© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

„Die Menschen sind eine brennende Fackel“
Dokumentation: Eine Dresdnerin überlebt das Inferno vom 13. Februar 1945 in einem Kellerteil der Kreuzkirche

Den hier dokumentierten Brief schrieb die Dresdnerin Frau J. an ihren Mann im Lazarett, Poststempel vom 27. März 1945. Er ist im Besitz des Historikers Wolfgang Schaarschmidt und in seinem Buch „Dresden 1945. Daten, Fakten, Opfer“ (Ares Verlag, Graz 2018, 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, 323 Seiten, gebunden, 29,90 Euro) enthalten. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. 

„Doch beginne ich erst einmal der Reihe nach, Du Liebster, Guter, sonst findest Du Dich gar nicht zurecht! (...) Deine letzten Zeilen aus Schewitz, inmitten der Russen, senkten die Bitternis am Großangriffstage auf Dresden in mein Herz. Was jetzt kommt, ist unendlich schwer und bitter, aber es ist zu meistern, nie war ich stärker und zuversichtlicher, trotz allem schwarzen Himmel um uns. – Aber Gott ließ uns Drei leben – Wir badeten noch einmal, packten zusammen,– Abend halb 10, H. war grad aus der Wanne [ihr 15jähriger Sohn], Alarm – Aber zu spät gegeben, wir konnten nur mit Mühe den Keller erreichen – hinstürzen und ein fürchterliches Bersten war eins – wir zwei lagen vorn im Gang, ich fürchtete, alle Knochen in uns seien zerbrochen – Volltreffer im Luftschutzkeller. 

Einsam, vom ganzen Hause allein übrig, standen wir da – vorn und hinten rannen die Bäche der Phosphorkanister herein – Glut, Flammen. H. hatte seine zwei Beile wie üblich im Koppel umgeschnallt und indem alles wankte und glühte, schlug der Tapfere für uns zwei Verlassenen ein Loch, kaum groß genug, hindurch zu kriechen, und er bat, ‘Tu es, für Vater, für mich’. So standen wir, inmitten Abwurf und Flammen (unser Treppenhaus hatte eine Preßluftbombe herausgefegt) und wollten fort! Doch – bis zur Wach- und Schließ – von der Ecke an, stürzte bereits die brennende Bankstraße zusammen. Ausgang Bürgerwiese also zu – vor – doch da stürzte Friese [Frisörsalon Friese] vollkommen in sich ein, Bankstraße 2 ebenso – wir rannten verzweifelt in die Behnsch-Druckerei, die in hellen Flammen. Im Keller lag alles tot, nur ein paar der Werkfeuerwehr – aber ohne einen Tropfen Wasser in der Leitung (ganz Dresden) gaben uns zwei Decken und jagten uns mit den Worten davon: Hinaus, es stürzt jede Minute alles ein! Die Decken in ein Wasserfaß, so triefend, und eingewickelt alles unter H.s kurzen Befehlen – standen wir im Angriff! Trümmer, brennende Menschen, Phosphor – also durch – Ufa, Dresdensia, Waisenhausstraße. Ein brennendes Meer – es stürzte ein – weiter – nach Freiheit, doch zu spät, Pfarrgasse, Rathaus, alle die Gassen (ich wollte, da alle Straßen nach dem Großen Garten, Bürgerwiese, Georgplatz ein brennendes Meer waren, nach der Elbe) – umsonst – auch da nur Brand, Trümmer, brennende Menschen, Gluthitze – da, ein Haus, noch nicht brennend – hinein.

Wir erfuhren: Große Kirchgasse – Münchner Hofbräu! Man gab uns zu trinken – aber weiter? Nein, der Altmarkt gesperrt, da alles eingestürzt – nach der Elbe alles zu – umsonst, der Flammenring geschlossen! (...) Luftmine, das Rathaus bricht ein – wohin? Nur Flammen, weiß gleißende Wän­de, Sturm, Abwurf, Brand – undurchdringlich – die Luft – der 2. Angriff fürchterlich – Luftmine! Es geht nicht weiter – in die brennende Kreuzkirche, die Portale brennen, die Menschen, die hier stehen, sind eine brennende Fackel – aber hinein, alles scheint umsonst. H. tastet weiter, nimmt mich am Kragen, eisern – da eine Treppe hinab – da ist Wasser, ein Rohrbruch, eine eiserne Tür auf – Entsetzen: das hier abgestellte Gestühl lodert mit maschinengleichem Lärm – die Tür zu, und H. zerrt mich, nicht mehr könnend in das Wasser: und so liegen wir in dieser Ecke, fast besinnungslos – ganz einsam – neben uns das Rasseln des Feuers – über uns Einsturz – um uns Zeitzünder Krachen – und die Nacht ist grausam und lang – kein Morgen? Unsere geschlagenen Knochen schmerzen, der Atem brennt – gelbe Rauchschwaden über uns – das Hindämmern ist halb bewußtlos – man will nichts mehr – Nässe, Kälte, Schrecknisse – wie lange? Halb 10 begann es – da – die Sorge – ist hier noch ein Ausgang? Die eiserne Tür ist zu – durch Hitze verklemmt – nach oben? Also Decken – doch da ist kein Durchkommen – Flammen – und vor den Wänden langhin, kleine, aber die Stahlhelme noch auf den Köpfen, schwarz verbrannte Menschen – gelber, dicker Brodem vom Brand – hinunter – es gibt wohl keine Rettung?

Halb 8 – ein Aufblitzen einer Lampe – ein verwunderter Ruf: ‘Ihr lebt hier?’ – Waffen-SS-Hilfstrupp – o Gott – und er redet mit uns und sagte: ‘Retten wollen wir Euch, aber was ihr jetzt seht und erlebt, da brecht ihr zusammen!’ Eisern wir, H. von einem an das Armgelenk genommen, eisern ich – und nun beginnt ein Schleifen und Stoßen über Leichenberge, nackt oder verbrannt, sie [die Soldaten] binden sich Taschentücher über die Augen – wir haben nichts mehr, nur unser nacktes Sein – die Haare sind verbrannt – die Haut schwarz und verkrustet – so schleift man uns durch Grausamkeit und Trümmer, durch Rauch und Flammen bis zur Carola-Brücke, dort läßt man uns stehen – ‘Was nun aus Euch wird, wir wissen es nicht!’ Weiter, weiter eilen wir; ich mit einer Hast – aber Flammen und Tote säumen auch hier unseren Weg – bis Blasewitz alles Trümmer, alles Brand – wir sehen voll Glück einander an – wir sind zusammen, wir leben – noch einsamer gehen wir dahin! Mein Ziel der Wald – die Neustadt lodert herüber – ich eile und haste, es ist ein Jagen in mir – Dresdens Zerschlagung von Löbtau bis Tolkewitz/Blasewitz, von Mickten bis Loschwitz ist alles traurige Ruine – nichts. Elli und Dr. Reimann sind erschlagen; in unserem Haus liegen unter über zwei Meter Trümmer 54 – bei der Bämsch [Druckerei] 65 Tote!

Es ist wie ein Wunder, ich selbst habe mir die Statistik gemacht, aus der Innenstadt ist niemand entkommen, im Keller der Kreuzkirche alle Pfarrer tot, im Rathauskeller 520, im Präsidium 460 Tote – 18.000 hat man noch in Gruben beerdigt ... Doch Liebstes, was wirst auch Du Furchtbares durchlebt haben – danken wir lieber Gott, daß wir leben und verlieren nicht den Mut auf ein baldiges Wiedersehen ...“