© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Der Deutsche Gasmarkt ist begehrt
Energiepolitik: US-Sanktionen stoppen zweite Ostseepipeline / Lieferkonkurrenz belebt das Geschäft
Albrecht Rothacher

Donald Trump sei „der Gegner, er steht für all die Probleme, die wir haben“, empörte sich Robert Habeck auf dem Weltwirtschaftsform in Davos. Der Grünen-Chef sprach damit vielen Politikern und Journalisten aus dem Herzen, doch solch Undiplomatisches von einem Möchtegernkanzler oder Außenminister in spe kam selbst bei US-Demokraten nicht gut an. Daher baute Habeck in seine Rede in der Bibliothek der Georgetown University in Washington transatlantische Bekenntnisse ein: Die Ostseepipeline Nord Stream 2 sei „ein schwerwiegender geopolitischer und ökologischer Fehler, der die berechtigten Sicherheitsbedenken unserer östlichen und baltischen Nachbarn einfach außer acht läßt“.

Putin will Fertigstellung ohne ausländische Partner

Hatte doch zuvor nach dem demokratisch dominierten Repräsentantenhaus auch der republikanisch beherrschte Senat für US-Sanktionen gegen die Erdgasleitung votiert. Und der von Trump bei einer Zeremonie auf der Andrews Air Force Base (Maryland) feierlich unterzeichnete „National Defense Authorization Act 2020“ enthält nicht nur den 738 Milliarden schweren US-Militäretat (Deutschland: 45 Milliarden Euro), sondern auch extraterritoriale Strafmaßnahmen gegen Firmen und Einzelpersonen, die am Nord-Stream-2-Projekt beteiligt sind. Nach dem Iran-Geschäft der Europäer ist nun die zweite Erdgasleitung durch die Ostsee dran, die von Karelien nach Greifswald führen und die russischen Erdgaslieferungen nach Mitteleuropa ohne den Umweg über die Ukraine, Weißrußland und Polen verdoppeln soll.

Angela Merkel glaubt zwar, daß „dieses Projekt auch durch die neue europäische Rechtssetzung legitimiert ist und daß wir es deshalb zu Ende bringen sollten“, wie die Kanzlerin bei ihrem Treffen mit Wladimir Putin bekannte. Und der russische Präsident kündigte an, Nord Stream 2 „auf eigene Faust“ zum Abschluß zu bringen, „ohne daß ausländische Partner mit einbezogen werden“. Sie stellen sich so gegen eine mächtige Allianz, die im US-Kongreß für jene Sanktionen stimmte, deren Opfer die BASF-Tochter Wintershall, die österreichische OMV oder die Schweizer Firma Allseas sind, die kurz vor Vollendung der letzten 160 Kilometer ihre Arbeit einstellten. Es waren US-Demokraten, die behaupteten, Hillary Clinton habe wegen russischer Intrigen die Wahl 2016 verloren und nicht wegen eigener Unfähigkeit. Sie verbündeten sich mit rechten Republikanern, die die Gas- und Ölinteressen von Alabama, Louisiana North Dakota, Oklahoma oder Texas im Blick haben. Wahlkämpfer Trump setzte sich an die Spitze der Bewegung und verkündete, er müsse die Energieunabhängigkeit Deutschlands und Europas gegen die russische Einflußnahme mit US-Flüssiggas (LNG) verteidigen.

Bislang beliefern die USA vorrangig lukrativere Märkte wie Japan, Taiwan oder Südkorea, denn russisches Pipelinegas ist – weil es nicht verflüssigt und per Schiff transportiert werden muß – billiger. LNG-Terminals zum Andocken gibt im nördlichen Mitteleuropa bislang nur in Dünkirchen, Zeebrügge, Rotterdam, Swinemünde, Königsberg und Memel. Danzig eröffnet erst 2025, schließlich kostet ein großer Terminal einige Milliarden Euro. Bislang dominierte im Westen niederländisches Gas, dessen Förderung zur Neige geht. Mittelosteuropa bezog russisches Gas – und das alles via Pipelines, die alle hundert Kilometer nur eine Kompressorstation brauchen und nicht wie LNG energetisch aufwendig und gefährlich ver- und entflüssigt werden muß. In Südeuropa wurde und wird arabisches und künftig auch solches aus den neuen Funden bei Zypern freilich als LNG angelandet – sofern es auch dort nicht per „Turkstream“ über die Türkei aus Rußland kommt.

LNG-Häfen in Brunsbüttel, Stade oder Wilhelmshaven?

