© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Katholische Kirche: Die Debatte um den Synodalen Weg entzweit die Gemüter
Gernot Facius

Erst der Paukenschlag des Verzichts von Kardinal Reinhard Marx auf eine weitere Kandidatur für den Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz, dann das päpstliche 51-Seiten-Lehrschreiben „Querida Amazonia“, das Schockwellen in Teile der Kirche sendet: Die katholische Welt, zumal in Deutschland, durchlebt in diesen Wochen eine Phase ausufernder Debatten und Enttäuschungen.

Franziskus, den viele bislang für den großen Neuerer hielten, ist nicht dem Votum der Amazonas-Synode gefolgt, die wünschte, daß in Ausnahmefällen auch verheiratete Männer der Feier der Eucharistie vorstehen können. Der  Jesuit aus Argentinien sei aller revolutionären Rhetorik zum Trotz nicht gewillt, „Reformen anzugehen“, kommentierte die FAZ. Mutlosigkeit bescheinigte ihm der Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller (Münster): „Papst Franziskus ist als Reformpapst gescheitert.“ Schüller spricht von einem „K.o.-Schlag für den Synodalen Weg in Deutschland“, der maßgeblich von Kardinal Marx initiiert worden ist. Dementsprechend, so der Professor, spiele das Dokument auch eine mitentscheidende Rolle für den Rückzug von Marx vom Episkopats-Vorsitz. Der Westfale an der Spitze des Münchner Erzbistums, der zudem noch den Pontifex im Kardinalsrat berät, gilt als treibende Kraft des Synodalen Weges, bei dem Kleriker und Laien brisante kirchliche Themen auf die Agenda gesetzt haben: kirchliche Macht, Sexualität, Zölibat und Weiheämter für Frauen.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und weitere Oberhirten betrachten den Synodalen Weg mit großer Skepsis. Woelki befürchtete gar, daß „hier quasi ein protestantisches Kirchenparlament“ getagt hat. Er geht mit dieser Haltung auf direkte Konfrontation zu seinem Kardinalskollegen in München. Dieser wiederum sucht die Reformer in den eigenen Reihen mit dem Hinweis zu trösten, daß das Papst-Schreiben noch nicht das letzte Wort aus Rom sein müsse. Franziskus habe den Vorschlag, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, zwar nicht aufgegriffen, aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen: „Ich habe nicht den Eindruck, daß der Papst das Thema vom Tisch nimmt.“ Geöffnete Türen seien keineswegs wieder zugeschlagen worden. „Vieles ist noch im Gange.“

Der Optimismus, den Marx verbreitet, gründet auf früheren Aussagen des Kirchenoberhauptes, daß zumindest in entlegenen Regionen eine Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt geprüft werden sollte. Offenbar war das aber eher rhetorisch gemeint. Denn Einzelfallentscheidungen und Ausnahmeregelungen, zum Beispiel in Amazonien, würden, da sind sich viele Kenner der Sache einig, eine Eigendynamik hin zu Forderungen nach einem generellen Verzicht auf den Zölibat entwickeln – dessen scheint sich auch Franziskus bewußt zu sein. Er läßt zwar zu, daß freimütig über die Ehelosigkeit der Priester diskutiert werden kann, schaltet dann aber die Ampel des Disputs auf Rot. Die Debatte über eine Öffnung des Pflichtzölibats und die Diskussion über das Weiheamt für Frauen soll auf keinen Fall aus dem Amazonasbecken herausschwappen und auf andere Regionen übergreifen.

Konferenzvorsitzender hat nur begrenzte Macht

Eine generelle Abschaffung des Zölibats liegt Franziskus ebenso fern wie seinem Vorgänger Benedikt XVI., „selbst wenn manche Katholiken in Deutschland das immer noch nicht wahrhaben wollten“, meint die FAZ. Sie kommt damit der Wahrheit ziemlich nahe. Und sie liefert zugleich einen Hinweis auf die begrenzten Möglichkeiten des Synodalen Weges in Deutschland. Sagt doch der emeritierte Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller: „Der Zölibat ist mit dem Wesen des Priestertums zutiefst verbunden. Denn der Priester ist kein religiöser Funktionär, sondern der Repräsentant Christi.“

