© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Prangend in des Ruhmes Flor
Debatte um Entschädigungen: Im Bundestag streiten Experten über die Rolle der Söhne Kaiser Wilhelms II. bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten
Peter Möller

Die Geschichte wird oft beschworen im Deutschen Bundestag. Meist als mahnendes Beispiel in mehr oder weniger routiniert abgehaltenen Gedenkstunden im Plenum. Doch so greifbar wie in der vergangenen Woche im Saal E 400 des Paul-Löbe-Hauses neben dem Reichstag war die Macht der Geschichte selten. In einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses gingen Abgeordnete und Experten mehr als 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie der Frage nach der Verantwortung der Hohenzollern für den Aufstieg des Nationalsozialismus nach.

Hintergrund sind die seit 2014 laufenden Verhandlungen zwischen dem Bund sowie dem Land Brandenburg mit dem Haus Hohenzollern über eine gütliche Einigung über Entschädigungen für Enteignungen auf dem Gebiet der früheren DDR nach dem Zweiten Weltkrieg, beziehungsweise die Rückgabe von Immobilien und Kulturgütern. Grundlage hierfür ist das Ausgleichleistungsgesetz von 1994, das Entschädigungen allerdings ausschließt, wenn der Enteignete der nationalsozialistischen – oder der kommunistischen – Herrschaft „erheblichen Vorschub geleistet“ hat (JF 32/19). Im Zentrum der öffentlich geführten Auseinandersetzung steht dabei denn auch, ob Kronprinz Wilhelm (1882–1951) in den Jahren vor der Machtergreifung dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hat. Vorausgegangen war der Anhörung Anfang Januar eine lebhafte Debatte im Plenum über zwei Anträge der Linkspartei und der Grünen, die zum Ziel haben, eine Entschädigung der Hohenzollern auszuschließen.

„Historische Urteile folgen nie der Ja-oder-nein-Logik“ 

Der Frontverlauf in der Anhörung zwischen den Sachverständigen war schnell klar. Während die Historiker Peter Brandt und Stephan Malinowski die Ansicht vertraten, Wilhelm habe den Nationalsozialisten erheblichen Vorschub geleistet, kam der Würzburger Historiker Benjamin Hasselhorn zu einem differenzierteren Bild und stellte in Abrede, daß sich die Frage nach der Bedeutung der Hohenzollern an der Machtergreifung überhaupt abschließend beantworten lasse. Historisch begründen, so Hasselhorn, ließen sich indes beide Positionen.

Er verwies zudem auf ganz praktische Probleme. So seien die historischen Quellen bislang noch nicht ausreichend erforscht, um die Frage nach der Rolle des Kronprinzen zu beurteilen. Auch gebe es noch immer keine wissenschaftliche Biographie über den ältesten Sohn Kaiser Wilhelm II. Hasselhorn gab zu bedenken, daß es schwer zu messen sei, wie stark sich seine Rolle als Symbolfigur ausgewirkt habe. Er wies zudem darauf hin, daß der Kronprinz im Volk nicht sonderlich beliebt gewesen sei.

Dem widersprach der an der Universität Edinburgh lehrende Historiker Malinowski und verwies auf den Wahlaufruf Wilhelm von Preußens 1932 zugunsten der Nationalsozialisten und seine Rolle beim „Tag von Potsdam“ 1933. Als Kronprinz habe er über eine große Symbolkraft verfügt. Ähnlich argumentierte Peter Brandt. Wilhelm sei im wichtigen Jahr 1932 zwar keine zentrale politische Figur gewesen, habe aber aufgrund seiner Stellung als Kronprinz großen Anteil daran gehabt, Vorbehalte im Adel gegen die Nationalsozialisten abzubauen. Der Kronprinz habe auf eine Wiederherstellung der Monarchie innerhalb einer faschistischen Diktatur nach italienischem Vorbild gehofft.

Den vielleicht entscheidensten Punkt der Auseinandersetzung sprach Stefanie Middendorf vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam an. Sie wies darauf hin, daß die Frage nach dem „erheblichen Vorschub“ eine juristische und keine historische Kategorie sei. Der auf Restitutionsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Marc Laudin griff diesen Aspekt auf und erläuterte, daß der Begriff des „erheblichen Vorschubs“ zudem ein „unbestimmter juristischer Begriff“ sei, dessen Verfassungsmäßigkeit noch in Frage stehe. Allerdings habe das Bundesverwaltungsgericht dafür Leitlinien aufgestellt, ergänzte Laudins Kollege Hartmut Scheidmann, nach denen ein Gericht im Fall eines Prozesses um die Ansprüche der Hohenzollern entscheiden würde. Zu diesen durchaus hohen Anforderung gehöre, daß die Vorschub-Aktivitäten Wirkung und einen nicht unbedeutenden Nutzen für die Nationalsozialisten gehabt haben müßten. Jedenfalls könne nicht der Bundestag darüber entscheiden, verdeutlichte Laudien, ob Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus im juristischen Sinne erheblichen Vorschub geleistet habe.

In einem Interview mit dem Kulturmagazin Monopol äußerte unterdessen auch der Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung, Martin Sabrow, grundsätzliche Zweifel, ob die Frage nach der Rolle der Hohenzollern von der Geschichtswissenschaft überhaupt eindeutig beantwortet werden kann. Das zeige sich schon an den vier in dem Fall vorliegenden Gutachten, die aus ihrem jeweils herangezogenen Quellenmaterial gegensätzliche Schlußfolgerungen ableiteten. „Historische Urteile folgen nie der Ja-oder-nein-Logik der gerichtlichen Entscheidungsfindung, sondern verstehen sich immer als zeitbedingt, revisionsfähig und perspektivenabhängig.“ Wenn die Richter in einem möglichen Prozeß der Auffassung folgen, daß die Frage, ob der Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet hat, nicht eindeutig beantworten kann, liefe es auf eine Entschädigung der Hohenzollern hinaus.

Unterdessen gab es im Rechtstreit um die Ansprüche der Hohenzollern auf Burg Rheinfels bei St. Goar in Rheinland-Pfalz eine außergerichtliche Einigung. Demnach erkennt das Haus Hohenzollern die Eigentumsrechte der Kleinstadt an der Burg, die bis 1924 im Besitz der Hohenzollern war, unwiderruflich an. Im Gegenzug werde St. Goar künftig mit der gemeinnützigen Prinzessin-Kira-von-Preußen-Stiftung zusammenarbeiten und zur Unterstützung einen Aufschlag auf den Eintrittspreis der Burgruine erheben.