© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Metropole mit Strahlkraft
Künstlerischer Aufbruch: Eine Ausstellung im Schlesischen Museum erinnert an die Avantgarde in Breslau
Paul Leonhard

Zum Ende des Bauhaus-Jubiläums ist es erneut das Schlesische Museum zu Görlitz, das in einer kleinen Sonderausstellung den Blick nach Osten richtet: auf die niederschlesische Metropole Breslau, in der zahlreiche architektonische Schätze der Moderne zu entdecken sind.

Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist die Oderstadt mit 500.000 Einwohnern nicht nur die fünftgrößte des Kaiserreiches, sondern auch eine der am dichtesten bevölkerten Städte. Die Wohnungsnot nimmt nach Kriegsende durch den Zuzug aus dem Osten noch zu. Die schlesische Provinzhauptstadt sei ein „feuchter, unfreundlicher Ort im preußischen Sibirien“, wo statt Autos „behäbig schaukelnde Pferdedroschken“ das Straßenbild bestimmten, wie despektierlich der Lyriker Klabund formuliert. Andere Schriftsteller schätzen dagegen diese vom „Mittelalterlich-Dämonischen“ (Alfred Kerr) bestimmte Atmosphäre. Max Herrmann-Neiße spricht gar in einem Rundfunkvortrag 1932 vom „östlichen Paris“.

Diese unterschiedliche Wahnehmung hat mit einer Einwicklung zu tun, die bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einsetzt, aber erst in den 1920er Jahren zum Tragen kommt. Um der Stadt neuen wirtschaftlichen Aufschwung zu verleihen und das Stereotyp der Provinzialität zu widerlegen, wirbt Oberbürgermeister Georg Bender (1891 bis 1912) um innovative Architekten. 

So wird Hans Poelzig1900 als Lehrer an die 1791 gegründete Königliche Kunst- und Gewerbeschule berufen, deren Leitung er von 1903 bis 1916 innehat. Er holt moderne Lehrkräfte wie Hans Rossmann und Ignatius Taschner aus München, setzt Reformen in Struktur und Unterrichtsmethoden durch, sorgt für eine starke Verbindung von Kunst und Handwerk, also daß, wofür später das Bauhaus in Weimar/Dessau berühmt wird. In seiner Amtszeit haucht Poelzig der Akademie jenen „Geist von Aufbruch und Modernität“ ein, der andere Künstler und Architekten magisch anzieht. Breslau scheint – trotz aller spießbürgerlichen Biederkeit – auf den zweiten Blick die Stadt zu sein, wo man sich modernen Konzepten zur Lösung sozialer Probleme offen zeigt, wo Kreativität auf allen Gebieten willkommen ist.

Hochhäuser als städtischer Ausdruck der Moderne

Der Brücke-Künstler Otto Mueller lehrt bereits seit 1919 an der Akademie, Hans Scharoun und Georg Muche werden berufen, Johannes Molzahn leitet die Grafikklasse, Oskar Schlemmer die für ihn neu eingerichtete Bühnenkunstklasse. Max Berg, der gemeinsam mit Poelzig in Berlin und München studiert hat, ist von 1909 bis 1925 Breslauer Stadtbaurat. Mit ihm beginnt auch der Bau von Gebäuden mit vereinfachten Baukörpern aus vorgefertigen Elementen und Stahlbeton als neuem Material. Für Unruhe sorgt Berg, als er für den Schlesischen Wettbewerb zur Umgestaltung Breslaus zusammen mit Richard Konwiarz und Ludwig Mos-hamer als erste deutsche Architekten den Bau von Hochhäusern im Stadtzentrum vorschlägt. 

Zwar stammen die beiden letztlich errichteten Hochhäuser – Lothar Neumanns Postscheckamt (1929) und die Städtische Sparkasse von Heinrich Rump am Blücherplatz (1932) – nicht von Berg, aber dieser hat mit der Jahrhunderthalle mit ihrer 45 Meter hohen Kuppelhalle Breslau als Stadt der Moderne seinen Stempel aufgedrückt. Heute werden Objekte wie sie, aber auch das Geschäftshaus auf der Junkernstraße (Ofiar Oswiecimskich) von Poelzig, das von dem Berliner Architekten Erich Mendelsohn umgebaute Kaufhaus Petersdorff an der Ohlauer Straße (ulica Olawska) mit seinen großen Fensterfronten sowie die Schlesierkampfbahn von Richard Konwiarz, die beim Kunstwettbewerb 1932 in Los Angeles eine Bronzemedaille erhielt, und einige Wohnsiedlungen von Bauhistorikern aus der ganzen Welt als Beispiele der deutschen Moderne wiederentdeckt.

Unter dem Titel „Avantgarde in Breslau“ umreißt die Görlitzer Schau am Beispiel von Gemälden, Lithographien, Fotos, Horspielaufnahmen und zahlreichen Texten das vielfältige Experimentierfeld der Kunst- und Kulturschaffenden zwischen 1919 und 1933. Gezeigt wird der Aufbruch einer jungen Künstlergeneration unter dem Einfluß des Expressionismus.

