© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Der Wahnsinn wird Methode
Nach Hanau: Die hysterischen Schuldzuweisungen wurzeln in der Furcht vor ethnischen Unruhen
Thorsten Hinz

Nach Politikern, Journalisten und sogenannten Experten hat sich ein wirklicher Fachmann auf der Internetseite Achse des Guten über den – mutmaßlichen – Hanauer Amokläufer Tobias Rahtjen zu Wort gemeldet. In einem offenen Brief an Generalbundesanwalt Peter Frank unterzieht der Hamburger Medizinprofessor und Neuropsychologe Wolfgang Meins das Manifest Rahtjens einer fachpsychiatrischen Analyse.

Frank, ein promovierter Jurist, hatte in einer eiligen Stellungnahme von „gravierenden Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat“ gesprochen. Meins hingegen konstatiert ein „psychiatrisches Syndrom“, einen „schweren paranoiden Wahn mit zusätzlichen (wahnhaften) Größenideen“, „Halluzinationen, „Denkstörungen“, „paranoide Schizophrenie“. Vor Gericht wäre Rathjen wohl die fehlende Zurechnungsfähigkeit bescheinigt worden. Was aus dem wirren Pamphlet (siehe Seite 7) als politische Überzeugung herausdestilliert werden kann, wäre demnach nur die Entäußerung einer Geisteskrankheit.

Mit seiner Erklärung entsprach der General­bundesanwalt aber den politischen Erwartungen. Was die Frage aufwirft, wie es um die Gesundheit einer Gesellschaft und eines Staates bestellt ist, die sich nicht nur in ihren spontanen Reaktionen, sondern auch in den weiteren Handlungen von den Taten eines Geistesgestörten leiten lassen und ihre Entschlüsse durch diese legitimieren.

Denn damit wird der Wahnsinn zur Methode. In der aufgepeitschten Atmosphäre werden Maßnahmen, die bei klarem Verstand auf begründete Bedenken und überlegte Ablehnung stoßen, plötzlich zur zwingend gebotenen humanistischen Notwehr erhoben. Dazu zählen die Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch Gesetzesvorhaben gegen die einseitig – und zwar „rechts“ – definierte „Haßrede“ und „Haßkriminalität“ sowie die Ausschaltung der einzig relevanten Oppositionspartei mittels Stigmatisierung durch den Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene.

„Das perfide Spiel, das Gauland jetzt treibt, muß man unterbinden“, wird eine politisierende Kriminologin zitiert, denn selbst wenn „dieser Hanauer Einzeltäter (...) ein kranker Mensch“ war, würden „Haßreden und rechte Hetze“ den „Nährboden solcher Taten“ bereiten.

Bislang war es Diktaturen vorbehalten, die Benennung von Tatsachen, die zur Regierungsmeinung im Widerspruch stehen, als „Haß“ und „Hetze“ zu kriminalisieren. Den wirklichen Nährboden für Neurosen und Gewaltphantasien bildet die regierungsamtliche Ignoranz für die täglichen „Verwerfungen“, welche die Transformation „einer monoethnischen und monokulturellen Demokratie in eine multiethnische“ (so der Multikulturalist Yascha Mounk) mit sich bringt.

Das massenweise Unterdrücken normaler menschlicher Empfindungen und Nöte führt zu einem kollektiven „Gefühlsstau“, den der Psycho­analytiker Hans-Joachim Maaz (siehe Interview Seite 3) in der DDR diagnostiziert hat und der heute ein gesamtdeutsches Phänomen darstellt. In der periodischen Abfolge inversiver, das heißt gegen die eigenen Bedürfnisse gerichteter Hysterieschübe soll er sich kontrolliert entladen.

Der medizinische Befund hängt eng mit dem politischen zusammen. Im Fahrwasser der Hanau-Bluttat wurde, stellvertretend für ganz Deutschland, in Thüringen der antitotalitäre Konsens als Staatsräson offiziell zugunsten eines militanten Antifaschismus verabschiedet. Das Migranten-Netzwerk „Neue Deutsche Organisationen“ stößt in die offene Flanke und fordert eine „radikale Entnazifizierung der Gesellschaft“ einschließlich der Sanktionierung oder des Verbots von Parteien, die sich „explizit und programmatisch für die Ausgrenzung und Entrechtung von Minderheiten einsetzen“.

Der einzige Grund für die hysterischen Schuldzuweisungen, der rational nachvollziehbar ist, wird beschwiegen: Es ist die Furcht vor ethnischen Unruhen wie in Frankreich oder Großbritannien. Der Machiavellismus der etablierten Parteien, Medien und Organisationen täuscht nicht darüber hinweg, daß sie keinen positiven Zukunftsentwurf glaubhaft machen können. In der allgemeinen Verunsicherung soll die Jagd auf den gemeinsamen Feind „von rechts“ ersatzweise für Orientierung und Zusammenhalt sorgen.

Was Hannah Arendt über die Medien als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung und generell über den Zusammenhang von Freiheit, Öffentlichkeit und politischem Handeln geschrieben hat, klingt wie die Botschaft von einem anderen Stern: „Freiheit und Pluralität realisieren sich in der Kommunikation, in der Begegnung der Bürger im öffentlichen Raum.“

Eben dieser wird fast vollständig von einem politisch-medialen Komplex okkupiert. Hüpfende Greta-Jünger und keifende, trillerpfeifende „Omas gegen Rechts“ liefern folkloristische Farbtupfer. Die vermeintliche Versammlung mündiger Bürger krankt an der „Regression der seelischen (und geistigen) Tätigkeit auf eine frühere Stufe, wie wir sie bei Wilden oder bei Kindern zu finden nicht erstaunt sind“ (Sigmund Freud).

Was wir erleben, ist nicht nur die simple Verfälschung und Verdrängung der Realität, sondern der Aufstand gegen sie mit dem Ziel, eine neue Wirklichkeit, eine zur Tat gewordene Ideologie, an ihre Stelle zu setzen. Die Gegenwart bietet praktische Aufklärung über die vieldiskutierte Frage: Wie funktionieren repressive Gesellschaften und wie die Menschen, die sie dulden, stützen und Vorteile aus ihnen ziehen? Um die Antwort zu erhalten, braucht man sich nur umzuschauen: Genau so!