Darauf berufen sich auch die Bischöfe, die nicht zur „Marx-Fraktion“ gehören. Nach der Frühjahrsvollversammlung des deutschen Episkopats Anfang März, bei der ein neuer Vorsitzender gewählt werden soll, wird man wissen, welches Lager heute stärker ist, wer sich auf die Seite von Woelki und Voderholzer schlägt und wie eine Zerreißprobe in der Bischofskonferenz verhindert werden kann. Im evangelikalen Magazin idea Spektrum beklagte ein Kommentator, ganz im Stil des Kölner Kardinals, die „schleichende Protestantisierung des Katholizismus“. Es geschehe genau das, was der katholischen Kirche ihre Unverwechselbarkeit nehme: „Sie wird eine gesellschaftliche Gruppe unter vielen, eine Art NGO, bei der nur noch das Kreuz – reduziert auf ein profanes Markenzeichen – an etwas erinnert, das die christlichen Kirchen zu etwas Besonderem macht.“

Wer auch immer der Nachfolger von Marx an der Spitze der Bischofskonferenz sein wird – er übernimmt eine schwierige Aufgabe. Der verstorbene Kardinal Karl Lehmann (Mainz) – auch ihm war, ausgehend von traditionalistischen Kreisen – „Protestantisierung“ der Kirche vorgeworfen worden, hatte zu seiner Amtseinführung als Konferenzvorsitzender eine punktgenaue Positionsbeschreibung abgeliefert: „Ich bin nicht der Papst in Deutschland.“  Will heißen, der Vorsitzende hat nur eine begrenzte Macht, er ist „eine Art Klassensprecher der Bischöfe“, so hat die Süddeutsche Zeitung seine Funktion beschrieben.

Lehmann wollte seinen Anhängern signalisieren: Überschätzt bitte meinen Einfluß nicht. Denn nach dem Kirchenrecht fungiert ein Bischof weitgehend autonom in seinem Sprengel. Mit dieser Eigenständigkeit, oft auch Eigenwilligkeit der Bistumslenker hat wie Marx jeder seiner Vorgänger leben müssen. Der Vorsitzende ist, wie einst ein Spötter anmerkte, der „wandelnde Vermittlungsausschuß“, ein diplomatischer Feuerwehrmann in der Bonner Kaiserstraße, wenn es wieder einmal an einer Stelle in der Ortskirche brennt.

Und von solchen Feuerchen, die ausgetreten werden mußten, gab es einige in jüngerer Zeit. Man denke nur an den jahrelangen Streit in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung oder an Jo-seph Ratzingers kategorisches Nein zum Vorstoß oberrheinischer Bischöfe für das „Hinzutreten“ wiederverheirateter Geschiedener zur Eucharistie, der die Kirche jahrelang beschäftigte. Das katholische Milieu war nie gegen Heckenschützen und Intriganten, die in Rom gegen Bischöfe in der Heimat Stimmung machten, gefeit. Dennoch sagt Kardinal Marx, der einst als Kandidat des konservativen Flügels angetreten war, sich aber später vorsichtig für Reformen engagierte: „Ich habe das Amt sehr gerne ausgeübt.“ Nun will er, daß einer aus der jüngeren Bischofsgeneration an seine Stelle tritt.

Mißbrauchsskandal ist noch lange nicht aufgearbeitet

Die Arbeit ist ja nicht leichter geworden. Noch immer sind nicht alle Konsequenzen aus dem Mißbrauchsskandal gezogen, der bisherige Umgang mit dem institutionellen Versagen nach dem Bekanntwerden sexueller Gewalt in Pfarreien und Klöstern hat das Vertrauen in die Kirche nicht gerade gestärkt. „Aufgearbeitet“ ist dieser Skandal noch lange nicht. Auf den künftigen Vorsitzenden wartet eine Riesenaufgabe. Marx hat den angekündigten Rückzug vom Leitungsamt der Bischöfe mit dem Alter begründet. Dieses Argument nimmt man ihm nicht ohne weiteres ab. „Das ist ganz schräg“, hielt ihm ein kirchlicher Kommentator vor. „66 ist für einen Bischof überhaupt kein Alter.“ Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre er 72 Jahre alt. Sogleich wurde die Spekulationsmaschine in Gang gesetzt: Bereitet sich der im Vatikan gut Vernetzte auf ein hohes Amt in der römischen Kurie vor? Etwa auf das des vatikanischen „Wirtschaftsministers“ in der Nachfolge des in der Mißbrauchsaffäre beschädigten Australiers George Pell vor? Kardinal Marx hat derartige Ambitionen dementiert. Aber das muß ja nicht das letzte Wort gewesen sein.

Die Deutsche Bischofskonferenz im Netz: www.dbk.de