© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

„Haß, Wut und Verrohung“
Die Werte-Union ist seit der „Thüringen-Krise“ zum neuen Feindbild eines Teils von Politik und Medien avanciert, unter denen sich einzelne gar in Vernichtungsphantasien ergehen. Was will der Stoßtrupp der CDU-Konservativen um ihren Sprecher Alexander Mitsch?
Moritz Schwarz

Herr Mitsch, wie lange gibt es die Werte-Union noch? 

Alexander Mitsch: Mindestens bis unser Ziel, eine politische Abkehr der Union vom Linkskurs unter Frau Merkel, erreicht ist.

Sind Sie sich da sicher? Die Attacken auf Sie mehren sich und nehmen an Schärfe zu. 

Mitsch: Erschreckend ist, was wir derzeit erleben: Beschimpfungen übelster Art und Methoden gegen uns, wie man sie sonst nur von Extremisten oder aus Diktaturen kennt.

Zum Beispiel? 

Mitsch: Etwa Verleumdungen in Umlauf zu bringen oder eine sprachliche Verrohung, die auf Vernichtung zielt – Stichwort: „Krebsgeschwür“.  

Damit haben Ihre Parteikollegen Elmar Brok und Annette Widmann-Mauz die Werte-Union verglichen – letztere nahm den Ausdruck allerdings wieder zurück. 

Mitsch: Womit sie gerade nochmal die Kurve gekriegt hat, denn klar ist, was Krebs ausdrückt: eine heimtückische Krankheit und die Legitimierung selbst gewalttätiger Gegenmaßnahmen – Stichwort „herausschneiden“.

Die „Welt“ bescheinigt Brok – mit Verweis auf die Verwendung der Krebs-Metapher in der NS-Zeit und davor –, er habe damit „eine völkische Sprache, die mit antisemitischen Stereotypen spielt“, benützt.

Mitsch: Eben, das ist nicht die Sprache von Demokraten, sondern totalitärer Systeme. Eigentlich wäre eine Entschuldigung von Herrn Brok angebracht. Vor allem sind wir aber schockiert, daß die Partei nicht eingeschritten ist, etwa mit einer Rüge. Denn so redet man nicht übereinander, gleich wer über wen.

Die CDA, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, hat bereits einen Unvereinbarkeitsbeschluß der CDU gegenüber der Werte-Union gefordert. Und die christdemokratische Landeskultusministerin in Kiel, Karin Prien, überlegte im Deutschlandfunk, ob Parteiausschlußverfahren gegen Ihre Mitglieder möglich wären. Wird die Partei gegen Sie vorgehen? 

Mitsch: Ich glaube nicht. Falls ja, wäre das ein Armutszeugnis in Sachen innerparteilicher Demokratie. 

Das hält ja wohl keine Partei davon ab, wenn es um ihre Interessen geht. 

Mitsch: Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt eher unter fünfzig Prozent. Denn die Parteiführung weiß, damit würde sie – schon juristisch – nicht durchkommen. Stattdessen würde sie uns eine weitere Sympathisantenwelle bescheren.   

Eine „weitere“?

Mitsch: Die letzten Tage haben zu einem Zuwachs geführt, wie wir ihn in so kurzer Zeit noch nie erlebt haben. Zwar verließen uns auch einige, doch im Saldo haben wir rund 700 Mitglieder gewonnen, deren Zahl sich von circa 3.700 im Januar auf jetzt etwa 4.400 erhöht hat. 

Jedoch sind nicht alle auch in der Union. 

Mitsch: Richtig, die Schnittmenge liegt bei etwa achtzig Prozent, da ein Parteibeitritt keine Voraussetzung ist, um Mitglied bei uns zu sein. Parteilose können nämlich stimmrechtsloses Fördermitglied werden. Wir sind, wie andere christdemokratischen Organisationen auch, ein unionsnaher Verein, keine formale Vereinigung der Partei. 

Weil die Union Sie ausgrenzt? 

