© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Weltanschauung statt Wirklichkeit
Kulturbetrieb: Agitprop-Aktivisten deuten Kritik und Widerspruch als Angriff auf die Kunstfreiheit um
Thorsten Hinz

Die Platzhirsche des Kulturbetriebs, die großen Medien und etablierten Politiker sind sich einig: Die Kunstfreiheit steht unter Druck, und zwar von rechts! „Rechte Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, wollen in Spielpläne eingreifen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur“, heißt es in der „Erklärung der Vielen“, und die Süddeutsche Zeitung ergänzt: „Manchmal sind es anonyme Haßmails oder Mord- und Bombendrohungen. Manchmal sind es Strafanzeigen, Störaktionen, Demonstrationen gegen Kunstprojekte oder Polemiken gegen angeblich ‘hohle Experimente und dümmliche Willkommenspropaganda’ an Theatern, Opern, Museen. Manchmal sind es Anfragen und Anträge der AfD in Parlamenten, Stadträten und Kulturausschüssen.“ Eine ZDF-Doku warnt vor dem „Kulturkampf von rechts“, und ein Feature im Deutschlandfunk (DLF) konstatiert die „Rechte Kulturstörung“.

Als Kulturstörer identifiziert wird unter anderem ein AfD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, der die politische Einseitigkeit subventionierter Kultureinrichtungen kritisiert und anmahnt, „sobald staatliche Förderung drin ist, sollte man (...) die Neutralität einhalten“. Falsch!, donnert es ihm entgegen, denn nach Artikel 5 des Grundgesetzes soll die Kunst in Deutschland nicht neutral, sondern „frei“ sein. Prompt ergreift Intendantin Shirmin Langhoff, die das Berliner Gorki-Theater in eine Multikulti-Propaganda-Bühne verwandelt hat, die Gelegenheit, sich als besorgte Verfassungsschützerin in Szene zu setzen: „(...) da wird einfach mal das Grundgesetz ignoriert“. An ihrem Haus bedeutet Kunstfreiheit, Andersdenkende mit brauner Farbe zu beschmieren. Ein Text des AfD-Kulturexperten Marc Jongen dient in der Inszenierung „Gorki – Alternative für Deutschland“ als Vorlage für eine Darbietung in Goebbels-Manier.

Symbolischer Protest gegen die linke Dominanz

Ähnlich die Berliner Schaubühne, wo im Theaterstück „Fear“ Persönlichkeiten aus dem konservativen Spektrum wie Birgit Kelle, Gabriele Kuby und Beatrix von Storch als Nazi-Wiedergänger verunglimpft und in Zusammenhang mit dem Massenmörder Anders Breivik gebracht wurden. Als die Betroffenen sich juristisch zur Wehr setzten, bewertete der Schaubühnen-Leiter das als „Angriff auf die Kunstfreiheit“.

Als Opfer der Rechten posiert auch Philipp Ruch, Chef des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS), der dem AfD-Politiker Björn Höcke eine Miniaturausgabe des Berliner Holocaust-Mahnmals vor die Haustür stellte, das staatliche Geschichtsbild duplizierte und als Psychoterror-Keule auf Höcke und seine Familie niedersausen ließ. Diese Übergriffigkeit löste immerhin staatsanwaltliche Ermittlungen aus, die jedoch unter medialem Druck eingestellt wurden, so daß Ruch in der ZDF-Dokumentation maliziös verkünden konnte, die Untersuchung hätte nicht ihm, sondern dem Ermittler geschadet. 

Es geht diesen Leuten statt um die Freiheit der Kunst um den exklusiven Zugriff auf die Kulturinstitutionen und auf das Steuergeld. Außerdem möchten sie ihre politischen Leidenschaften aus der Position der Stärke hemmungslos am Gegner ausleben dürfen. Deshalb erklären sie Kritik und Widerspruch zu Angriffen auf ein Verfassungsgut, das sie praktischerweise monopolistisch verwalten. Sie verfügen über ein neofeudales Politik- und Kunstverständnis und fürchten nichts so sehr wie die Evaluierung ihrer Hervorbringungen unter der Voraussetzung der Waffengleichheit,. Sadistische Machtlust, Unsicherheit und Feigheit bilden die mentale Grundierung.

Tatsächliche Anschläge auf die Kunst- und Meinungsfreiheit von Andersdenkenden werden mit Schadenfreude oder Gleichgültigkeit quittiert. Im Sommer 2019 fand bei einem Mitglied der NRW-Identitären eine Hausdurchsuchung statt. Der Betreffende stand im Verdacht, mit anderen Aktivisten auf einem Campus-Gelände Lebensmittelfarbe verkippt zu haben als symbolischer Protest gegen die linke Dominanz an deutschen Hochschulen. Weder Greenpeace noch das ZPS haben vergleichbare Reaktionen des Staates erlebt noch zu befürchten.

Die politisch-ideologische Essenz des subventionierten Kulturbetriebs läßt sich beispielhaft anhand einer Abschlußarbeit zum Thema „Interkultureller Austausch im Theater“ darstellen. Entstanden ist sie Ende 2015 an der Theaterpädagogischen Akademie in Heidelberg, die Theatermacher und -pädagogen ausbildet. Mit größter Selbstverständlichkeit wird die Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen als Agentur der „interkulturellen Pädagogik“ mit klarer „Zielsetzung“ und „zentralen Leitkategorien“ fixiert. Dazu gehören „Akzeptanz und Pflege der Vielfalt der Kulturen“ sowie „neben Pluralität auch Differenz und Fremdheit“. Der „produktive, handlungsorientierte Umgang“ mit ihnen soll „geschult“ und „handlungspraktisch umgesetzt werden“.

