© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Im Galopp durch tausend Jahre
Haus der Bayerischen Geschichte: Die Landesausstellung 2019/20 in Regensburg zeigt hundert Schätze der Landesgeschichte
Felix Dirsch

Das Konzept der 100 Objekte ist längst integraler Bestandteil populärer historiographischer Darstellungen: Eine „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ (MacGregor), eine „Deutsche Geschichte in 100 Objekten“ (Peter Schäfer), das „Dritte Reich in 100 Objekten“ (Roger Moorhouse) und weitere Veröffentlichungen mit diesem Titel finden zumeist starken Anklang und bieten sich somit zur Nachahmung an.

Die Bayerische Landesausstellung 2019/20, die im unlängst eröffneten Museum des Hauses der Bayerischen Geschichte in Regensburg stattfindet, folgt diesem Ansatz. Hier kann man Geschichte in unmittelbarer Nähe zur Donau betrachten. Das in den letzten Jahren deutlich gestiegene Interesse an Identität und Heimat ist in vielen Hintergrundgesprächen am neuen Ort erlebbarer Geschichte zu spüren.

Doch welcher Blick auf die bayerische Geschichte bietet sich an? Die Experten sind sich uneins. Während die einen von den frühen Anfängen einen Bogen schlagen wollen zur unmittelbaren Gegenwart, bevorzugen andere eine Sicht auf das moderne Bayern in seinen jetzigen Grenzen, also in den letzten gut 200 Jahren.

In der Dauerausstellung wird die bayerische Geschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert präsentiert. Diese Entscheidung verlangte eine Kompensation und ein Zugeständnis an die unterlegene Fraktion. Die aktuelle Sonderausstellung zeigt nun das historische Kontinuum vom ersten urkundlich erwähnten Agilolfinger-Herzog Garibald bis in die Endzeit des Alten Bayern um 1800 – und das am Leitfaden von 100 Schätzen aus 1.000 Jahren. Anschaulicher geht es kaum!

Wer die Tiefendimensionen der Fragen „Wer sind wir?“ und „Was macht uns Bayern aus?“ ausloten will, kommt um die Suche nach den Ursprüngen nicht herum. Erste, zumeist schwer datierbare Artefakte stammen aus dem 5. und 6. Jahrhundert, häufig Skelette. Besonders sehenswert aus dieser frühen Zeit ist die älteste Sakralglocke Deutschlands, die wohl aus dem 8. Jahrhundert stammt. Iroschottische Wandermönche dürften sie mitgebracht haben.

Die Wittelsbacher reißen die Macht an sich

Weiter ragt aus dem Fundus der ältesten Artefakte eine Bügelfibel heraus, Teil eines in Wittislingen 1881 gefundenen Ensembles. Dieses reich verzierte Schmuckstück hatte wahrscheinlich die Funktion eines Kleidungsverschlusses. Darüber hinaus werden ein Auszug aus der Lex Baioariorum, die übliche Delikte der Zeit und deren Tatfolgen benennt, und der Pettstadter Hostienbecher gezeigt, dessen kunstvolles, auf christlicher Symbolik beruhendes Flechtwerksdekor auffällt. Mit der Absetzung von Herzog Tassilo III. ist die Zeit der Agilolfinger-Herrschaft vorbei.

In Siebenmeilenstiefeln geht es weiter durch die Historie: 1180 endet das „welfische Jahrhundert“. Die Wittelsbacher reißen in den folgenden Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Adelsgeschlechtern die Macht an sich. Die Frühzeit ihrer Regentschaft ist bis heute mit einer Bluttat belastet: Pfalzgraf Otto VIII. tötete in einem Ehrkonflikt den König Philipp von Schwaben. Der Bleisarg, in dem dieser Herrscher im Bamberger Dom beigesetzt wurde, ist in der Ausstellung zu besichtigen. Es ist dem „biologischen Zufall“ geschuldet, daß die Wittelsbacher sich letztlich durchsetzen konnten.

Auch die Welt des späten Mittelalters wird dem Besucher nahegebracht, etwa die Geschichte Ludwigs IV., besser bekannt als Ludwig der Bayer, zudem die aufsehenerregende Hinrichtung der Agnes Bernauer durch Herzog Ernst von Bayern. Zu den beeindruckendsten Exponaten aus dem 14. Jahrhundert zählen Stiefel aus Rinds- und Ziegenleder, die im Zusammenhang mit einem aus dem Moor geborgenen weiblichen Leichnam gefunden wurden.

