© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Von Kästner, Krockow und Kempowski
„Jeder Jeck is anders“: Harald Gröhler hat eine lesenswerte Schau von Schriftstellerporträts vorgelegt
Rolf Stolz

Darin, daß die Dichter das Bleibende stiften, sind sich mit Hölderlin allzu wenige einig. Mehrheitsfähiger ist schon die von Lombroso in „Genie und Wahnsinn“ (1872) angestoßene Ansicht, daß sie schräge Vögel sind und sein müssen, um kreativ zu sein. Harald Gröhlers Buch „Dichter! Dichter! So begegneten sie mir“ widerlegt diese Sichtweise eher nicht. Der Kölner weiß: „Jeder Jeck ist anders.“ Daher treffen wir in 49 Kapiteln neben dem Schweden Lars Gustafsson, dem Polen Stanislaw Lem, dem Italiener Leonardo Sinisgalli und dem Ungarn Miklós Mészöly mehrere Dutzend deutsche Autoren (plus einige kurz erwähnte) nicht als Geistesheroen, sondern als Menschen mit vielen Widersprüchen. Daß manch Guter nur Edelschrott produziert, während manch verquerer Widerling Großartiges schreibt, sollte Allgemeinwissen sein – auch, daß Kameraderie unter den Einzelkämpfern eher selten ist, Konkurrenzneid bis zum Konkurrentenhaß dagegen betriebsimmanent häufig. 

Subjektive Sichtweisen des Autors fließen mit ein

Wie sagte doch Gabriele Wohmann so liebevoll, als ein Auto des „THW Zivil- und Katastrophenschutz Recklinghausen“ für das dortige Stadtarchiv Unterlagen bei Heinrich Schirmbeck, ihrem Nachbarn in der Darmstädter Dichtersiedlung Rosenhöhe, abholte: „Das paßt – der Schirmbeck ist auch eine Katastrophe.“

Dies ist ein oft heißes, heftiges Buch, das verdammt dicht an seinen Gegenstand herangeht – manchmal aus einer ähnlichen Perspektive wie Rolf Dieter Brinkmann, der auf dem Titelbild 1969 zwischen den Beinen seiner Frau Maleen hindurchblickt. Gröhler, sowohl Dichter als auch Organisator wie Moderator literarischer Lesungen, analysiert nicht als neutraler Außenstehender, erst recht nicht als stummer Begleiter der Autorenfotografin Brigitte Friedrich. 

Er schildert, wie im Buchtitel angekündigt, Begegnungen zwischen 1957 und heute, die als Zusammenprall enden können wie bei Erich Kästner, Alexander Lernet-Holenia oder Christian von Krockow, oder zumindest wie bei Walter Kempowski von Ängsten und Launen des Gegenübers getrübt sind. Die subjektive Sichtweise, die dauerhafte Präsenz Harald Gröhlers, ist ein Strukturprinzip, das nicht allen gefallen mag, aber ehrlicher ist als geheuchelte Objektivität. 

Daher gibt es sowohl sehr gelungene liebevolle Schilderungen etwa des alten Hans Leip, Peter Rühmkorfs oder des nur zeitweise menschlich schwierigen Wolfgang Koeppen als auch ein theaterreifes Pantomimenerlebnis mit dem (aus Angst vor der Linse oder dem Weibe?) herumzickenden Hans Magnus Enzensberger oder Krankheitsbedingt-Katastrophales mit dem nicht zu Unrecht von Gröhler wie einst von Gottfried Benn hochgeschätzten Lyriker Wolfgang Bächler. 

Hintergründe gibt es reichlich – in Sachen Alkohol (Artmann & Co.), in Sachen Sex (Erich Fried), in Sachen egozentrischer Selbstpropagierung (Hilde Domin, Thomas Kling), Verschwendung und Luxussucht bei gleichzeitiger Polit-Neurose (Gisela Elsner), gestörter Common-Sense-Funktion (Ernst Herhaus, Bernd Jentzsch, Wolfdietrich Schnurre, Wolf Wondratschek). Man muß Harald Gröhler – in Grünberg in Schlesien geboren, trotz rastlosen Engagements in eigenen und fremden Angelegenheiten weder reich noch berühmt geworden – dankbar sein für seinen Mut, ein solches Buch zu schreiben. Zum Gesamtbild eines Dichterlebens gehören immer auch die Neben- und Kehrseiten.

Harald Gröhler: Dichter! Dichter! So begegneten sie mir. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2019, broschiert, 307 Seiten, Abbildungen, 24,80 Euro