© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Welches Profil hätten’s gern?
AfD: Der Rundbrief des Bundesvorstands und das jüngste Wahlergebnis in Hamburg sorgen für innerparteiliche Debatten / „Selbstreflektion ist richtig“
Jörg Kürschner / Christian Vollradt

Gemischt“ seien die Reaktionen auf den Rundbrief der beiden AfD-Chefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla nach dem Amoklauf von Hanau (JF 10/20) gewesen, heißt es aus Parteikreisen. So hätten nicht wenige Mitglieder eher kritisch angemerkt, in dem Schreiben sei zu stark auf die rassistische und fremdenfeindliche Motivation des Täters und zu wenig auf seine ganz offenbar vorhandene schwere psychische Störung eingegangen worden. 

Die im Text ebenfalls enthaltene Aufforderung zur Selbstreflexion samt der Frage, „warum es unseren politischen Gegnern gelingt, uns überhaupt mit solch einem Verbrechen in Verbindung zu bringen“, hat offenbar viel Anlaß zu innerparteilicher Debatte geboten. Dabei erkennen die einen durchaus an, daß verbale Entgleisungen mancher in der AfD es Medien und der politischen Konkurrenz zu leicht machten und daß es Leute in den eigenen Reihen gebe, die untragbar seien. Andere halten dem entgegen, allein das Strafrecht definiere „rote Linien“, man dürfe nicht „über jedes Stöckchen springen“. 

„Bürgerlich mit verschiedenen Nuancen“ 

Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank-Christian Hansel, ist eine Selbstreflexion „wichtig“, der Brief der Parteispitze„völlig richtig und kein Schuldeingeständnis“, meinte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. In die Debatte spielt auch das Wahlergebnis von Hamburg hinein. „Die in Hamburg prognostizierten sieben bis acht Prozent waren nach den Anschlägen von Hanau nicht mehr zu halten“, meint Hansel. Die AfD habe dort „einen ‘Wählerdeckel’ erlebt“. So hatte es auch das Bundesvorstandsmitglied aus der Hansestadt, Alexander Wolf, in einem Gastbeitrag für die Onlineseite der JF beschrieben: Die Stammwähler wurden gehalten, doch „um eine breit aufgestellte Volkspartei zu werden, muß es der AfD gelingen, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen breitere, bürgerliche Kreise anzusprechen und zu gewinnen.“  

Als unsolidarisch bewertet wird daher die mehr oder weniger verdeckte Kritik aus dem Umfeld des „Flügels“, man solle sich doch inhaltlich stärker an den Landesverbänden im Osten orientieren, die ungleich höhere Ergebnisse erzielten. Wobei AfD-Politiker dort die Unterschiede durchaus differenziert sehen: „Hamburg und ostdeutsche Länder kann man hinsichtlich der Wahlen nicht vergleichen. In einer Großstadt wie Hamburg sind die Rahmenbedingungen für einen Wahlkampf ungleich schwieriger als etwa im ländlichen Raum in Ostdeutschland“, sagte etwa Sachsens Landesvorstandsmitglied Sebastian Wippel der JF. Die AfD sieht er als „eine bürgerliche Partei mit Nuancen in den verschiedenen Bundesländern“.

Gut ablesbar ist das Ost-West-Gefälle in Berlin. Dort rangiere man – mit einer einheitlichen bürgerlich-konservativen Ausrichtung – im Westen bei durchschnittlich 11, in einigen Ost-Bezirken dagegen bei über 25 Prozent. Daß die AfD ein „Großstadtproblem“ habe, liege nicht an der Politik der jeweiligen Verbände, sondern an der Wählerzusammensetzung. Dort wo das besonders „grün tickende“ urbane Milieu zu Hause sei, werde das Klima für die AfD rauher. Im übrigen, vergessen westdeutsche AfD-Politiker nicht zu erwähnen, hätten sogar die derzeit besonders selbstbewußt auftretenden Thüringer Parteifreunde bei der jüngsten Landtagswahl fast 35.000 Stimmen im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 verloren. Richte man sich stärker an dem aus, was die Protagonisten des „sozial-patriotischen Flügels“ forderten, würden auch die Medien „der süßen Versuchung erliegen, die AfD als Ganze noch weiter nach rechts zu schreiben und als Regionalpartei für den Osten ausrufen“, befürchtet etwa Frank-Christian Hansel. Eine solchermaßen „verschrumpfte“ AfD würde so als „für den Westen quasi unwählbar“ dargestellt. „Und genau das darf nicht passieren.“

Mit der Forderung einer selbstkritischen Nabelschau habe die Parteispitze immerhin eine lebhafte Diskussion angestoßen, dafür habe der Mitgliederbrief auch „kontrovers“ formuliert werden müssen, lobt ein AfD-Politiker. Und der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Roman Reusch meint gegenüber der JF, Selbstreflexion sei immer der richtige Weg: „Das gilt auch für die Altparteien, die uns ‘außerhalb der Gesellschaft’ stellen wollen.“