© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Chancengerechtigkeit nur durch staatliche Obhut von Geburt an
Herkunft und Bildungserfolg
(ob)

Die Behauptung, in kaum einem anderen Land hänge der Bildungserfolg so von ethnisch-sozialer Herkunft ab wie in Deutschland, ist ein beliebter bildungspolitischer Topos. Er wird in Presse, Funk und Fernsehen seit der Jahrtausendwende gebetsmühlenartig traktiert, ohne ihn je empirisch zu überprüfen. Eine Litanei, die auch deswegen mit größter Hemmungslosigkeit gesungen wird, weil sie maximales Empörungspotential freisetzen kann, da in diesem Vorwurf stets die Unterstellung aktiver Diskriminierung bestimmter sozialer und ethnischer Gruppen mitschwingt. Auch die letzte OECD-Studie (2018), die sich dem statistischen Zusammenhang zwischen schulischer Leistung und sozialer Herkunft widmet, stimmt in dieses Mantra ein. Womit die UN-Experten für den Bildungshistoriker Rainer Bölling nur festgefahrene Vorurteile bestätigten (Pädagogische Korrespondenz, 59/2019). In einer eigenen Studie weckt er Zweifel an der Tauglichkeit der Maßstäbe, die die OECD oder die in der Debatte omnipräsente Bertelsmann-Stiftung mit ihrem „Chancenspiegel“ anlegen. Der Bildungserfolg hänge überall von der Herkunft ab. Das werde solange so bleiben, wie Kinder bei ihren Eltern aufwachsen. Denn kein Bildungswesen habe auf die soziokulturellen Bedingungen in den ersten Lebensjahren Einfluß. Solche Determinanten ließen sich selbst mit dem fleißigen Ausbau frühkindlicher Erziehung nur graduell beeinflussen. Um der von manchen Theoretikern erstrebten Gleichheit wirklich nahe zu kommen, müßten alle Kinder schon nach der Geburt öffentlicher Erziehungsobhut anvertraut werden. Dagegen stehe derzeit noch der Artikel 6 des Grundgesetzes. 


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