© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Warten auf den General
Libyen und Syrien: Die deutsche Diplomatie gibt weiterhin ein miserables Bild ab
Jürgen Liminski

Es ist wie im wirklichen Leben. Irgendwann kann man der Wahrheit, der Wirklichkeit, nicht mehr ausweichen. Das gilt auch für die Diplomatie im allgemeinen und für die deutsche im Besonderen. Und die Wahrheit in Nord-afrika lautet: In Ägypten und Algerien herrschen Generäle, in Marokko ein absoluter Monarch, in Tunesien herrscht ein großes, aber nicht gewalttätiges Durcheinander und in Libyen bald auch ein General. 

Die meisten Europäer und insbesondere Deutschland aber glauben, daß man in dieser Region mit Formeln und Sprüchen aus dem demokratischen Wörterbuch Politik machen kann. Mit den tiefsten Stirnfalten und am lautesten glauben das der deutsche Außenminister Heiko Maas und sein luxemburgischer Amtskollege Jean Asselborn. Es ist das große mediale Gezappel.

Während die EU-Außenminister reden und beraten, werden auf dem Gefechtsfeld Fakten geschaffen. General Chalifa Haf-tar, der übrigens mit der Legitimation des gewählten Parlaments in Tobruk / Bengasi und nicht, wie manche Medien insinuieren, plötzlich aus dem Nichts der libyschen Wüste kam, rückt scheinbar unaufhaltsam auf die Hauptstadt Tripoli vor. Er hat dort gleich mehrere Gegner. Der von der Uno anerkannte und hofierte Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch ist dabei noch der schwächste. 

Die Stadt selbst ist ein Flickenteppich von Milizen, die mal ein Viertel, mal nur ein paar Straßenzüge kontrollieren. Wer vom Flughafen ins Zentrum zu Sarradsch fährt, muß an mindestens einem halben Dutzend Straßensperren mit jeweils verschiedenen Fahnen vorbei. Diesen Parcours sollten die Sozialdemokraten Maas und Asselborn mal ohne Konvoi hinter sich bringen, sie wären danach kleinlauter.

Die Macht der Milizen bröckelt. Die stärkste ist die in der Hafenstadt Misrata. Sie zählt mehrere zehntausend Mann, harte und kampferprobte Kerle. Zwischen ihnen und General Haftar laufen Verhandlungen. Können sie ihre relative Autonomie und damit die Hand auf diversen Einnahmequellen behaupten, werden sie nicht zögern, mit Haftar gemeinsame Sache zu machen. Damit bliebe Sarradsch nur noch der geordnete Rückzug – mit einer Handvoll Getreuer in einem Motorboot auf dem Seeweg Richtung Tunis, so wie er auch vor vier Jahren kam. Die Wahrscheinlichkeit, daß es so kommt, ist hoch. 

Deshalb hat er vor der mit großem Tamtam angekündigten Berliner Libyen-Konferenz auch eine internationale Schutztruppe gefordert. Sie sollte Tripoli (und ihn selbst) vor Haftar schützen. Aber wer soll diese Truppe stellen? Russen, Franzosen und im Hintergrund auch die Amerikaner stehen auf seiten des Generals. Nur der türkische Präsident Erdogan schickt ihm Söldner. Sie sollen vor allem die Muslimbrüder, die in Tripoli aber nicht in Misrata die Milizen dominieren, unterstützen.

Die Truppen werden sich aufreiben. Denn der Nachschub für Haftar läuft, Embargo hin oder her. Die Waffen für den General kommen über Ägypten oder auf dem Seeweg. Der Luftweg ist ebenfalls möglich. Wer soll das kontrollieren? Auch das gehört zum Realitätscheck, den ein Auswärtiges Amt eigentlich permanent vornehmen müßte. Man könnte sich übrigens auch bei den Kollegen im französischen Außenministerium am Quai d’Orsay erkundigen.

Die eigentliche Frage, die die Europäer sich stellen müssen, lautet: Wer von den Großen hat den besseren Zugang zu Haf-tar? Einiges spricht dafür, daß Washington nur wartet. Haftar ist dort gut vernetzt. Mehr als zwanzig Jahre hat er in den USA gelebt. Moskau dagegen wird nervös. Der russische Außenminister Sergei Lawrow plädiert für ein stärkeres Engagement der Uno, ein deutlicher Hinweis darauf, daß Rußland den General nicht nach Belieben lenken kann und befürchtet, am Ende doch nur nützlicher Idiot gewesen zu sein. Umso stärker wird sich Moskau in Syrien einsetzen, um seine Präsenz in der Levante zu sichern.

Die Uno-Karte für Libyen dient denn auch dazu, den türkischen Diktator zu besänftigen, der sich bei allen, die es hören wollen oder nicht, über das Vorgehen der Russen gegen die Muslimbrüder in Idlib beschwert. Doch hier zögert Putin nicht. Die Militärstützpunkte in Syrien – der Flughafen Hmeimin bei Latakia und die Tiefseebecken von Tartus – sind die Pfeiler der russischen Präsenz im östlichen Mittelmeer und damit auch für den Einfluß in Nahost. Das kann im Moment kein Haftar bieten.

Libyen ist für Putin Option und Verhandlungsmasse. Er wird Erdogan dort nicht zu sehr auf die Füße treten. Auch sind die Einnahmen aus dem Öl-und Gasgeschäft mit der Türkei, das mehr als die Hälfte seines Gas- und etwa ein Drittel des Ölbedarfs aus Rußland importiert, beachtlich. Außerdem sind Erdogans Störmanöver innerhalb der Nato für ihn recht erfreulich. Die Türkei wiederum träumt davon, zur Energiedrehscheibe zwischen Europa und Asien aufzusteigen. Das mit Sarradsch abgeschlossene Öl- und Gasgeschäft brächte Erdogan diesem Ziel näher. 

Und noch schöner wäre es für ihn, wenn alles mit dem Segen Allahs geschähe, also die riesigen Ölreserven Libyens unter der Kontrolle der von ihm protegierten Muslimbrüder stünden. Mit ihnen hätte er auch die Hand am Flüchtlingshebel. Sein Einsatz in Libyen ist so gesehen verständlich. Aber er hat sich überhoben und überschätzt. Das kommt bei größenwahnsinnigen Diktatoren relativ häufig vor. 

Allerdings sind, wie die Berliner Libyen-Konferenz und ihre Folgetreffen zeigen, auch diplomatische Zwerge nicht davor gefeit, Glanz und Glamour eines Amtes zu überschätzen. Oder, mit Blick auf die Groko in Berlin: In der Abendsonne werfen auch Zwerge lange Schatten.