Gas hat im Gegensatz zum Erdöl die Eigenschaft, daß es leicht zu fördern aber schwierig zu transportieren und zu lagern ist. Lange wurde es deshalb als Beiprodukt der Ölförderung schlicht abgefackelt, so zu Sowjetzeiten und jetzt noch auf manch arabischem und US-Ölfeld. Die USA weiteten schon unter Barack Obama das ökologisch umstrittene Fracking aus. 2018 stiegen sie zum weltgrößten Ölproduzenten auf. Auch die Erdgasförderung übersteigt bald den Verbrauch in „God’s own Country“ – das erklärt den politischen Druck. Trump nennt es „Freiheitsgas“, das er den Europäern als Exportschlager aufzwingen will. Für seine Wiederwahl und die Wahlspenden der Energieindustrie braucht er solche martialischen Ankündigungserfolge.

Zweifellos ist Gasprom als russischer Staatsmonopolist – und Selbstbedienungsladen der Kreml-Kamarilla – ein eigenwilliger Erdgasversorger. In den Endlosdisputen mit dem Transitland Ukraine drehte er gelegentlich im Winter für „Wartungsarbeiten“ kurz mal den Gashahn zu. Dann wurde es in Bulgarien oder der Slowakei sehr kalt. Auch variieren die Gaspreise je nach Abhängigkeit. So klagte der frühere Hürriyet-Chef Bülent Mumay vorige Woche in der FAZ, daß Rußland „tausend Kubikmeter Erdgas für 110 bis 120 Dollar nach Europa verkauft, die Türkei dafür aber 250 bis 280 Dollar zahlen“ müsse.

Doch auch hier gilt: Je mehr Lieferanten, desto besser für den Abnehmer. Grundsätzlich muß das einmal geförderte Gas geliefert werden, denn die unterirdischen Speicherkapazitäten sind begrenzt. Im Energiewendestaat Deutschland, der – dank der Großen Koalition und der faktisch mitregierenden Grünen – industriepolitisches Harakiri betreibt, ist nach dem beschlossenen Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom der amerikanisch-russische Gasstreit nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht. 

Ob die Pipeline im ersten Quartal 2021 in Betrieb geht, wie Putin verspricht, ist ungewiß. Daß Nord Stream 2 fertiggebaut wird, ist wohl sicher. Wann in Brunsbüttel, Stade oder Wilhelmshaven ein großer LNG-Hafen den Betrieb aufnimmt, ist fraglich. Umwelt- und Bürgerinitiativen mobilisieren dagegen: „Die Gasleitung würde mitten durch das Marschland laufen und Wasserwege durchschneiden, die auch für die Landwirtschaft wichtig sind“, warnte Boris Steuer, Vorstand der Arge Umweltschutz Haseldorfer Marsch im Tagesspiegel. „Man kann hierzulande nicht Fracking ablehnen und das entsprechende Gas dann aus den USA importieren.“

Der Hauptstadtflughafen BER oder „Stuttgart 21“ mahnen zur Skepsis, doch Gas-Konkurrenz belebt das Geschäft und dämpft die Energiepreise. Daß die EU einmal mehr keine Möglichkeit findet, sich gegen US-Erpressungen zur Wehr zu setzen steht auf einem anderen Blatt. Zu Zeiten Willy Brandts und Helmut Schmidts fand sich noch der Mut, sich US-Sanktionen zu widersetzen: Mannesmann und Thyssen lieferten Pipeline-Rohre, die devisengierige Sowjetunion Erdgas, Öl und sogar Uranbrennstäbe.

 germanlng.com

 www.nord-stream2.com/

 congress.gov/





Die neue Energiedominanz der USA

Bis 2014 war der Erdölverkauf ins Ausland in den USA aus strategischen Gründen verboten. Durch die Ausweitung des Frackings ist die stärkste Militärmacht seit 2018 vor Saudi-Arabien und Rußland der weltgröße Ölförderer. Auch beim bislang vor allem selbst verbrauchtem Erdgas wurde 2019 eine Exportinitiative gestartet: Die Erhöhung der Ausfuhrkapazitäten von Flüssiggas (LNG) sei „entscheidend für die weltweite Verbreitung von Freiheitsgas“, heißt es in einem Strategiepapier des Energieministeriums. Man wolle den US-Verbündeten „eine vielfältige und erschwingliche Quelle sauberer Energie zur Verfügung“ stellen. Höhere LNG-Exporte brächten „Arbeitsplätze in den USA und mehr Wirtschaftswachstum im Inland sowie sauberere Luft hier zu Hause und auf der ganzen Welt“. 2018 waren die USA mit 831,8 Milliarden Kubikmetern – vor Rußland (669,5), Iran (239,5), Kanada (184,7), Katar (175,5), China (161,5), Australien (130,1), Norwegen (120,6), Saudi-Arabien (112,1) und Algerien (92,3) – der größte Erdgasförderer. (fis)