Unterschiede und Fremdheit würden „in den Medien als negativer Faktor dargestellt“; die Theaterarbeit müsse darauf hinwirken, sie „in einem positiven und Vielfalt-bringenden Licht zu sehen“ und „bewußt positive Aspekte“ herauszustellen. Der fehlende „Sprachkonsens“ lasse sich durch „niederschwellige Übungen“ kompensieren, etwa durch „gemeinsame Grundrhythmen“, die „im Kreis stehend“ erarbeitet werden. Der Rhythmus beruht auf dem Herzschlag, der jeden Menschen begleitet. „Diesen bewußt mit anderen nachzuempfinden kann ein erster Brückenschlag, eine erste Plattform gemeinsamen Gruppenerlebens ermöglichen“, heißt es in verunglücktem Deutsch.

Doch selbst die Autorin glaubt nicht, daß der vorkulturelle, vegetative Konsens ausreicht, um ethnische und kulturelle Unterschiede zu überbrücken und empfiehlt daher die „Arbeit mit der Neutralmaske“. Das Verschwinden des „persönlichen Gesichts“, der „Mimik und Sprache“ hinter einer weißen Gesichtsmaske soll ein „in-die-Gleichheit-Gehen“ ermöglichen und „Unsicherheit und Hemmungen“ abbauen. Durch „körperlichen Ausdruck und die Kommunikation über den Körper“ kommt es zum  „Austausch auf eine ganz andere Art“.

Politisch korrekten Kitsch dekonstruieren

Die Kehrseite ist die Verleugnung der Identität. Das Versprechen, jeder Einzelne brächte „sein individuell Eigenes ein, mit dem Ziel gemeinsam etwas Neues zu schaffen“, wird so ad absurdum geführt. Vielmehr verschwinden alle in einer gesichtslosen, choreographierten Masse. Auf das Staatsvolk hochgerechnet, wird die Konstituierung einer Schmelztiegel-Nation mittels primitiver Initiationsriten modelliert. Die Indoktrination soll bereits „bei den Kleinen“ ansetzen, denn „Kinder sind die Zukunft“.

Unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, ist die politisierte Kunstproduktion eher der Abteilung Agitation und Propaganda zuzurechnen. Kunst ist ein besonderes Medium, es fordert den Intellekt, löst Emotionen aus und eröffnet Räume der Imagination, in denen man die realen Grenzen überschreitet.

Kunst bindet unterschiedliche Schichten der Wirklichkeit zusammen: Zum einen die Schicht der empirischen Erfahrung und der Informationen über die Welt. Zum anderen die archäologische Tiefenschicht, den Bereich des Unbewußten, der anthropologischen Konstanten, der in Mythen, Religionen und Überlieferungen gespeicherten Erfahrungen.

Eine dritte Schicht bildet die normative Wirklichkeit; sie umfaßt die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, die das Leben der Individuen und der Gesellschaft strukturieren; die Werturteile, Moralvorstellungen, Weltanschauungen, ethischen Normen, politischen Haltungen. Viertens schließlich gibt es die Schicht der prophetischen Wirklichkeit, wo die Zukunft antizipiert und die für wahrscheinlich gehaltenen Konsequenzen aus Vergangenheit und Gegenwart gezogen werden. In den Utopien und Dystopien hat die Prophetie sich als eigenes Genre etabliert.

In der politisierten beziehungsweise Agitprop-Kunst wird der normative Bereich durch politische und moralische Imperative okkupiert und tritt herrisch in den Vordergrund. Die Welt wird nicht gezeigt, wie sie war, ist und voraussichtlich sein wird, sondern wie sie gemäß der favorisierten Weltanschauung sein soll. Die anderen Bereiche werden verdrängt, verfälscht oder banalisiert. Das „interkulturelle Theater“ zeigt nicht die Wirklichkeit der Begegnung mit Fremden, sondern bebildert eine gutmenschliche Fremden-Ideologie.

Ideologien scheuen die empirische Wirklichkeit wie der Teufel das Weihwasser. Islamismus, Clan-Wesen, Messer-Männer kommen entweder nicht vor, werden folkloristisch verharmlost oder auf falsche Kausalitäten zurückgeführt. Die archäologische Wirklichkeit, die tief verinnerlichten Triebstrukturen, die ewigen Aggressionen, Ängste, Abwehr- und Beuteinstinkte, werden ausgeblendet, weil sie dem Propaganda-Bild der allumfassenden Harmonie entgegenstehen. Und auf der Prophetie-Ebene wird ignoriert, daß die Angehörigen selbstbewußter Kulturen und lebendiger Religionen sich keineswegs auf ihre Einschmelzung einlassen, sondern darauf hinarbeiten, die gesellschaftliche Choreographie in die eigenen Hände zu nehmen. 

Kunst, die den Namen verdient, muß sich die Freiheit nehmen, den politisch korrekten Kitsch – eine spezielle Variante der Rosamunde-Pilcher-Filme – zu dekonstruieren. Kann sie das nicht, kann sie weg.