Mitsch: „Die“ Union? Nein, das ist zu pauschal. Und wie gesagt, auch andere Gruppierungen, etwa der CDU-Wirtschaftsrat, die Schüler-Union oder die LSU (Lesben und Schwule in der Union) sind ebenfalls keine formalen Vereinigungen der Partei. Richtig ist, daß wir uns aber wünschen, einmal diesen Status einer „Vereinigung“ in der CDU zu erlangen, wie zum Beispiel die Junge Union, die CDA oder die Mittelstandsunion MIT. Richtig ist aber ebenso, daß es auch Vorteile hat, ihn nicht zu haben, weil man dann unabhängiger ist.

„Spiegel“-Korrespondent Markus Feldenkirchen hat die Werte-Union einen „Scheinriesen“ genannt, da sie trotz großer Medienpräsenz nur ein Prozent der 407.000 Unionsmitglieder repräsentiere.

Mitsch: Jedoch sympathisieren mit uns weit mehr Parteimitglieder, als bei uns aktiv sind. Man muß bedenken, daß Mitgliedern der Werte-Union oftmals durch CDU-Funktionäre Steine in den Weg gelegt werden. Was nicht verwundert, da unser Ziel ja eine Korrektur ihres Kurses ist. Dazu kommen Hürden, etwa den Beitritt per Formular erklären zu müssen und einen Mitgliedsbeitrag von zwanzig Euro pro Jahr zu bezahlen. All das führt dazu, daß unsere Mitgliederzahl natürlich nicht widerspiegelt, wie tief wir tatsächlich in die Union hineinreichen. Geschätzt sind es zwanzig bis 25 Prozent, die mit uns sympathisieren. Wobei es sehr viele Unionsmitglieder gibt, die gegenüber uns eher neutral oder passiv sind. Es gibt aber natürlich auch einige ausgesprochene Gegner, oft weil sie um ihre Macht fürchten.

Allerdings finden sich Ihre Sympathisanten vor allem an der Basis – kaum jedoch unter den Amts- und Mandatsträgern der Partei, also jener Schicht, die die Entscheider stellt. 

Mitsch: Ich sagte schon, daß das in der Natur der Sache liegt. Jedoch ist es nicht so, daß wir dort keine Anhänger hätten. Und es gibt etwa auch Landtags- und den einen oder anderen Bundestagsabgeordneten, der sich zu uns bekennt. 

Vier oder fünf von 246 im Reichstag. 

Mitsch: Ja, aber natürlich sind es auch hier, ebenso wie unter den Funktionären, mehr, als das offen zugeben. Auch wenn der prozentuale Anteil unserer Anhänger sicher fällt, je höher die betrachtete Ebene in der Partei angesiedelt ist. So steigt dieser dort allerdings ebenso bezüglich derer, die nur heimlich mit uns sympathisieren, weil sie das in exponierter Stellung nicht so offen tun können wie jemand an der Basis.  

Also stimmt, wer in der Partei etwas werden will, muß die Werte-Union meiden?

Mitsch: Die Mitgliedschaft ist aktuell sicher noch nicht karrierefördernd, doch daß man deshalb in der Partei nichts werden kann, würde ich nicht sagen. Zudem, entscheidend ist doch der Einsatz für die eigene Überzeugung. 

Wenn die Partei nicht, wie Sie vermuten, offen gegen die Werte-Union vorgeht, wird sie es dann nicht vielleicht inoffiziell tun? 

Mitsch: Das tut sie längst. Wie gesagt wurde schon vor der jetzigen Verschärfung des Tons jemand, der sich zur Werte-Union bekannt hat, zumindest mit argwöhnischen Augen betrachtet, wer sich uns gar anschloß, quasi unter besondere Beobachtung gestellt – und möglicherweise auch Opfer von Ausgrenzung. 

Verschärft sich das jetzt nicht noch? So lassen die harten Töne hochrangiger CDU-Politiker, wie der Ministerpräsidenten Daniel Günther und Tobias Hans oder Fraktionschef Ralph Brinkhaus, gegen Sie vermuten. 

