© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Na denn man tau!
Hamburg: Am Sonntag wählen die Hansestädter eine neue Bürgerschaft / Gegen den Bundestrend behauptet sich die regierende SPD in den Umfragen auf Platz 1 / Ein neuer Finanzskandal könnte den Wahlsieg gefährden
Peter Möller / Hinrich Rohbohm / Christian Vollradt

Ganz so heiß hatte sich die Hamburger SPD den Wahlkampf-endspurt bestimmt nicht vorgestellt. In den vergangenen Wochen konnten die Sozialdemokraten gegenüber ihrem grünen Koalitionspartner deutlich an Boden gutmachen. Sah es zunächst so aus, als könnte ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen beiden Parteien entbrennen, lag die SPD in den jüngsten Umfragen wieder deutlich vor den Grünen. Doch das könnte sich kurz vor der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am kommenden Sonntag noch ändern.

Denn in der vergangenen Woche wurde die SPD in den Skandal um Steuerbetrug durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte durch die Hamburger Privatbank M.M. Warburg hineingezogen. Obwohl die Bank den Staat um mehrere hundert Millionen Euro Steuergelder betrogen haben soll, haben sich die zuständigen Behörden auffällig zurückgehalten. Mehr noch: Das Hamburger Finanzamt hatte laut einem Bericht der Zeit unter der Aufsicht des heutigen Ersten Bürgermeisters und damaligen Finanzsenators Peter Tschentscher (SPD) 2016 darauf verzichtet, fast 47 Millionen Euro zu Unrecht an die Bank ausgeschüttete Steuergelder zurückzufordern. Diese Ansprüche sind nun verjährt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mußte zudem vergangene Woche einräumen, daß er sich als damaliger Erster Bürgermeister noch im November 2017 mit dem Inhaber der Bank, Christian Olearius getroffen hat. Zu diesem Zeitpunkt wurde gegen Olearius bereits wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt.

Und es kommt noch dicker für die SPD: Am Wochenende berichtete das Hamburger Abendblatt, daß ein Tochterunternehmen der Warburg-Bank 2017 insgesamt 45.500 Euro an die Hamburger SPD gespendet hatte. Hat sich die SPD die Untätigkeit des von ihr geführten Senats bezahlen lassen? Tschentscher sah sich am Wochenende veranlaßt, in die Offensive zu gehen: „Es gibt in Hamburg keinen politischen Einfluß auf Entscheidungen der Finanzämter“, sagte er.

Der SPD-Skandal hat das Potential, das Rennen auf den letzten Metern noch einmal kräftig durchzumischen. Bislang war der Wahlkampf ganz durch das Duell zwischen Tschentscher und der grünen Spitzenkandidatin und Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank geprägt und kreiste vor allem um die Themen Wohnungsbau, Verkehr und Bildung. Die anderen Parteien hatten es gegen das rot-grüne Duo schwer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.

So blieb der Spitzenkandidat der CDU, Marcus Weinberg trotz seiner langjährigen Erfahrung in der Hamburger Politik blaß. Zudem gilt der Bundestagsabgeordnete nur als Notlösung, nachdem zuvor zwei Kandidaten der Hamburger Partei einen Korb gegeben hatten. In den jüngsten Umfragen lag die Union, bei 13 bis 14 Prozent und damit noch unter ihrem Ergebnis von 2015 (15,9 Prozent). Offenbar verfangen ihre Forderungen, Polizei und Verfassungsschutz zu stärken, nicht sonderlich, zumal dieses Feld auch von der AfD bespielt wird.

Die FDP, die mit ihrer Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels angetreten ist, um die bürgerliche Mitte zu stärken, erlebte einen dramatischen Wahlkampf. Seit der Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit den Stimmen der AfD sahen sich die Liberalen auch in der Hansestadt harschen Angriffen und massenhaften Plakatzerstörungen ausgesetzt. Seit „Erfurt“ geht es für die Hamburger FDP ums politische Überleben: Ende vergangener Woche rutschte die Partei erstmals unter die Fünf-Prozent-Hürde; daß sie ihr Ergebnis von 2015 (7,4 Prozent) wiederholen kann, scheint mittlerweile ausgeschlossen. „Thüringen hat uns das Genick gebrochen. Viele unserer Parteimitglieder werden während des Wahlkampfeinsatzes beschimpft und beleidigt, sogar als Nazihelfer bezeichnet. Das ist einfach unter der Gürtellinie“, klagte ein Wahlkampfhelfer am Infostand der Liberalen.

Ein ganz besonderes Schauspiel bietet unterdessen seit Wochen die Linkspartei in der Hansestadt. In der Hauptrolle: der 18 Jahre alte Schüler Tom Radtke, der auf Platz 20 der Landesliste für die Linke kandidiert. Ende Januar hatte Radtke im Internet den Holocaust mit den Folgen des Klimawandels verglichen und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Forderung seiner Partei, von der Kandidatur zurückzutreten, lehnte der Jungpolitiker ab und sorgt seitdem vor allem im Internet für immer neue tatsächliche oder angebliche Enthüllungen über Politiker der Linken, der Grünen und seiner ehemaligen Mitstreiter von „Fridays for Future“. Dennoch kann die Linkspartei darauf hoffen, ihr Ergebnis von 2015 (8,5 Prozent) zu halten.

