© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

… nachts um halb eins …
Bürgerschaftswahl: Hamburg bleibt links – und die AfD am Ende doch im Landesparlament
Christian Vollradt

Erst rund 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale stand das vorläufige amtliche Endergebnis in Hamburg fest, dem komplizierten Wahlsystem (JF 9/20) sei Dank. Und bis zuletzt war es spannend – zumindest für zwei Parteien, die AfD und die FDP. Drin oder draußen, das war die Frage. Klappte der Wiedereinzug in die Bürgerschaft der Hansestadt oder würde man an der Fünfprozenthürde scheitern? Was die Sache zum Krimi machte, war die Wende des Schicksals, die sich bereits am späten Sonntag abend angekündigt hatte: Die FDP, in den ersten Prognosen noch auf „fünf Prozent plus“ taxiert und entsprechend kurz nach 18 Uhr mit Statements in den Fernsehrunden vertreten, ging am Ende mit 4,9 Prozent leer aus. Oder fast. Denn zumindest Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels ergatterte im vornehmen Blankenese einen der fünf dort zu vergebenden Wahlkreis-Sitze. Die AfD indes, deren vermeintliches Scheitern mit hämischen Sprechchören auf den Wahlpartys einiger Konkurrenten zunächst frenetisch bejubelt worden war, schaffte mit 5,3 Prozent doch den Sprung in die Bürgerschaft, in der sie – als erstem westdeutschen Landesparlament – seit 2015 vertreten ist. Meinungsforscher Hermann Binkert gab gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zu bedenken, daß vor fünf Jahren die Hamburger AfD in der Prognose bei 5,2 Prozent, das Endergebnis dann bei 6,1 Prozent lag. Diese Erfahrung hätte man diesmal bei der Prognose von 4,7 Prozent seriöserweise berücksichtigen müssen und nicht sagen dürfen, die AfD sei draußen. 

CDU schafft immerhin zweistelliges Ergebnis

Ansonsten verlief diese Wahl weitgehend überraschungslos. Bereits im Vorfeld war eine fehlende Wechselstimmung festgestellt worden. Faktisch geriet der Urnengang zum innerkoalitionären Duell um den Posten des Ersten Bürgermeisters. Das gewann wie erwartet Amtsinhaber Peter Tschentscher, dessen SPD zwar über sechs Punkte verlor, mit 39,2 Prozent aber ein Ergebnis in schon lange nicht mehr erreichter Höhe bescherte. Die Strategie der Sozialdemokraten an der Alster, die Genossen der Berliner Parteiführung aus dem Wahlkampf herauszuhalten, hat sich offensichtlich bewährt. 

Trotz Zugewinnen von fast 12 Prozentpunkten blieben die Grünen deutlich an zweiter Stelle. Ihre Spitzenkandidatin, Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, lange zur Ersten Bürgermeisterin der Journalisten-Herzen hochgeschrieben, wird sich wohl weiter mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben müssen. Außer von Wählerwanderungen aus Richtung SPD, CDU und FDP profitierten die Grünen auch vom auf 16 Jahre herabgesetzten Wahlmindestalter samt Greta-Thunberg-begeisterten Erstwählern und den dominierenden Themen Umwelt, Klima, Verkehr.

Für die CDU, gestartet vom Tiefpunkt des Jahres 2015, ging es erneut fünf Punkte nach unten: 11,2 Prozent. Spötter sahen darin umgehend ein Symbol, die Ziffernkombination des Notrufs. Der „Thüringen-Effekt“, den CDU wie FDP beklagten, war indes laut Wahlforschern gar nicht so groß. Demnach hätten die Vor­gän­ge im Erfurter Land­tag auf fast acht­zig Pro­zent der Wäh­ler kei­nen oder nur ge­rin­gen Ein­fluß gehabt. 

Daß die Parteien des bürgerlichen Mitte/Rechts-Lagers zusammen weniger als ein Viertel der Bürgerschaft ausmachen, bezeichnete der Fraktionsvorsitzende der Hamburger AfD, Alexander Wolf, am Tag nach der Wahl als ein „Warnsignal für unsere Demokratie“. Unter den ohnehin nicht besonders günstigen Bedingungen einer Großstadt im deutschen Nordwesten verlor seine Partei zwar nur rund 3.000 Stimmen, mußte wegen der gestiegenen Wahlbeteiligung dennoch bis spät in den Wahlabend hinein zittern. Die Blamage, erstmals aus einem Parlament wieder hinauszufliegen, blieb der AfD erspart. Insofern konnte Spitzenkandidat Dirk Nockemann auch von einem „schönen Ergebnis“ sprechen. Nockemann beklagte eine „maximale Ausgrenzung“ im Wahlkampf, Angriffe und Zerstörungen. Wirte seien von Linksextremisten eingeschüchtert worden, die AfD habe keine einzige Veranstaltung in Hamburg durchführen können.

Während die Partei in den Zentren der „Bionade-Bourgoisie“ von Altona, Eppendorf oder Rotherbaum bei unter drei Prozent rangierte, lagen ihre Hochburgen in Süderelbe, Harburg oder Wilhelmsburg mit Ergebnissen um acht oder neun Prozent. „Dort leben die, die Angst davor haben, zu kurz zu kommen oder Opfer von Kriminalität zu werden“, sagte Nockemann. Und sein Co-Vorsitzender Wolf ergänzte, auch dort seien Leistungsträger beheimatet, die arbeiten und Steuern zahlen. „Es ist eine Mittelschicht, die sich die teureren Mieten in Uhlenhorst nicht leisten kann.“