© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

„Verhöhnung der parlamentarischen Demokratie“
Slowakei: Den jahrelang regierenden Sozialdemokraten droht eine herbe Wahlschlappe / Linksliberal-bürgerliche Koalition oder Bündnis mit Ultrarechten?
Paul Leonhard

Hie Slowakei ist ein Rechtsstaat und deswegen darf Parlamentspräsiden Andrej Danko von der rechten SNS keinen Abgeordneten gewaltsam aus dem Sitzungssaal bringen lassen. Die Folge dessen ist: Kurz vor der Nationalratssitzung blockieren bürgerlich-linksliberale Oppositionspolitiker das Parlament. Sie wollten so verhindern, daß die Drei-Parteien-Regierungskoalition auf einer Parlamentssondersitzung kurz vor dem Ende der Legislaturperiode noch Wohltaten für Rentner und Eltern beschließt.

Da Abgeordnete das Rednerpult selbst in der Nacht besetzt hielten, mußte der Sitzungsbeginn immer wieder verschoben werden. Während die Opposition stolz auf ihre „kreative Aktion“ ist, sprach der sozialdemokratische Premier Peter Pellegrini (Smer-SD) von einer „Verhöhnung der parlamentarischen Demokratie“. Eine Aussage, die sich auch auf die „Hochzeitstorte“ beziehen dürfte, die die Blockierer auf das Rednerpult stellten. Sie wollten so die Wähler kurz vor dem Urnengang am 29. Februar aufrütteln. Befürchtet wird von ihnen, daß sich die bisher zusammen mit der SNS und der Partei der ungarischen Minderheit (Most-HÍD) regierende Smer-SD demnächst mit der ultrarechten Volkspartei Unsere Slowakei (L’SNS) von Marian Kotleba politisch „vermählen“ könnte.

Zwar schließen die Smer-Politiker aktuell eine Zusammenarbeit mit der L’SNS aus, andererseits ist ihr Wille zum Regieren trotz seit 2016 kontinuierlich sinkender Zustimmungsraten ungebrochen. Viele Oppositionsparteien sind aber mit dem Versprechen gegründet worden, für eine „saubere Politik“ jenseits der von Smer betriebenen Vetternwirtschaft zu stehen. Die Smer entstand ursprünglich 1999 aus den Trümmern der postkommunistischen SD?.

Smer-Chef Robert Fico war 1987 zunächst den tschechoslowakischen Kommunisten (KS?) beigetreten und machte später bei der SD? Karriere. 2006 wurde Fico erstmals Premier – dank einer Koalition aus Smer, SNS und der HZDS das Nationalpopulisten Vladimír Me?iar, was in Brüssel nicht gut ankam: Die Smer wurde zeitweilig von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) suspendiert.

Politische Verwicklungen in mafiöse Strukturen

Nach den Wahlen von 2010 waren Fico und seine Smer zwei Jahre in der Opposition. Nach einem bürgerlichen Intermezzo und vorgezogenen Neuwahlen kehrte Fico 2012 zurück: mit absoluter Parlamentsmehrheit. Nach der Wahl von 2016 war für die Smer allerdings eine Vier-Parteien-Koalition notwendig: mit SNS, Most-HÍD und der konservativen SIE?.

In Korruptionsaffären sind praktisch alle slowakischen Regierungen seit der Jahrtausendwende verwickelt. Einer, der diese postkommunistisch-neukapitalistischen Netzwerke aufklären wollte, war der Journalist Ján Kuciak. Seine Ermordung im Februar 2018 brachte Zehntausende Bürger auf die Straße und führte einen Monat später zum Rücktritt von Premier Fico und Innenminister Robert Kali?ák (Smer-SD). Der damalige Vizepremier Pellegrini übernahm die Regierung und setzte die Koalition ohne die SIE? fort.

Im Herbst traten Justizstaatssekretärin Monika Jankovská und Parlamentsvizepräsident Martin Glvá?, ebenfalls Smer-Politiker, zurück. Generalstaatsanwalt Dobroslav Trnka wurde festgenommen, weil er den Medienunternehmer Marián Ko?ner vor Strafverfolgung geschützt haben soll. Im März 2019 wurde Ko?ner unter dem Vorwurf, die Ermordung von Kuciak in Auftrag gegeben zu haben, verhaftet. Im Oktober wurde Anklage gegen Ko?ner erhoben.

Welche Konsequenzen werden die Verwicklungen der etablierten Parteien in mafiöse Strukturen auf die 4,5 Millionen Wahlberechtigten haben? Das ist das große Rätsel für alle Demoskopen. Abgesehen vom rapiden Umfrageabsturz der Smer-SD weisen alle anderen Parteien in den Diagrammen der Wahlprognosen dicht beieinander liegende Zickzacklinien eines ständigen Auf und Ab in der Wählergunst auf.

Das einzig Auffällige ist der steile Anstieg der aktuellen Sympathiewerte für die vom Unternehmer Igor Matovi? gegründete konservative Protestpartei „Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen – Die Neue“ (O?aNO), die mit 15 Prozent nur zwei Prozentpunkte hinter Smer liegt. Matovi? gilt zwar als „Populist“ ohne größere politische Erfahrung und Personal, aber das könnte sich inzwischen positiv auswirken. Mit den Stimmen anderer bürgerlicher Parteien könnte der 46jährige neuer Regierungschef werden. Bei den Parlamentswahlen 2010 war Matovi? lediglich Zählkandidat der liberalen SaS, schaffte aber dank vieler Vorzugsstimmen dennoch den Parlamentseinzug.