© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Garzweiler oder Grünheide – Tesla oder RWE?
Justitia ist nicht mehr blind
Markus Brandstetter

Justitia, die römische Göttin der Gerechtigkeit, wurde in der Kunst stets mit Richtschwert, Waage und Augenbinde dargestellt. In der jüngsten deutschen Geschichte ist ihr das Schwert geblieben – Waage und Augenbinde sind weg. Dafür können sich Politiker erstmals seit 1945 wieder voll auf die Justiz verlassen. Die tut, was die Politik für gut und richtig hält. Eine flächendeckende vierteljährliche Zwangsabgabe für das Regierungsfernsehen? Vollkommen legal. Die Vergesellschaftung der EU-Schulden mit Hilfe obskurer und nur Spezialisten bekannter Finanzierungsvehikel? Mit dem Grundgesetzt absolut vereinbar. 

Und nun also die Rodungen für die „Gigafactory 4“ des kalifornischen E-Autokonzerns Tesla in Grünheide südöstlich von Berlin. Die sind laut Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg selbstverständlich rechtmäßig, auch wenn noch gar keine Baugenehmigung vorliegt, die aber – wir ahnen es – so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche. George Orwells Kommunismus-Satire „Animal Farm“ von 1945 läßt grüßen: Im Prinzip sind alle Menschen gleich, nur einige sind offenbar gleicher. Und das sogar vor dem Gesetz.

Das merkt man besonders gut, wenn man die geplante Tesla-Fabrik in Brandenburg mit dem Braunkohletagebau im rheinländischen Garzweiler vergleicht. Auch hier sollte Wald gerodet werden, in dem natürlich auch Vögel ihre Nester bauen und Fledermäuse flattern – nicht anders als in Grünheide unweit des Müggelsees und des Naturschutzgebiets Löcknitztal, wo nun Tesla bauen will. Aber merkwürdig: In Brandenburg ist nun all das von den Medien verpönt und von Richtern verboten, was jüngst in Garzweiler noch heiß ersehnt und vollkommen legal war, nämlich Natur- und Umweltschutz.

In Garzweiler wurde die Rodung des Hambacher Forstes erst durch Gerichte untersagt und dann vom Energieversorger RWE freiwillig ausgesetzt, während militante Linksextremisten, deren Haupt­interesse sonst nicht dem deutschen Baum gilt, in den Medien ganz viel Verständnis für ihre „Hambi bleibt!“-Aktionen fanden. 

In Deutschland wird seit langem von Parteien, Lobbygruppen und Medien mit zweierlei Maß gemessen. Und vielleicht muß das so sein, weil die einen wie die anderen stur und parteiisch nur ihre eigene Agenda vertreten. Aber für die Justiz darf das nicht gelten. Diese muß kategorisch von der Staatsgewalt unabhängig sein – eine Trennung, die eine der wesentlichen Säulen des modernen demokratischen Rechtsstaates darstellt.

Doch genau diese Trennung wird durch zunehmend parteiische Entscheidungen deutscher Gerichte – von der Euro-Rettung bis zur für verfassungskonform erklärten schwarz-rote Mietpreisbremse – immer mehr in Frage gestellt. Das ist eine äußerst bedenkliche Entwicklung.


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