© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Neue deutsche Staatsräson
Von wegen Rechtsruck: Linksradikale Sichtweisen wandern in die Mitte der Gesellschaft
Michael Paulwitz

Linksextreme Ideologeme, die früher nur von K-Gruppen, in der DDR oder bei linksradikalen Sektierern salonfähig waren, wandern heute nicht nur in die politische Mitte, sondern werden selbst von vermeintlich bürgerlich-konservativ Spitzenpolitikern übernommen. Deutschland sei auf dem Weg in das dritte sozialistische Experiment, warnte unlängst der ehemalige litauische Staatspräsident Vytautas Landsbergis. Endstation Antifa-Republik: Wir erklären acht Positionen und Begriffe, an denen dies festzumachen ist.





Geschichtspolitik

Wer nicht ins prüde politisch-korrekte Raster der Gegenwart paßt, wird ohne Rücksicht auf den Kontext von Straßenschildern oder der Widmung von Schulen, öffentlichen Gebäuden, Kasernen, Auszeichnungen oder Veranstaltungen getilgt. Neue sozialistische, feministische, antikolonialistische oder multikulturalistische Helden stehen ja zur Genüge bereit.

Die Thälmann-, Zetkin- oder Karl-Marx-Straßen der Ex-DDR dürfen dagegen unhinterfragt bleiben. Dem Ahnherrn aller sozialistischen Schreibtischtäter durften die chinesischen Kommunisten in seiner Geburtsstadt Trier im Jahr 2018 sogar ein neues Denkmal stiften. Bis der 8. Mai nach dem Umkippen der Gedenkrhetorik auch offiziell als „Tag der Befreiung“ zum Feiertag wird, ist nur eine Frage der Zeit. 

Berlin macht dieses Jahr zum 75. Jahrestag schon mal den Probelauf. Der 8. März, den in der alten Bundesrepublik nur kommunistische Sektierer als „Internationalen Frauentag“ kannten, ist längst Mainstream-Folklore und in Berlin auch schon Feiertag. Die „Hauptstadt der DDR“ läßt grüßen.





Feindbild Bundeswehr

Wenn Linke und Grüne über die Bundeswehr reden, hört sich das an wie DDR-Wandzeitungen aus dem Kalten Krieg. „Militarismus“ und „Militarisierung“ sind gängige Münze, am liebsten würde man die Bundeswehr nicht nur aus den Schulen verbannen, sondern gleich ganz aus dem öffentlichen Leben. Der zaghafte Versuch, Soldaten mit Freifahrscheinen zum Uniformtragen in der Öffentlichkeit zu ermuntern, löst ganze Kaskaden von Haßtiraden linker Eiferer im Netz aus. Dabei ist die Bundeswehr schon längst Stiefkind aller etablierten Parteien, kaputtgespart, der Wehrpflicht beraubt und als Armee zur Landesverteidigung regelrecht demontiert. Der pauschale „Rechtsextremismus“-Verdacht ist links-grüner Gemeinplatz, die rigorose Säuberung von Traditionen und verdächtigen Gedanken hat sich ausgerechnet eine CDU-Verteidigungsministerin zur Aufgabe gemacht. 





Klasse statt Nation

Wehe, es wagt jemand, Gegensätze zu benennen. Wenn es mal knirscht in der schönen neuen „multikulturellen“ Gesellschaft, sind entweder „Nazis“ und „Rassisten“ schuld, oder aber „soziale Ungerechtigkeit“. Wer sich als „Deutscher“ definiert, ohne damit jeden zufällig im Lande Anwesenden einzuschließen, macht sich schon verdächtig. Wer den Nationalstaat nicht „überwinden“ will, sondern als Bezugsrahmen für Demokratie und Sozialstaat hochhält, erst recht. Wenn einer gar von einem deutschen Volk als Abstammungsgemeinschaft ausgeht, dann ist sofort die Totschlag-Vokabel „völkisch“ bei der Hand. So gesehen ist selbst das Grundgesetz „völkisch“. Dann muß eben der Artikel 1 von der „Würde des Menschen“ herhalten, um die Verfassung passend umzuinterpretieren. Volk soll es nur im Sinne von „Bevölkerung“ geben, predigt selbst die Kanzlerin. Jeder darf bleiben, jeder ist willkommen. Unterschiede gibt es nur im „Sozialen“, und darum kümmert sich der Staat mit dem Geld der Bürger. „Refugees welcome“ war mal linksextreme Kampfrhetorik – jetzt ist die Antifa-Parole Ausweis besserer Gesinnung.





Angriff auf das Privateigentum

Selbst wer sich überhaupt nicht für Politik interessiert, merkt irgendwann am eigenen Geldbeutel, daß Deutschland immer sozialistischer wird. Wenn sogar Durchschnittsverdiener schon die Hälfte ihres Einkommens durch direkte und indirekte Steuern, Abgaben und Zwangsbeiträge an den Staat und Fiskus abliefern müssen, ist das weniger „Gerechtigkeit“ als vielmehr Konfiskation. 

Die wird allenthalben salonfähig: Sparer-Enteignung durch Euro und Negativzinsen, Autofahrer-Enteignung durch Fahrverbote und absurde Grenzwerte, Vermieter-Enteignung durch Auflagen und „Mietendeckel“. In Berlin übt man schon die Totalenteignung, damit der Staat Wohnungsvergabe und Preise regeln kann. Leistung bestrafen, ideologisches Wohlverhalten belohnen: Willkommen im Neo-Sozialismus.





