© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Der Schwedenbändiger
Vor 400 Jahren wurde der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg geboren
Eberhard Straub

Der Große Kurfürst, vor vierhundert Jahren am 16. Februar 1620 geboren, ist auch heute noch vor allem wegen Andreas Schlüter als großartig gegenwärtig: Dessen Reiterdenkmal, 1703 auf der Langen Brücke in unmittelbarer Nähe des Königlichen Schlosses aufgestellt – seit 1950 vor dem Charlottenburger Schloß gleichsam im Exil – gehört zu den eindrucksvollsten Werken monarchischer Repräsentation in Europa. 

Der schon zu Lebzeiten nicht nur von seinen Untertanen als großer Herrscher gefeierte Markgraf von Brandenburg Friedrich Wilhelm wurde von Andreas Schlüter als das Ideal des edlen Ritters und der Ehrfurcht gebietenden Majestät veranschaulicht. Immerhin entsprach dieser nach dem Kaiser vornehmste Reichsfürst den meisten Anforderungen, die mit der Repräsentation Majestät seit der römischen Spätantike verbunden waren: Schönheit, Mut, geistige und praktische Energie, Weitsicht und Gelassenheit, die aber gar nicht den erhabenen Zorn ausschlossen, wenn Staatsdiener sich als unwürdig erwiesen. 

Dieser vorbildliche Herrscher war der Inbegriff adliger civilitas, die jede Autorität liebenswürdig machte aufgrund von formaler Umgänglichkeit, Einfachheit und Geistesgegenwart, ohne je die Majestät vergessen zu machen, die der Amtmann der göttlichen Majestät auf Erden, als den sich Friedrich Wilhelm verstand, gar nicht vernachlässigen durfte. Wenn es angebracht war, umgab er sich daher mit dem Pomp barocker Festlichkeit. Höfischer Prunk war keine luxuriöse Laune. Er verwies als Vorahnung auf den Glanz des himmlischen Hofes um Christus, den König aller Könige. Gott und die Schönheit waren seit jeher ein und dasselbe. Die Höflichkeit erfüllte sich in einer cortesia christiana, in feiner sittlicher Eleganz, ohne die ein christlicher Herrscher ein schrecklicher Barbar und widerwärtiger Naturmensch war, nicht vertraut mit der Vernunft und der Selbstbeherrschung.  

Solche Vorstellungen sind Demokraten vollständig fremd. Sie können nur Lebensformen und Ideen verstehen, die mit den ihrigen übereinstimmen. Genausowenig begreifen sie die umsichtige Staatsräson, die den Herrscher verpflichtete, im Konzert der Mächte eine angemessene, gar bevorzugte Rolle zu übernehmen, um nicht an Reputation zu verlieren und bei wichtigen Entscheidungen gefragt zu werden. Der sehr sorgfältig in den Niederlanden erzogene Prinz, mit den Wissenschaften wie mit den Waffen vertraut, auch ein Kenner der schönen Künste und kluger Beobachter der Interessenpolitik einer Großmacht, trat 1640 die Regierung an über ein Konglomerat verwüsteter und eigenwilliger Landschaften. Es kostete viel Mühe und Umsicht, sich während der Kriegszeiten zu behaupten und, weil ohne Armee und ohne geregelte Einkünfte, nicht schnöde bevormundet und für fremde Interessen ausgenutzt zu werden. 

Sieg bei Fehrbellin 1675 beeindruckte in Europa

Diese Lehrjahre überstand er mit Geschick, zwischen Schweden, Polen oder dem Kaiser lavierend, auf seine Souveränität bedacht, um nicht in Abhängigkeit zu geraten. Der Westfälische Friede von 1648, heute stürmisch als Fundament einer europäischen Friedensordnung gefeiert, war nur ein unzulänglicher Versuch, Kaiser und Reich französischer  und schwedischer Kontrolle zu unterwerfen. Der wichtigste Krieg seit 1618, der zwischen Frankreich und Spanien, über das Haus Österreich aufs engste mit dem Reich verbunden, wucherte noch bis 1659 fort. Auch der Pyrenäenfriede ermöglichte keine allgemeine Ruhe. Die Kriege in Europa auf wechselnden Schauplätzen seit 1650 galten vor allem dem Zweck, den Frieden von Münster und Osnabrück einer Revision zu unterziehen. Der brandenburgische Kurfürst und Herzog von Preußen verstand es, sehr gewandt die Auseinandersetzungen der Schweden und Polen zu seinem Vorteil zu nutzen, den einen gegen den anderen ausspielend, bemüht die Feinde seiner Feinde nicht zu reizen und herauszufordern. 

