© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Wer den Cent nicht ehrt
Neuer Angriff auf das Bargeld: Die EU-Kommission plant, die beiden kleinsten Euro-Münzen abzuschaffen
Thorsten Polleit

Die neue EU-Kommission will die Ein- und Zwei-Cent-Münzen abschaffen. Sie sagt, diese Münzen seien verzichtbar, und Einzelhändlern und Konsumenten würden auf diese Weise unnötige Kosten erspart. Ein möglicher Weg hierfür sei, „gemeinsame Rundungsregeln einzuführen“, heißt es in einem Kommissionsdokument. Doch was sind die wirklichen Gründe für den Brüsseler Vorstoß? Es wachsen die Bestrebungen, das Bargeld in kleinen Schritten ganz abzuschaffen.

Zudem hat die EU-Verordnung 1210/10 die Banken seit 2015 zur Echtheitsprüfung und zur Aussonderung „von nicht für den Umlauf geeigneter“ Euro-Münzen verpflichtet. Damit hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine Aufgabe, die sie als Euro-Geldmonopolist erfüllen müßte, „privatisiert“. Die Geldhäuser kommt das teuer zu stehen, und sie wälzen die Kosten auf ihre Kunden über: Wer Münzgeld auf sein Konto einzahlen will, muß dafür Gebühren zahlen. Daß der Handel seine Freude am Münzbargeld verliert, ist verständlich. Die Bargeldgegner reiben sich erneut die Hände.

Die 500-Euro-Banknote wird kontinuierlich aus dem Verkehr gezogen. Seit Ende 2018 werden keine neuen Scheine mehr ausgegeben, die alten, die an die Zentralbanken zurückfließen, werden nicht mehr ersetzt. Damit ist der 500-Euro-Schein stigmatisiert: Wer will die lila Banknote noch halten, wenn sie im Verdacht steht, für Geldwäsche und Terrorfinanzierung eingesetzt zu werden? Behalten die in Umlauf befindlichen Scheine wirklich dauerhaft ihre Gültigkeit? Ohne 500-Euro-Schein verteuert sich die Bargeldhaltung: Um einen bestimmten Betrag vorzuhalten, müssen mehr kleine Scheine vorgehalten, transportiert und gezählt werden.

Auch die Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen ist nicht ohne. Sie sabotiert das Dezimalsystem des Münzwesens: Der Euro ist definiert als 100 Cent, und die kleinste Währungseinheit dabei ist die Ein-Cent-Münze. Von den 19 Euro-Staaten haben die Niederlande, Finnland, Irland, Belgien und Italien aber bereits Vorschriften erlassen, nach denen Barzahlungen gerundet werden müssen. Auf die Minimünzen kann man also verzichten? Doch wie sagt der Volksmund: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert?“ Kleine Münzen stehen für die Wertschätzung kleiner Tätigkeiten, ermuntern, verantwortungsvoll und gewissenhaft mit dem Geld umzugehen und auf diese Weise zum finanziellen Erfolg gelangen zu können. Kleingeld hat etwas mit aufgeklärter und ausgereifter Geldkultur zu tun.

Die Spur der inflationären Geldpolitik verwischt

Fallen die Centmünzen weg, wird auch im Bewußtsein der Bürger die „Historie der Kaufkraft des Geldes“ ausgelöscht. Die chronische Inflation der Güterpreise macht zusehends höhere Nominalwerte bei Münzen und Noten erforderlich: 1949 kostete eine Maß Bier auf dem Münchner Oktoberfest umgerechnet 87 Cent. 1969 waren es 1,12 Euro – 2019 war es das Zehnfache. Mit dem Verschwinden der kleinen Münz­einheiten verwischt sich die Spur der inflationären Geldpolitik, die Kritikmöglichkeit wird geschwächt.

Und nach der Logik, die der Abschaffung von Kleingeld zugrunde liegt, werden künftig auch die Fünf-, Zehn- und 20-Cent-Münzen abgeschafft. Auch eine „Rundungssteuer“ wird die Kunden ereilen, wenn aus Preisen in Höhe von 96, 97, 98 und 99 Cent künftig ein Euro wird. Ende 2017 liefen Münzen in Höhe von etwa 28 Milliarden Euro um; die Ein-Cent-Münze hatte daran einen Anteil von 1,2 Prozent, die Zwei-Cent-Münze von 1,9 Prozent. Es geht folglich um relativ geringe Beträge – gemessen an der Euro-Geldmenge von derzeit ungefähr 13 Billionen Euro.

Selbst wenn man die vermeidbaren Produktions- und Handhabungskosten gegen die Minimünzen ins Feld führt, so wiegt doch für die Bürger etwas anderes viel schwerer: Die EZB hat das Monopol der Eurogeld-Produktion. Sie und die politischen Kräfte, die auf sie einwirken, haben die Macht, das Bargeld abzuschaffen. Dafür führen sie einseitige und vielfach auch fadenscheinige Argumente an: Das Bargeld diene vor allem Geldwäschern, Terroristen und Drogendealern (JF 12/17).

Das Bargeld ist jedoch für das produktive Wirtschaften vielfach unerläßlich, und das Bargeld ist vor allem auch ein Schutz gegen allzu ungehemmte Übergriffe der Staaten auf die Bürger. Ohne Bargeld fällt auch noch das bißchen, was von der finanziellen Privatsphäre noch übriggeblieben ist. In einer Welt ohne Bargeld können Konsumenten und Unternehmer nur noch elektronisch bezahlen. Sie sind dann vollkommen gläsern für den Staat – und die von ihm beauftragten Zahlungsdienstleister. Sie können fortan ganz ungeniert in alle Konten blicken, der Fiskus kann leichter höhere Steuern erheben. Schließlich muß der Fiskus nicht mehr fürchten, daß die Bürger aus dem elektronischen ins Bargeld flüchten, um seinem Drangsal zu entkommen. Wer die Bargeldfrage nur an den Kosten der Geldverwendung festmacht, verspielt die bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten, öffnet dem Staat die Tür zum Tyrannentum.

Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, befürwortet eine Mehrheit der Fachpolitiker von CDU, SPD und Grünen im Bundestag die Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen auch in Deutschland. Wenn das stimmt, dann ist es ein weiteres Beispiel dafür, daß die Volksvertreter nicht im Sinne derjenigen Wähler entscheiden, die naiverweise – hoffen, sie könnten durch ihre Wahl Deutschland Freiheit und Wohlstand bescheren.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.

 www.misesde.org





Vorboten der Bargeldabschaffung?

Die Deutschen halten dem Bargeld die Treue. Über zwei Drittel aller Zahlungen erfolgen immer noch mit Scheinen und Münzen. In vielen Restaurants und Geschäften ist Kartenzahlung nicht möglich. Auch der Ökonom Jens Weidmann hält nichts davon, das Bargeld, wie etwa in Schweden, abzuschaffen: „Das wäre die falsche, völlig unverhältnismäßige Antwort auf die geldpolitischen Herausforderungen an der Nullzinsgrenze“, erklärte der Bundesbankpräsident auf dem Bargeldsymposium in Frank­furt am Main. Das gleiche gelte „für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld, mit dem Ziel, das Bargeld zu verdrängen, um Negativzinsen in der Breite durchsetzen zu können“. Der Bundestagsausschuß für Bildung und Forschung hat hingegen 2019 beim Büro für Technikfolgen-Abschätzung die Studie „Welt ohne Bargeld – Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme“ beauftragt, denn die „Entwicklungen in Richtung bargeldloses Zahlen“ könnten „einen Handlungsdruck für Deutschland erzeugen“. (fis)