© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Mila. Der Fall der Schülerin entzündet das multikulturelle Konfliktpotential Frankreichs
Die bittere Wahrheit
Eva-Maria Michels

Es begann mit einem privaten Livechat, wie sie täglich wohl millionenfach im Internet stattfinden, und mündete in der erbitterten Debatte, die in Frankreich derzeit darüber geführt wird, wieviel Redefreiheit es im Land noch gibt.

Auf Instagram sprach die 16jährige Schülerin Mila, eine gepiercte Lesbe mit lila Haaren, mit einer anderen darüber, welchen Frauentyp sie bevorzugen – für beide gehörten Araberinnen nicht dazu. Daraufhin schaltete sich ein Unbekannter ein und bezichtigte Mila des Rassismus. Der Streit entwickelte sich in Richtung Religion. Mila schleuderte dem Unbekannten entgegen: „Ich hasse Religion. Der Koran ist eine Religion des Hasses … Ich bin nicht rassistisch. Man kann gegenüber einer Religion nicht rassistisch sein ... Ich sage, was ich denke. Das ist mein Recht ... Eure Religion ist Scheiße, euren Gott ficke ich. Ihr beleidigt mich und bedroht mich mit dem Tode, das ist das einzige, was ihr könnt.“

Über Twitter verbreitete sich das Video wie ein Lauffeuer. Mutmaßlich Sympathisanten des Jungen machten Milas Identität und ihre Adresse ausfindig und stellten beides ins Internet. Inzwischen kann sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr am Schulunterricht in ihrem Heimatort Villefontaine teilnehmen. Die Stadt zählt zu den sozial schwachen Gemeinden im Großraum Lyon und beherbergt die zweitgrößte Moschee des Départements Isère und eine große Einwanderergemeinde. Mila – deren Nachname nicht bekannt ist, von manchen im Internet aber mit Orioll gehandelt wird – gibt an, Morddrohungen zu erhalten: Sie, die „gottlose Schlampe“, solle gemäß dem Koran bestraft werden. So reichte sie bei der Staatsanwaltschaft Klage ein.

Doch wer annimmt, die Minderjährige genieße trotz ihrer Entgleisung ungeteilte Solidarität, sehe sich getäuscht, so klagen zumindest die rechten Medien Frankreichs und kritisieren, daß die Staatsanwaltschaft parallel ein Verfahren gegen Mila wegen „Anstiftung zum Rassenhaß“ einleitete, das sie kurze Zeit später aber fallenließ. Denn Mila habe „eine persönliche Meinung zu einer Religion geäußert“, und das sei kein Straftatbestand.

Weiter angeheizt wurde die Debatte, als der Sprecher des Moslemrates CFCM den Fall im Radio kommentierte: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten … (ihr) Alter ist keine Entschuldigung. Sie hat die Auseinandersetzung gesucht, nun soll sie die Konsequenzen tragen.“ Für Teile der Rechten ist dies der Skandal im Skandal. Sie werfen Regierung und Feministinnen vor, Mila ungenügend vor Islamisten zu schützen und sehen darin den Beweis dafür, daß man sich dem Islam unterwerfe. Doch geht das an der Realität vorbei, denn die liberale Zuwanderungspolitik hat längst dazu geführt, daß es faktisch unmöglich ist, französisches Recht durchzusetzen, da inzwischen so viele Moslems im Land leben. Der Fall Mila zeigt die bittere multikulturelle Realität.