© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

CD-Kritik: Simone Kermes
Felder aus Gold
Jens Knorr

Für gewöhnlich verwertet Pop zeitversetzt und ungeniert die Entdeckungen der „ernsten“, der E-Musik. Wenn aber vieles, was dazumal avancierte Musik war, heute als „unterhaltende“ vor die Ohren gebracht werden kann, dann kann auch einmal U-Musik unserer Tage über den Leisten historisch informierter Aufführungspraxis geschlagen werden.

Simone Kermes singt und ihre Banda Amici Veneziano spielen Stings „Fields of Gold“, Udo Jürgens’ „Aber bitte mit Sahne“, Pages & Plants „Stairway to Heaven“ und RedOnes „Poker Face“. So pfiffig Jarkko Riihimäki auch Rock in Barock verwandelt hat, bleibt doch das musikalische Gefälle von Bach und Händel zu den Songs ohrenfällig, denen eher Vinci, Bononcini, Hasse, Vivaldi, Caldara, Broschi näherstehen dürften. Die lustvoll ernsthaften Interpretationen lassen den Hörer schier vergessen, daß einige der 14 Arien überhaupt erst einen Umweg über Sting, Led Zeppelin, Jürgens und Lady Gaga hatten nehmen müssen.

Jeder Arie hat die Kermes eine Todsünde oder eine Tugend zugeordnet, deren Komplementarität die Programmfolge auf der CD allerdings nicht widerspiegelt. Keine Tugend ohne Todsünde, kein Paradies ohne Inferno! Mit ihrer mehr charakteristischen denn opulenten Stimme, höhenspitzig und hauchzart, nervig gespannt und reißfest gehalten, verführt die Kermes zu beiden.

Simone Kermes Inferno e Paradiso Sony Classical 2020  www.simone-kermes.de