Mitsch: Nichts ist unmöglich, aber ich glaube nicht, daß der so systematisch aufgenommen wird, wie Sie andeuten. Und den Umstand, daß sich der Ton verschärft hat, sehe ich – von Exzessen à la Krebsgeschwür abgesehen – nicht nur negativ. Denn das zeigt auch, daß bemerkt worden ist, daß wir in der Partei zunehmend Zustimmung finden, daß wir doch „größer“, sprich repräsentativer für die Parteibasis sind, als manche, die uns bisher offenbar unterschätzt haben, dachten. Und Wut und Haß gegen uns sind doch Ausdruck der Hilflosigkeit. 

Der Journalist Nikolaus Blome hat auch den Anhängern der Werte-Union „Haßsprache“ gegen CDU-Führungspolitiker attestiert. Hat er da nicht recht? 

Mitsch: Nein, die Werte-Union ist in ihrer Kritik bestimmt, aber sachlich, auch wenn man uns gerne anderes unterstellt.

Blome sprach von Anhängern, das müssen nicht unbedingt Ihre Mitglieder sein. Was tun Sie dagegen, nachdem Sie ja eingangs betont haben, so etwas sei inakzeptabel, gleich wer über wen so spricht?

Mitsch: Wir halten diesen Menschen den Spiegel vor – wer so redet, disqualifiziert sich selbst. 

Vorgeworfen wird Ihnen vor allem, eine Koalition mit der AfD anzustreben. Dem widersprechen Sie. Warum eigentlich? Denn ohne die Bereitschaft dazu ist die CDU – mit der FDP reicht es ja nicht – auf linke Partner angewiesen. Was Ihre gewünschte Politikwende unmöglich macht. 

Mitsch: Für uns gilt klar der Abgrenzungsbeschluß der Union gegenüber der AfD (und der umbenannten SED). Aber wir treten für Ab- statt Ausgrenzung ein. Denn die AfD nur mit unsachlicher Empörung auszugrenzen, nicht mit ihren Vertretern oder gar Wählern zu sprechen oder ihre demokratischen Rechte zu boykottieren, wie ihren Anspruch, einen Bundestagsvizepräsidenten zu stellen, ist unangemessen und überzeugt die Wähler nicht. Wir müssen sie inhaltlich überzeugend stellen! Dafür muß die Union aber ein überzeugendes Politikangebot machen, was eine Kurskorrektur voraussetzt. 

Während etliche Sie als AfD-Verbündeten betrachtet, sehen sie sich selbst also als den eigentlichen Anti-AfD-Flügel der Union, als den Teil der Partei, der der AfD als einziger wirklich gefährlich werden kann? 

Mitsch: Die AfD sagt manchmal, daß ihr nichts Besseres passieren kann, als daß Frau Merkel, die die AfD mit ihrer Politik ja erst geschaffen hat, möglichst lange Kanzlerin bleibt. Andererseits sieht sie mit Sorge die wachsende Zustimmung für Friedrich Merz. Natürlich ist die AfD der politische Gegner, den wir so klein wie möglich machen  wollen, indem wir mit besserer Politik überzeugen. 

Aber daß die Werte-Union Koalitionen mit der AfD als strategische Option will, können Sie doch nicht leugnen. 

Mitsch: Doch! Trotzdem: Die Behauptung, die AfD sei eine faschistische Partei, ist zu pauschal und erschwert eine inhaltlich differenzierte Auseinandersetzung. Denn in der AfD gibt es zwar Antidemokraten, doch auch Demokraten. Die Frage ist, wer sich durchsetzt. So wie die Machtverhältnisse dort jetzt sind, sehen wir allerdings keine Grundlage für Koalitionen. 

Jüngst wurde bekannt, daß Sie der AfD insgesamt 120 Euro gespendet haben. Wird das zum Problem für Sie?

Mitsch: Nein, denn das war 2014 und 2016, also noch zur Zeit der Lucke- und Petry-AfD. Während der Griechenlandkrise hatte ich mich, was kein Geheimnis ist, eine Zeitlang mit dem Gedanken getragen, der damaligen „Professorenpartei“ beizutreten. Dann aber hat die AfD sich in eine Richtung entwickelt, die für mich inakzeptabel war und ist. Ein klares Signal dafür war in meinen Augen die Rede von Björn Höcke im Januar 2017. Etwas später entstand die Werte-Union, was mir meine CDU endgültig wieder zur Heimat machte.     

