© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Kehrwoche in Böblingen
Sonderparteitag: Die AfD in Baden-Württemberg ist im Dauerkrisenmodus / Neuer Vorstand soll es richten
Christian Vollradt

Die Schlammschlacht von Heidenheim (JF 10/19) wurde vor einem Jahr geschlagen, doch eine Entscheidung brachte sie nicht wirklich. Im Gegenteil. Der baden-württembergische Landesverband ist ein Sorgenkind der AfD geblieben, ist weiterhin zersplittert und zerstritten wie vor dem Wahlparteitag im Februar 2019. 

Zwölf Monate später, am kommenden Wochenende, soll es nun ein Sonderparteitag richten. Mehrere Abwahlanträge gegen den Landesvorstand liegen vor; fast scheint es, als seien die verfeindeten Lager immerhin in dieser Frage einig: Eine neue Führung muß her. Im vergangenen Jahr waren der Landtagsfraktionschef Bernd Gögel und der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel an die Spitze der Südwest-AfD gewählt worden. Von Anfang an knirschte es innerhalb des Vorstands gewaltig, vor allem zwischen Gögel sowie den meisten Vorstandsmitgliedern auf der einen und dem Co-Vorsitzenden Spaniel sowie Schatzmeister Frank Kral auf der anderen Seite (JF 24/19).

Den lähmenden Machtkampf zu beenden, die „Zeit der innerparteilichen Grabenkämpfe“ zu beenden – mit diesem Anspruch wird die Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Alice Weidel, in Böblingen für den Landesvorsitz kandidieren; und zwar unabhängig davon, ob sich der Parteitag für eine Einzel- oder Doppelspitze ausspricht. Sollte es bei letzterer bleiben, wäre der Bundestagsabgeordnete Martin Hess ihr Wunschpartner, heißt es aus Weidels Umfeld. Dort ist man sich durchaus bewußt, daß sowohl der noch nicht ausgestandene Streitfall über mögliche Strafzahlungen wegen Spenden an Weidels Kreisverband als auch die Häufung wichtiger Ämter Angriffsflächen für ihre Gegner bieten. Skeptiker wenden ein, das notwendige Ausmisten im Landesverband sei eine Herkulesaufgabe, die den vollen Einsatz fordert. „Das von Berlin aus anzugehen wird nicht funktionieren“, meint ein AfD-Politiker gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Andererseits signalisiert Weidel so dem Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, daß sie vor schwierigen Aufgaben nicht zurückschreckt; Meuthen, dem sie vorwarf, sie 2017 als Landesvorsitzende verhindert zu haben. 

„Interessierte Kreise legen es auf Verleumdung an“

Martin Hess, Innenpolitik-Experte im Bundestag, Hauptkommissar und einst Dozent für den polizeilichen Nachwuchs in Baden-Württemberg, nennt zwei Gründe, warum er trotz seiner Wahlniederlage im vergangenen Jahr noch einmal am kommenden Wochenende seinen Hut in den Ring wirft. „Unsere Außendarstellung ist derzeit desolat, die Versprechen von Heidenheim wurden nicht eingelöst, der Verband ist so zersplittert wie nie“, lautet seine schonungslose Bilanz gegenüber der jungen freiheit. Es brauche nun Leute, die kompetent und teamfähig seien, um die Südwest-AfD zu einen. 

„Der zweite Grund ist: Mich haben sehr, sehr viele Mitglieder angesprochen und gebeten, zu kandidieren“, sagte Hess. Für ihn ist der Hinweis auf sein Mandat in der Hauptstadt kein Argument gegen die Kandidatur: „Zum einen bin ich als Bundestagsabgeordneter ja nicht dauernd in Berlin, sondern auch in Baden-Württemberg präsent und zum anderen kann man im Zeitalter von Telefon- und Videokonferenzen einiges auch aus größerer Entfernung klären“, ist er im Gespräch mit der jungen freiheit gewiß. Hess befürchtet allerdings, „daß es interessierte Kreise auf Verleumdungen gegen Alice Weidel und mich anlegen werden, weil sie schlicht keine überzeugenden Argumente haben“.

Anders als Bernd Gögel, der auf eine weitere Kandidatur verzichten will, geht sein Co-Vorsitzender Dirk Spaniel erneut an den Start. Denn das, was „in Heidenheim zugesagt wurde, ist nicht erfüllt worden“, bilanziert auch er im Gespräch mit der jungen freiheit. Schuld sei seiner Meinung nach die „Blockadehaltung“ des restlichen Vorstands. Daß der AfD-Bundesvorstand gegen ihn möglicherweise Sanktionen  verhängt, weil er auf einer von der Parteispitze einhellig als „gruselig“ verurteilten Demonstration gegen den Südwestrundfunk im Januar gesprochen hatte, habe ihn „überrascht“, so Spaniel. Während der Bundestagsabgeordnete als Experte für Verkehrspolitik und „Mr. Diesel“ in der AfD weithin anerkannt ist, werfen ihm zahlreiche innerparteiliche Kritiker lagerübergreifend vor, nicht teamfähig zu sein. Antreten für den Vorsitz der Landespartei wird auch der Stuttgarter AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Emil Sänze, mit 95 Prozent der Stimmen frisch gekürter Kandidat der Partei im Wahlkreis Rottweil für die Landtagswahl 2021. Er gilt als bestens vernetzt im „Ländle“. Innerparteiliche Gegner halten den Repräsentanten der Partei-Rechten hingegen für den „Totengräber der Südwest-AfD“. 

Spannend wird die Frage, wie viele Anhänger die mobilisieren können, die sich selbst gern als „Rebellen“ der Partei sehen, wie etwa die beiden Landtagsabgeordneten Christina Baum oder Stephan Räpple. Intern werden sie von manchen dem „Burladingen-Flügel“ zugeordnet – nach einem Treffen von Unterzeichnern des sogenannten „Stuttgarter Aufrufs“ (JF 45/18) in der gleichnamigen Stadt auf der Schwäbischen Alb (JF 9/19). Auf dem Bundesparteitag in Braunschweig Ende vergangenen Jahres war auffällig, daß sie – auch innerhalb des „Flügels“ – recht isoliert dastanden. So fand etwa Stephan Räpple für seinen satzungsändernden Antrag zur Abschaffung der Unvereinbarkeitsliste keinen einzigen Fürsprecher unter den Delegierten; und Wolfgang Gedeon wurde in der Volkswagenhalle ausgebuht, zahlreiche AfD-Delegierte verließen während seiner Rede ostentativ den Saal.  

Doch Gedeon ist im Antragsbuch des Böblinger Sonderparteitags gleich mehrfach vertreten. Quasi in eigener Sache fordert er etwa, gegen den „Mißbrauch von Parteiausschlußverfahren“ vorzugehen, durch den „innerparteiliche Meinungsfreiheit und Demokratie zerstört“ würden. Andere Antragsteller wiederum fordern, der Parteitag „möge beschließen, daß in Zukunft gegen jedes Mitglied, das sich in der Öffentlichkeit abfällig oder abwertend gegenüber einem anderen Mitglied äußert, automatisch ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet wird“. Wieder andere wollen eine detaillierte Kostenaufstellung für sämtliche Ausschlußverfahren der vergangenen drei Jahre. Ein Spiegelbild der innerparteilichen Zustände.

Während Beobachter das Rennen um den Parteivorsitz für völlig offen halten und nicht ausschließen, daß noch ein Überraschungskandidat aus dem Hut gezaubert wird, sind sich viele in einem sicher: „Die Stimmung wird sehr aufgeheizt sein.“