© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Knapp daneben
Grundrecht auf Tätowierung
Karl Heinzen

Viele Menschen würden sich gerne tätowieren lassen, doch fehlt ihnen leider das Geld dazu. Ihr Problem könnte ein von dem niederländischen Unternehmer Corné van de Luijtgaarden entwickeltes Geschäftsmodell aus der Welt schaffen. „Budget Tattoo“ bietet 48 Stunden Tätowierleistung für den Paketpreis von gerade einmal 350 Euro. So etwas kann man nur als unternehmerische Selbstausbeutung ansehen: Der Stundensatz, der sich rechnerisch ergibt, liegt deutlich unter dem niederländischen Mindestlohn. Angestellte dürften unter diesen Bedingungen kaum profitabel zu beschäftigen sein. Kein Wunder daher, daß es Budget Tattoo bislang nur in Tilburg gibt und der Chef höchstpersönlich die Nadel führt. Auch hinsichtlich der Betriebsausstattung kann man sich keine großen Sprünge leisten. Van de Luijtgaarden übt sein Kunsthandwerk in einer umgebauten Scheune aus.

Kunden beschweren sich, sie wurden mit halbfertigen Motiven einfach allein gelassen.

Über einen Mangel an Kunden kann er sich nicht beklagen. Insofern ist sein Konzept schon einmal aufgegangen. Je größer der Zuspruch ist, desto schwieriger ist es allerdings, alle Aufträge abzuarbeiten. Die Beschwerden häufen sich. Immer wieder, so ihr Tenor, würde Van de Luijtgaarden die Sitzung mittendrin abbrechen, ohne daß das Kunstwerk der Vollendung entscheidend nähergekommen wäre. Einen neuen Termin zu vereinbaren gestalte sich dann schwierig. Die Kunden wurden mit ihren halbfertigen Tätowierungen einfach allein gelassen. Manche seien zudem auch noch so schlecht ausgeführt, daß die Betroffenen von ihren Mitmenschen verspottet würden. Der Unmut geht so weit, daß sich unzufriedene Kunden zu einer Facebook-Gruppe zusammengeschlossen haben und ihr Geld zurückverlangen. So verständlich ihr Ärger auch ist, dürfen sie den sozialpolitischen Kollateralschaden, den sie anrichten, nicht ignorieren. Es ist schwierig, den sozial Schwachen ihr Existenzminimum zu gewähren. Die Mithilfe Privater ist dazu unerläßlich. Ohne Aldi würden wahrscheinlich noch heute Millionen hungern. Dank Corné van de Luijtgaarden könnte nun auch das Grundrecht auf Tätowierung für alle Wirklichkeit werden. Man muß ihm eine Chance geben.