Antifaschismus

Jeder gute Demokrat muß „Antifaschist“ sein. Solche Parolen verbreiten heute nicht SED-Chefideologen, sondern selbst CDU-Politiker. „Faschist“ ist die neue universelle Feindbestimmung, die etablierte Medien und Politiker inzwischen kritiklos nachplappern. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die CDU die Distanz zur SED-PDS-Linken aufgibt; deren Chefin Katja Kipping frohlockt schon vom „antifaschistischen Grundkonsens“. Da verwechselt sie allerdings das Grundgesetz mit der DDR-Verfassung. Die alte Bundesrepublik kannte noch den antitotalitären Grundkonsens, der Extremisten von links und rechts gleichermaßen ächtete. Der von der SED in die Berliner Republik hinübergerettete stalinistische „Antifaschismus“-Begriff erklärt dagegen jeden zum „Faschisten“, der gerade nicht auf Parteilinie liegt. Konsequent erklärt der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh Grüne, Linke und Sozis zu den einzig wahren Hütern von Demokratie und Grundgesetz. CDU und FDP müssen nach dem gescheiterten Ausbruchsversuch von Erfurt demütig um Aufnahme betteln. Grundlage für diese Einheitsfront ist der „Kampf gegen Rechts“ als Modus des permanenten geistigen Bürgerkriegs, eine Art neuer Klassenkampf Gut gegen Böse.





Geheimdienst als Polit-Polizei

Wenn ganze Gruppen zu Feinden erklärt werden, mit denen man nicht verhandelt, geht das nicht ohne Zwang. Deswegen braucht jeder Sozialismus eine Polit-Polizei als Schild und Schwert. Die war in der alten Bundesrepublik nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur aus guten Gründen tabu. Heute gibt die steuergeldgemästete „Zivilgesellschaft“ und den Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“.Der war ursprünglich mal dem antitotalitären Grundkonsens verpflichtet. Die letzten Reste davon werden nach dem erzwungenen Abgang von VS-Chef Hans-Georg Maaßen gerade zügig abgeräumt. Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes unter seinem neuen Chef ‚Thomas Haldenwang ist offensichtlich, Belastungsmaterial gegen die AfD und ähnlich gesinnte Oppositionelle zu sammeln. Den unbequemen Feind erst observieren, dann verbieten – ein Gedanke aus dem sozialistischen Lehrbuch.

In Thüringen wollte die SED als Regierungspartei den Verfassungsschutz ursprünglich sogar ganz abschaffen, besann sich dann aber darauf, ihn einseitig zu politisieren und mit reichlich Steuergeld als „wissenschaftliche“ Institute oder Demokratieprogramme getarnte Neben-Geheimdienste für den „Kampf gegen Rechts“ auf allen Ebenen einzurichten.





Politisierung der Institutionen

Parteilichkeit“ hieß im DDR-Sozialismus die höchste Tugend; „bürgerliche“ Vorstellungen wie Neutralität im Amt und unbestechliche Einhaltung und Durchsetzung von Gesetzen und Regeln stehen da nur im Wege. Die leiden auch, wenn eine politische Klasse sich den Staat zur Beute macht und Rundfunkanstalten, Verwaltungen, hohe Gerichte und alle möglichen Gremien nach Parteienproporz besetzt werden.

Die Bundeskanzlerin entscheidet im Alleingang, sich über Gesetze und Verträge hinwegzusetzen, erklärt sogar Wahlen, die ihr nicht passen, für „unverzeihlich“ und läßt selbst Ministerpräsidenten absetzen. Der Bundespräsident erhebt die Stimme vor allem, um die Opposition zu verdammen, schweigt aber zum Straßenterror gegen dieselbe. 

Er mobilisiert im Parteienchor zu linientreuen Kundgebungen mit linientreuen Künstlern; in den Schulen gewinnt die ideologische Indoktrination für „Klimaschutz“ und gegen „Rechts“ immer breiteren Raum die Regierung macht Gesetze und beauftragt Wächterorganisationen, um unerwünschte Meinungen aus dem Internet herauszuhalten. Richter werden angehalten, die Gesinnung von Tätern strafverschärfend zu berücksichtigen; und regierungsfromme Sender funktionieren „Nachrichten“ zu Dauerwerbesendungen um.





Vergesellschaftung des Privatlebens

Schon der alte Marx hatte erkannt, daß die bürgerliche Familie als Hort individueller Freiheit und Selbstbestimmung der ärgste Feind der sozialistischen Gesellschaft ist. 

Seine späten Adepten sind auch da nicht faul. Die Propagierung von Kinderganztagsbetreuung möglichst vom ersten Lebensjahr an ist von Links-Grün-Rot bis FDP und Union inzwischen Konsens. Gender-Gaga hat es von der linken Sektiererideologie in den politischen Mainstream geschafft. Der Staat kümmert sich nicht nur darum, wie die Leute essen, leben und sich fortbewegen sollen – am besten nur mit Kollektiv-Verkehrsmitteln –, sondern auch, was sie denken und reden sollen. 

Hochschullehrer überlegen sich zweimal, ob sie sich mit Linken anlegen; Kindergartenerzieher fragen schon die Kleinsten ab, wie die Eltern wählen; besonders eifrige distanzieren sich öffentlich von ihren „falsch“ denkenden Eltern und Verwandten. Nur jeder sechste Deutsche fühlt sich frei, öffentlich seine Meinung zu sagen.