Besucher, die sich für Reformation, Gegenreformation, Dreißigjährigen Krieg, aber auch für die Auseinandersetzungen mit den Türken interessieren, kommen gleichfalls auf ihre Kosten. Der 1571 errungene Sieg der Heiligen Liga über die osmanische Flotte wirft lange, nicht zuletzt künstlerische Schatten. Unweigerlich wird man von der reichhaltig-diffizilen Lepanto-Monstranz, Anfang des 18. Jahrhunderts fertiggestellt, in Bann gezogen. Die Lunula in der Mitte ist die Halterung für die Hostie. Auch diese Epoche wurde von großen Herrschergestalten geprägt. Kurfürst Maximilian I., der während des großen Gemetzels im 17. Jahrhundert über Jahrzehnte regierte, prägte die strikt gegenreformatorische Ausrichtung des neuen Kurfürstentums. Figuren, die die Patrona Bavariae in diversen Varianten darstellen, hatten damals Hochkonjunktur. Daß sich Bayern damals sogar für byzantinische Kunst interessierte, wird am Beispiel des Lukasbildes aus dem Freisinger Dom deutlich, in dessen Mitte eine kostbare Marienikone aus dem fernen Osten zu bewundern ist.

Der Barock markiert eine kulturelle Blütezeit

Wie bei den meisten größeren Ausstellungen heute werden nicht nur herausragende Kunstwerke präsentiert, sondern auch der Alltag der „kleinen Leute“. So sind Aufzeichnungen einer unbekannten Täuferin zu sehen, die von deren Nöten und vom illegalen Treiben im Untergrund erzählen. Außerdem wird von der „leichtlebigen“ Katharina Hochstrasser berichtet, die von der Obrigkeit für ihr Verhalten bestraft wurde. Sie mußte mit ihrem unehelichen Kind ihre Heimat verlassen.

Die Initiatoren haben sich auch in pädagogischer Hinsicht viel einfallen lassen. Anhand von elektronischen Bildschirmen ist es möglich, erworbenes Wissen zu vertiefen, etwa in Form von Multiple-Choice-Tests.

Der Barock markiert eine kulturelle Blütezeit Bayerns. Einige Beispiele hierfür sind in der Ausstellung zu betrachten, so das Selbstporträt Cosmas Damian Asams, der sich (mit seinen Brüdern) programmatisch in Szene setzt. Als Statussymbol par excellence darf die Gala-Portechaise gelten. Das Wappen an ihrer Vorderseite verweist auf das Geschlecht der Törring-Seefeld. Stärker kann die Würdeform selbst in einer ständisch geprägten Gesellschaft kaum zum Ausdruck kommen.

Für Kunstgenuß dürfte die einfache Bevölkerung wenig Zeit und Muße gehabt haben. Sie wurde durch diverse Hungerkatastrophen hart getroffen. Jene um 1770 ist aufgrund der Beschreibungen in guter Erinnerung.

Die Aufklärung brachte auch für Bayern massive Umwälzungen. Kaum verwunderlich, daß der Pfarrer von Seehausen gegen Robespierre wetterte. Der Weg zum neuen Bayern war aber allem Widerstand zum Trotz nicht mehr aufzuhalten. Ob diese Entwicklung als positiv zu werten ist, gilt wie fast alles Maßgebliche in der Geschichte als umstritten. Heutige Historiker jedoch stimmen diesem Urteil beinahe ausnahmslos zu. Es scheint, als hätten sie das Motiv eines der letzten Gemälde der Darbietung besonders verinnerlicht: die Verneigung des Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg vor der wohl wichtigsten historischen Gestalt des Zeitalters, Napoleon Bonaparte. Der Vertreter einer zunehmend als obsolet empfundenen Epoche begrüßt ehrerbietig den Repräsentanten des Neuen. Dessen Fall ist später freilich um so tiefer.

In der Regel dauerhafter als Personen sind Symbole. So findet sich das Wappen des Königreiches Bayern von 1806 am Ende des Rundgangs. Es schließt sämtliche mit „Baiern vereinigte“ Landschaften und Volksstämme ein. Der Besucher braucht es bei diesem Abschluß nicht zu belassen und kann von der Sonder- in die Dauerausstellung wechseln. Dann liegt noch eine Schau von rund zwei Jahrhunderten vor ihm.

Die Ausstellung ist noch bis zum 8. März im Haus der Bayerischen Geschichte (Museum) in Regensburg, Donaumarkt 1, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt in Kombination mit der Dauerausstellung beträgt 10 Euro.

Der reichbebilderte Katalog kostet im Museum 24 Euro.

 www.hdbg.de; www.museum.bayern