„Parlamentarische Arbeit   ist Bohren dicker Bretter“

Für die AfD ist Hamburg als westdeutsche Großstadt nicht das ideale Biotop. In den jüngsten Umfragen steht die Partei bei rund sieben Prozent. Das ist „nur“ einstellig und weit entfernt von den sensationellen Werten bei den drei Landtagswahlen im Osten vergangenes Jahr. Aber es entspricht einem kleinen Plus gegenüber der Wahl vor fünf Jahren. „Unsere Fraktion hat in ihrer ersten Legislaturperiode in der Bürgerschaft skandalfrei gearbeitet – darauf sind wir schon stolz“, resümiert der Fraktionsvorsitzende und Vize der Landespartei, Alexander Wolf, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Etwa 240 Anträge, sechs Gesetzentwürfe, 26 große und rund 1.600 kleine Anfragen – so lautet die zahlenmäßige Bilanz. 

Nur zweimal schafften es die Neulinge, daß ihre Anträge zumindest in einen Ausschuß verwiesen wurden. „Einzelne Abgeordnete der anderen Parteien pflegen mit uns ein gutes kollegiales Verhältnis. Aber bis das die Normalität wird, dauert es wohl noch eine Weile. Parlamentarische Arbeit bedeutet eben das Bohren dicker Bretter“, ist sich Wolf bewußt. Bewirkt habe man etwas mit dem Internetportal „Neutrale Schule“, auf dem Fälle politischer Indoktrination im Unterricht gemeldet werden können. „Ich werte das als einen Erfolg für uns“, meint der Abgeordnete, „denn wir haben das Thema ins Bewußtsein geholt. Es gab sehr viele Rückmeldungen mit dem Tenor ‘endlich sagt’s mal einer’.“ Neben der inneren Sicherheit allgemein findet sich das Thema „Kampf gegen den Linksextremismus“ im AfD-Programm. „Viel zu lange wurde in Hamburg eine zum Teil äußerst gewaltbereite Szene gepeppelt“, ist Wolf überzeugt. Bemerkbar wurde dies beispielsweise bei der parlamentarischen Aufarbeitung der G20-Krawalle in der Hansestadt. „Die ist faktisch im Sande verlaufen“, so Wolf, der im Zivilberuf Rechtsanwalt ist. „Da hat vor allem die CDU als größte Oppositionspartei versagt.“ 

Ein bißchen wurmt den AfD-Politiker, der im vergangenen Jahr in den Bundesvorstand seiner Partei gewählt wurde, der „Ideenklau der Altparteien“. Im März 2018 beispielsweise hatte die AfD in einem Antrag gefordert, das „Tatmittel Messer“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik gesondert zu erfassen. Als „Populismus“ lehnen das die anderen Fraktionen ab. Im Juli desselben Jahres dann vermeldet die SPD-geführte Innenbehörde, ab sofort werde erfaßt, ob bei schweren Straftaten Messer eingesetzt würden. Ähnlich beim Thema Deutschkenntnis für Imame: Von der AfD 2016 gefordert, von Rot-Grün drei Jahre später ebenfalls als Antrag eingebracht. 

Gegen den Trend segelt die AfD verkehrspolisch: „Wir verstehen uns auch als eine Autofahrer-Partei.“ Eher ungünstig könnte sich da das niedrigere Wahlalter auswirken. Gerade junge Leute seien besonders von der „Fridays for Future“-Bewegung beeinflußt. Gute Chancen rechnet sich die Partei dagegen bei Rußlanddeutschen sowie im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg aus. Der Arbeiterbezirk ist eigentlich eine der letzten verbliebenen Hochburgen für die SPD. Vor fünf Jahren holte sie hier immerhin noch fast 50 Prozent. „Hör mir bloß auf mit der SPD, die sind bei mir aber sowas von unten durch“, ruft ein älterer Mann mit faltigem Gesicht und silbergrauen Haaren. „Ich geh’ gar nicht mehr wählen. Und viele Bekannte von mir machen das auch nicht mehr“, fügt er grimmig hinzu. Die SPD habe die „Arbeiter verraten“, sagt der 69 Jahre alte Rentner, der einst als Hafenarbeiter seinen Lohn verdiente. „Die wissen doch gar nicht mehr, wie sich richtige Arbeit anfühlt“, kritisiert er die Genossen, zu denen er einst auch einmal gehörte. „Bin vor 15 Jahren aus dem Laden raus“, knurrt er. Bei der Wahl 2001 hatte die Schill-Partei in Wilhelmsburg auf Anhieb 35 Prozent erzielt und das hanseatische Establishment geschockt. „Damals hab ich meine SPD nochmal gerade so gewählt. Zähneknirschend.“ Damit sei es lange vorbei.

Als AfD-Wähler „outen“ sich hier nur wenige. Und das, obwohl in Wilhelmsburg ein oftmals rustikalerer Ton angeschlagen wird als anderswo in der Hansestadt. Tayrik, ein 20jähriger Deutschrusse, sagt es dann doch: „Meine Stimme haben sie. Der ganze Parteienklüngel muß da endlich mal aufgebrochen werden.“ Diese „Hetzjagd auf eine einzige Partei“ hält er für undemokratisch. „Die schreien hier gleich alle Nazi und merken gar nicht, wie sie selbst dadurch die Eigenschaften der Nazis übernehmen.“





Extra Wahlrecht

Am Sonntag sind 1,32 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über die neue Zusammensetzung der  Hamburgischen Bürgerschaft zu entscheiden. Wahlberechtigt sind alle Deutschen in der Hansestadt, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Über 71 der 121 Sitze in der Bürgerschaft wird in den 17 Wahlkreisen entschieden. Je nach Größe des Wahlkreises werden drei, vier oder fünf Direktmandate vergeben. Die restlichen 50 Sitze werden über offene Landeslisten besetzt. Jeder Wähler hat insgesamt zehn Stimmen: Fünf für den Wahlkreis, fünf für die Landesliste. Er kann sie auf einen Kandidaten beziehungsweise eine Partei anhäufen (kumulieren) oder auch auf verschiedene Kandidaten beziehungsweise Parteien verteilen (panaschieren).