© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Keine Lösung in Sicht
Israel: Die dritte Wahl innerhalb von elf Monaten steht an / Stillstand durch verfeindete politische Lager / Königsmacher Lieberman?
Sandro Serafin

Es ist bereits die dritte Wahl innerhalb von elf Monaten, aber die Anhänger Benjamin Netanjahus jubeln dem Premier weiter unablässig zu: „Bibi, König Israels. Er lebt fort“, ist bei vielen seiner Wahlkampfauftritte zu hören. In dem Lied, das die Fans Netanjahus – Spitzname „Bibi“ – umgedichtet haben, geht es eigentlich um König David, in dessen Fußstapfen die Anhänger des Premiers diesen offenbar wandeln sehen. Der 70jährige ist der israelische Regierungschef mit der längsten Amtszeit. Lange galt er als unbesiegbar.

Inzwischen ist jedoch ungewiß, wie lange sein politisches Leben noch geht. Dem Likud-Chef ist es nach den Wahlen im April und September 2019 nicht gelungen, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Und das, obwohl es eigentlich eine Mehrheit der rechten und religiösen Parteien gibt. Das Problem: Die Rechte ist sich uneins über das Verhältnis von Staat und Religion. Dürfen Läden am Sabbat öffnen? Müssen ultraorthodoxe Juden in der Armee dienen? Soll die Zivilehe eingeführt werden?

Avigdor Lieberman, 1958 im damals sowjetischen Kischinau (Chi?in?u) geboren, 1978 nach Israel gekommen, einst Likud-Generalsekretär und Büroleiter Netanjahus und national orientiert, fährt mittlerweile persönliche Angriffe gegen den Premier. Seine Partei „Unser Haus Israel“ profiliert sich mit einer säkularen, gegen die Ultraorthodoxen gerichteten Kampagne. Damit steht er einer rechts-religiösen Koalition im Weg. Denn Netanjahu braucht sowohl Lieberman als auch die Strengreligiösen für eine Mehrheit. Noch 2018 hatten sie gemeinsam am Kabinettstisch gesessen. Nun will Lieberman nicht mehr. Einige lasten es daher ihm an, daß am Montag schon die dritten Neuwahlen stattfinden.

Auf Lieberman ist auch Benny Gantz angewiesen, Anführer der Liste „Blau-Weiß“. Bei der September-Wahl holte sein Bündnis einen Sitz mehr als der Likud. Eine Regierung konnte jedoch auch der Ex-Armeechef nicht bilden, da eine Mehrheit links der Mitte außer Sichtweite ist. Die Arbeitspartei, deren Vertreter einst den Staat gründeten, bewegt sich in Richtung 3,25-Prozent-Hürde und vereinte sich deshalb zuletzt mit der linken Meretz-Partei. Eine Zusammenarbeit mit der Einheitsliste der israelischen Araber, die in der Knesset derzeit die drittgrößte Fraktion ist, schließt Gantz aus. Für sie tritt eine Kandidatin an, die in der Vergangenheit Terroristen feierte.

Persönliche Angriffe von einstigen Saubermännern

Gantz steht gesellschafts- und sozialpolitisch links, aber sicherheitspolitisch eher rechts der Mitte. Er hat sich – wie Netanjahu – für eine Annexion des Jordantals ausgesprochen. In erster Linie präsentiert er sich unter dem Motto „Israel vor allem anderen“ als saubere Alternative zu seinem Gegenspieler, den er zuletzt als eine Art israelischen Recep Tayyip Erdo?an bezeichnete.

Netanjahu ist wegen Korruption angeklagt, sein Gerichtsverfahren beginnt zwei Wochen nach der Wahl. Das ist auch der Grund, warum nach den vergangenen Wahlen Verhandlungen über eine große Koalition zwischen Gantz und Netanjahu scheiterten. Ungelegen für Gantz’ Saubermann-Image kamen daher Berichte über Strafermittlungen gegen ein Unternehmen, dessen Chef er einst war. Netanjahu schlachtete die Nachricht umgehend aus.

Auch ansonsten setzten die Kandidaten viel auf persönliche Angriffe. So wiederholten sich viele Muster, die bereits die vergangenen Wahlkämpfe geprägt hatten. Probleme wie die hohen Lebenshaltungskosten wurden zwar ebenfalls bespielt, waren jedoch weniger präsent.

Viele Israelis blicken nur noch genervt auf das politische Chaos. „Es wäre schön, wenn dies die letzten Wahlen sind“, sagt auch Adele Raemer. Sie gehört zu denen, die am meisten unter der Hängepartie leiden. Raemer wohnt in dem kleinen Kibbuz Nirim direkt am Gazastreifen, wo verschiedene Terrorgruppen um die Macht ringen. In dieser Woche stand der Ort wieder einmal unter Raketenbeschuß, was Netanjahu den Vorwurf einer schlechten Sicherheitspolitik einbrachte.

Nicht wenige fürchten nun, noch ein viertes Mal an die Wahlurne gerufen zu werden. Die Umfragen deuten nicht auf eine grundsätzlich veränderte Gemengelage hin. Netanjahus einstiger Verbündeter Lieberman liebäugelt inzwischen jedoch offen mit einer Rolle als Königsmörder. Der nationale Politiker könnte sich sogar eine Zusammenarbeit mit der rot-grünen Meretz-Partei vorstellen – um so Gantz ins Amt zu hieven. Dafür bräuchte es jedoch noch weitere Überläufer aus Netanjahus verbliebenem Rechtsblock. Doch der hat „König Bibi“ mehrmals die Treue geschworen.