersetzend“ sein. Der Bundespräsident hat seine Empfehlung und seine Belobigung übrigens auch später niemals im Lichte besserer Erkenntnis wieder relativiert.

Ihr Vorwurf lautet, Seehofer habe mit seiner Äußerung das Recht der AfD auf „Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb“ verletzt. Seine Verteidiger argumentieren, er habe sich nicht auf die Partei, sondern auf die AfD-Bundestagsfraktion bezogen. Überzeugt Sie dieses Argument?

Vosgerau: Nein, denn er hat eindeutig von der Partei gesprochen und nicht von der  Bundestagsfraktion. Aber in der Tat läßt er im Verfahren jetzt behaupten, er habe insgeheim doch nur die Bundestagsfraktion gemeint – diese hätte nämlich juristisch viel schlechtere Chancen, sich gegen einen parteiischen Minister zur Wehr zu setzen. Es kommt aber auf den Wortlaut an, nicht auf einen angeblichen geheimen Vorbehalt, den man sich auch erst im nachhinein zurechtgelegt haben mag.

„Nimmt ein Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes in Anspruch, ist er dem Neutralitätsgebot unterworfen“, urteilte das Verfassungsgericht vor zwei Jahren und gab damit einer Klage der AfD gegen die damalige Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) statt. Stimmt Sie das optimistisch, daß Karlsruhe Horst Seehofer eine ähnliche Watschn verpaßt?

Vosgerau: Wenn die herkömmlichen, seit Jahren durch das Bundesverfassungsgericht etablierten Maßstäbe noch gelten, so muß die Klage vollumfänglich erfolgreich sein. Daher hat mich die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung eigentlich gewundert; meines Erachtens wäre der Fall auch ohne Verhandlung und durch Beschluß zu entscheiden, da er eigentlich sonnenklar ist. Die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gibt mir daher eher Anlaß zu der Sorge, daß das Bundesverfassungsgericht vielleicht doch erwägen könnte, die hergebrachten Maßstäbe für Zurückhaltung und Überparteilichkeit bei der Amtsführung nunmehr aufzuweichen, wenn es „die Richtigen trifft“. Das wäre verfassungsrechtlich übel und übrigens auch undurchdacht. Letztlich verstehe ich nicht wirklich, warum sich das Innenministerium überhaupt gegen unsere Klage wehrt und nicht einfach zugibt, daß wir recht haben. Die Aufweichung der hergebrachten Maßstäbe an die Neutralität der Amtsführung kann sich doch niemand ernsthaft herbeiwünschen! Herr Seehofer möchte einfach gern die AfD beschimpfen dürfen. Aber was will er machen, wenn dann die AfD in ein paar Jahren selbst den Bundesinnenminister stellt? Also halten wir einfach am besten alle am Bewährten fest.

Eine mündliche Verhandlung am Bundesverfassungsgericht ist ja nicht die Regel. Erwarten Sie, daß die roten Roben nun eine Grundsatzentscheidung darüber treffen, wie sich Regierungsmitglieder äußern dürfen und wie nicht?

Vosgerau: In so vielen wichtigen Rechtsfällen benötigen wir dringend umfangreiche mündliche Verhandlungen und anschließende Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: so etwa bei der Frage nach der staatlichen Finanzierung auch der Desiderius-Erasmus-Stiftung, bei der Frage nach der Legitimität der „Überfallgesetzgebung“, mit der die große Koalition während der letzten Fußballweltmeisterschaft in ein paar Tagen quasi heimlich die staatliche Parteienfinanzierung massiv erhöhte, in den verfassungsrechtlichen Fragen, die sich aus den ständigen, vorsätzlichen Verletzungen der Geschäftsordnung des Bundestages zum Nachteil der AfD-Fraktion ergeben, und in der Frage, ob gelbe, grüne und dunkelrote Bundestagsabgeordnete wirklich verhindern können, daß AfD-Abgeordnete sich einer von ihnen erhobenen Normenkontrollklage einfach anschließen – um nur ein paar zu nennen. Alles offene Rechtsfälle – und ich höre seit vielen Monaten nichts vom Bundesverfassungsgericht. Einzig und allein im Fall Seehofer benötigen wir weder eine mündliche Verhandlung noch ein Grundsatzurteil, sondern einfach die Aufrechterhaltung und Anwendung der seit vielen Jahren etablierten Maßstäbe. Schon damit müßten wir ohne weiteres gewinnen.






Dr. Ulrich Vosgerau lehrte Staats- und Verwaltungsrecht an mehreren Universitäten und ist heute als Rechtsanwalt in Berlin tätig. Er vertritt als Prozeßbevollmächtigter in Karlsruhe die AfD-Bundestagsfraktion bei ihrer Klage gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer.

 www.ulrich-vosgerau.de