Als Reichsfürst und Patriot wahrte er gute Beziehungen zum Kaiser und den weiteren Kurfürsten. Sehr bald wurde er zu einem beachteten und umworbenen Staatsmann, der seine verstreuten Provinzen mit Geduld reformierte und regierbar machte, wobei er nicht an Gleichheit der Lebensverhältnisse dachte, sondern viele Besonderheiten berücksichtigte. Der monarchische Staat und Absolutismus strebte nach Einigkeit der Provinzen, nicht nach alle Unterschiedene beseitigender Gleichschaltung. Zur Einigkeit fanden sie vom Niederrhein bis Ostpreußen über die Erfolge ihres Fürsten, der ihnen ein Gefühl dafür vermittelte, eine Gemeinschaft unter der gleichen Dynastie zu bilden, die vom Herrscher bedächtig zu einem Staat mit der zu ihm gehörenden Staatsgesinnung erzogen wurde. Es war die Armee und es waren deren Siege, die ein gemeinsames Selbstbewußtsein ermöglichten, zu einem geachteten und freien Staat zu gehören, was es jedem erlaubte, nicht weiter gedrückt und unterwürfig mit den Angehörigen anderer Staaten zu verkehren. 

Friedrich Wilhelm löste Preußen aus der Lehnsabhängigkeit von Polen und Schweden. Er legte damit das Fundament für das spätere Königreich, das sich nach Preußen nannte, Die Kriege bestätigten ihm, daß Allianzen wichtig, aber eigene Kraft die Voraussetzung bot, das Glück bei der Locke zu packen und die eigene Macht im dauernden Wettbewerb der Mächte zu stabilisieren und auszubauen. Jede Monarchie war auf ein stehendes Heer angewiesen, jeder Staat war ein Militärstaat. Der Unterhalt einer Armee führte zur Rationalisierung der Verwaltung, zu Vorformen staatlicher Wirtschaftspolitik und zu einer gewissen Ordnung im Steuerwesen. 

Die erstaunlichen Siege der Armee über Polen und Schweden – es genügt auf Fehrbellin 1675 zu verweisen – machten Eindruck in ganz Europa, nicht nur im Reich. Bei allem Staatsegoismus vergaß er nie, sämtliche deutsche Kräfte zu vereinen, um Franzosen und Schweden aus dem Reich wieder zu verdrängen und um den Kaiser geschart, den Deutschen als Weltvolk mit ihrem Reich, das viele Völker umschloß, den ihnen zustehenden Rang als europäische Führungsmacht im Einklang mit Spanien, dem Weltreich, zu sichern.

Die großräumigen und stolzen Pläne des großen Kurfürsten scheiterten an der Verzagtheit deutscher Fürsten, die von französisch-deutscher Freundschaft säuselten und 1658 einen Rheinbund mit dem Feind Brandenburgs und des Kaisers schlossen. Sie scheiterten auch an den vielfachen Rücksichten, die der Kaiser in der europäischen Politik nehmen mußte, die ihn zum Nachteil BrandenburgPreußens auch zu Kompromissen mit den gemeinsamen Feinden zwang. Auch Friedrich Wilhelm sah sich genötigt, vorübergehend mit Frankreich zu paktieren, ohne davon den erhofften Nutzen zu haben, so daß er sich wieder dem Kaiser näherte, der in den Türkenkriegen gesamtdeutsche Triumphe feierte, die nach und nach einen festlich-feierlichen Reichspatriotismus förderten, an dem auch der Sohn des Großen Kurfürsten herzlichen Anteil nahm, der mit dem preußischen Königtum das Werk seines großgesinnten Vaters vollendete. 

Vorbereiter des ruhmvollen Glanzes seines Hauses

Erst mit den Siegen im Spanischen Erbfolgekrieg von 1701 bis 1713 über Frankreich gelangten das Reich und Europa zu einer vom Konzert der Mächte geordneten Europäischen Union, in der Preußen als einer der führenden Staaten seinen von nun an unentbehrlichen Platz einnahm. Der Große Kurfürst – 1688 gestorben – war der Vorbereiter späteren ruhmvollen Glanzes seines Hauses, seines Staates und des Reiches der Römer, das in die Hand der Deutschen gelegt, noch einmal ein wahrhaft Römisches Reich wurde. Es versöhnte Völker und Landschaften in Einigkeit und Recht und Freiheit unter dem römisch-kaiserlichen Adler, dabei unterstützt vom aufsteigenden brandenburgischen Adler. Insofern wäre es höchste Zeit, das Denkmal des Großen Kurfürsten wieder auf seinen alten Platz in der Nähe des rekonstruierten königlichen Schlosses zu überführen, das einmal der schönste römische Palast jenseits der Alpen war.