Theaterintendant Paul Barnay sorgt für Aufmerksamkeit, indem er mehrere aufstrebende Schauspieler engagiert – Heinz Rühmann entläßt er allerdings 1921 mangels Talent – und moderne Stücke aufführt. Dazu kommt, daß der Rundfunksender Breslau unter seinem Intendanten Fritz Walter Bischoff mit Lesungen und Hörfolgen experimentiert. Dank Bischoff und seiner „Rundfunkkneipenkur“ gehen „die besten Geschichtenerzähler, von Brecht über Zuckmayer bis zu Kästner, und ihre Musikanten- und Komödienfreunde aus und ein“. 1929 wird das Hörspiel „Leben in dieser Zeit“ mit Texten von Erich Kästner gesendet.

Fehlendes Interesse an zeitgenössischer Kunst

Richtig zum Durchlauferhitzer für junge, unkonventionelle Künstler wird die Akademie unter ihren Direktoren August Endell und Oskar Moll (ab 1924). In dieser Zeit sei sie zu einer „Institution mit europäischer Strahlkraft“ geworden, schreibt Kuratorin Johanna Brade in ihrem hoch informativen Ausstellungskatalog. Im Umfeld der Akademie hoffen Künstler auf großzügige Sammler und Mäzene unter dem zu Wohlstand gelangten Breslauer Bürgertum. So organisiert der Berliner Galerist Herwarth Walden Anfang Oktober 1918 am Tauentzienplatz eine Ausstellung mit Gemälden von Franz Marc und Marc Chagall. Expressionistische Plakate und kubistische Bilder zeigt im April eine Ausstellung der Ortsgruppe Breslau des Vereins der Plakatfreunde.

So richtig geht die Rechnung aber nicht auf. Die Idee, die Jahrhunderthalle für Ausstellungen, Vorträge und Dichterlesungen zu nutzen, scheitert am fehlenden Interesse der Breslauer. Auch dem Künstlerbund Schlesien gelingt es nur bedingt, das Publikum für zeitgenössische Kunst zu begeistern. In einem Text zur Herbstausstellung 1924 heißt es: „Ihr sollt wenigstens kommen und gucken, nachher mögt ihr schimpfen und spucken!“ Wenigstens Interesse sollten die „lieben Breslauer“ zeigen.

Die Avantgarde zieht Richtung Berlin und Dresden

Trotzdem bleibt Breslau eine Stadt, in der alle „schon mit einem Auge nach der Hauptstadt des Reiches schielen“, wie Ilse Molzahn im September 1929 in ihrem Beitrag „O Wratislawia!“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung die Stimmung schreibt: Breslau sei eine „Metropole der Heimatlosen, Herberge der Fantasten und Abenteurer, Bettler aus Osten und Westen, umweht vom Alkohol und dem allgegenwärtigen Duft der Wurstbuden“. In Breslau sei „alles und alle provinzieller geworden, banaler, spießiger“, notiert zwei Jahre später Herrmann-Neiße. Und so endet alles 1932, als die Akademie infolge der zweiten Brüningschen Notverordnung geschlossen wird. Die Avantgarde verläßt die Stadt gen Berlin und Dresden.

Beispielhaft zeigt die Ausstellung mit Karikaturen der Protagonisten – köstlich die Darstellung Poelzigs durch Willibald Krain mit der Unterschrift „Det Ding hat was!“ – aquarellierten Bleistiftzeichnungen von Hans Leistikow, Ölmalerei und Lithographien von Oskar Moll, Bronzegüssen von Marg Moll die ganze Breite des damaligen künstlerischen Schaffens. Ebenso sind Werke von Alexander Kanoldt, Carlo Mense und Paul Holz zu sehen. Höhepunkt ist zweifelsohne das großformatige Gemälde „Treppenszene“ von 1932. Allerdings handelt es sich nicht um das von Oskar Schlemmer gemalte Original, sondern um eine von seinem Bruder Carl „Casca“ Schlemmer in Originalgröße gefertigte Kopie. Johannes Molzahns Ölbild „Gedächtnis Otto Mueller“ von 1930 wurde als Titelbild für die Exposition gewählt, die auch mit weiterer Ölmalerei Molzahns aufwartet.

Während die Ausstellung im Schönhof in Görlitz am 23. Februar endet, bleibt für Interessierte der von Johanna Brade erstellte Katalog (9,50 Euro), in dem sie detailliert über den Pagadigmenwechsel an der Kunstakademie unter dem 1918 neu eingesetzten Endell berichtet sowie den Einzug des französischen Neoimpressionismus und des deutschen Frühexpressionismus mit der Berufung von Oskar Moll und Otto Mueller.

Die Ausstellung „Avantgarde in Breslau 1919–1933“ ist noch bis zum 23. Februar im Schlesischen Museum zu Görlitz, Brüderstraße 8, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Fr. – So. bis 18 Uhr, zu sehen.

 www.schlesisches-museum.de