Sie sprachen von einer geschätzten Reichweite in der Union von zwanzig bis 25 Prozent. Wie wollen Sie mit einer Minderheit den Merkel-Kurs ändern?

Mitsch: Frau Merkel hatte keineswegs bei allen ihren Entscheidungen eine Mehrheit, und das nicht nur in der Flüchtlingspolitik. In der CDU wurde in den letzten Jahren viel zu wenig diskutiert und abgestimmt! Ich denke da auch an den Doppelpaß – gegen den gab es 2016 sogar einen Parteitagsbeschluß contra Frau Merkel. Es gibt also etliche Möglichkeiten, politische Positionen zu „drehen“, ohne daß man am Anfang immer eine sichere Mehrheit hat.  

Geht es nach der Werte-Union, heißt der neue CDU-Chef Friedrich Merz, richtig? 

Mitsch: Es gibt keinen offiziellen Kandidaten der Werte-Union. Natürlich ist Herr Merz bei uns sehr beliebt, doch finden einige auch Jens Spahn gut. Ebenso wie etwa Carsten Linnemann, Wolfgang Bosbach und andere, auch wenn die nicht kandidieren. Doch geht es uns nicht primär um Personen, sondern um Inhalte.   

Aber ist das nicht ihr Problem? Denn weder Merz noch Spahn sind Wertkonservative. Würden beide Sie nicht enttäuschen? 

Mitsch: Nochmal, wir sind keine Pro-Merz-Bewegung, sondern eine für die Politikwende! Folglich ist „unser“ Kandidat jener, mit dem diese am besten umzusetzen ist. Warum sollten uns da Merz oder auch Spahn enttäuschen?

Weil sie Konservativen gesellschaftspolitisch fast nichts zu bieten haben, etwa beim Kampf gegen Political Correctness, Gender, Aushöhlung von Familie und Nationalstaat, Inländerdiskriminierung, Identitäts- und Kulturverlust, Geschichtsklitterung etc.  

Mitsch: Es stimmt, daß Friedrich Merz nicht auf allen Feldern Konservativer ist, muß er auch nicht. Es gibt etwa zwanzig Themen, denen die Bürger politische Relevanz zubilligen. Davon genießen etwa fünf, darunter Einwanderung, Sicherheit und Steuersenkung, für uns höchste Bedeutung. Und bei diesen drei ist Herr Merz ziemlich weitgehend auf unserer Linie – und Jens Spahn vermutlich auch.

In Thüringen soll Ex-CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht die Krise lösen. Wird sie gemeinsam mit der Linken gewählt, bricht das allerdings den Abgrenzungsbeschluß der Union.

Mitsch: Nein, nur dann, wenn es Absprachen und politische Gegenleistungen gibt. Tritt Frau Lieberknecht aber an, ohne Gegenleistungen anzubieten oder Einfluß zu gewähren, und wird sie – ob von AfD oder Linken mitgewählt – ist das nicht der Fall. Denn wir sind nur für unsere Stimmen, nicht für die  anderer Fraktionen verantwortlich.  






Alexander Mitsch, ist Gründungsmitglied und Bundesvorsitzender der „Werte-Union“ (Logo rechts). Der 1967 in Heidelberg geborene  Diplom- und Bankkaufmann trat der Partei 1985 bei, war bis Mitte der neunziger Jahre Kommunalpolitiker, Vize-Kreisvorsitzender und JU-Chef im Bezirk Nordbaden sowie von 2015 bis 2019 Mitglied im Vorstand des Kreisverbands Rhein-Neckar.     

Foto: Werte-Union-Favoriten Friedrich Merz und Jens Spahn: „Uns geht es nicht um Personen, sondern um Inhalte. Wir sind eine Bewegung für eine politische Wende. Und es wird uns so lange geben, bis unser Ziel einer Abkehr vom Merkel-Linkskurs erreicht ist ... Was wir derzeit an Verleumdungen erleben, ist erschreckend ... zeigt aber auch, wie manche uns unterschätzt haben“  

 

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