© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Ländersache: Hamburg
General Radtke schlägt um sich
Björn Harms

Alles begann mit einem absurden Facebook-Eintrag am vergangenen Montag: „Die Nazis gehören zu den größten Klimasünder*innen, da ihr Vernichtungskrieg und ihre Panzer riesige Mengen an CO2 produziert haben. Viele Politiker sagen, daß sich das nicht wiederholen darf. Aber was tun sie gegen den Klima-Holocaust, der in diesem Moment Millionen Menschen und Tiere tötet?“, schrieb der 18jährige „Fridays for Future (FFF)“-Aktivist Tom Radtke, der für die Linkspartei bei der anstehenden Hamburger Bürgerschaftswahl auf Listenplatz 20 kandidiert.

Wenige Minuten später setzte der erwartbare Shitstorm ein, FFF nebst ihrer Hauptakteurin Luisa Neubauer sahen sich genötigt, sich von Radtke zu distanzieren, die Linkspartei tat es der Klimabewegung gleich. Ein Ausschlußverfahren steht nun im Raum. Der Nachwuchspolitiker jedoch schien Blut geleckt zu haben und forderte FFF auf, bei der Wahrheit zu bleiben, ansonsten werde er die „dreckigen Geheimnisse“ bei FFF ausplaudern, „zum Beispiel die Pädophilen bei FFF Hamburg“. Der eine oder andere schien nervös zu werden.

„Was treibt die Linke gerade in Hamburg? Warum stoppt den keiner?“, twitterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. „Der Hamburger Bundestagsabgeordnete sollte aufpassen, sonst ergeht es ihm wie seinem ehemaligen Fraktionskollegen Edathy. Ich kenne die Namen einiger seiner Opfer“, drohte widerum Radtke. Später gab er an, über den „grünen Sumpf“ bei FFF auspacken zu wollen. Die zentrale Aufgabe der unterwanderten Bewegung sei nur mehr „Wahlkampfhilfe für die Grünen“. Wer ist dieser verrückte 18jährige, fragte sich das belustigte Internet. Ein neues Sozialexperiment von Jan Böhmermann, den Radtke später selbst verbal attackierte? Ein eingeschleuster Rechter? Ein Kämpfer für die Wahrheit? Oder nur ein durchgeknallter Irrer? Der junge Hamburger wollte liefern: In einem Livestream auf der Plattform Twitch lege er alle Karten auf den Tisch, versprach er.

So warteten mehrere tausend Nutzer am vergangenen Samstag gebannt vor ihren Rechnern, um doch nur enttäuscht zu werden: Sein Anwalt habe ihm geraten, lieber doch keine Leaks zu veröffentlichen, erklärte Radtke. Stattdessen wolle er „über die Kritik an meinem Wissen zum 2. Weltkrieg“ sprechen und „was ich mache, um mehr darüber zu lernen“. Seine (Noch-)Parteigenossen dürften ungläubig auf den Bildschirm gestarrt haben, als Radtke kurze Zeit später das bekannte PC-Strategiespiel „Hearts of Iron 4“ startete, das im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, und seine Zuschauer damit amüsierte, als Spieler mit dem Deutschen Reich das Nachbarland Polen zu überfallen. „General Radtke“ sei der „Führer der neuen Querfront“, witzelten die ersten im Kommentarbereich. 

Am Sonntag legte er noch eine Schippe drauf und ließ in einem Livevideo nebenbei den Rapper Chris Ares (JF 6/20) laufen, später ertönte „Heil dir im Siegerkranz“. Auf die versprochenen Insider-Geschichte wartete man jedoch weiterhin vergeblich. Im Netz rufen bereits die ersten zu seiner Direktwahl am 23. Februar auf. Möglich wäre es, denn das Hamburger Wahlrecht läßt Personenstimmen zu. Wahrscheinlicher aber ist es wohl, daß das Internetphänomen Tom Radtke schon bald wieder in der Versenkung verschwindet – oder packt er doch noch aus?