© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Heimlich, krakenhaft und mit viel Geld
Wie das europäische Rechtssystem unterlaufen wird: Die dubiose Rolle des US-Investors George Soros
Jürgen Liminski

Der Primat des Rechts über Stärke und Gewalt ist eine Errungenschaft der europäischen Zivilisation. Er ist auch das Fundament der Demokratie. Die Frage ist: Welches Recht? Hier scheiden sich die Geister. Denn die Rechtsprechung interpretiert zwar das Recht, und geltendes Recht ist für die Exekutive handlungsweisend, aber die Legislative kann Rechte auch ändern, ergänzen, abschaffen. Was aber, wenn die Rechtsprechung im Interesse einer Nichtregierungsorganisation gelenkt, manipuliert und heimlich, also am Souverän, dem Volk und der Gewaltenteilung vorbei, uminterpretiert wird? Dann gleitet die Demokratie ab in eine NGO-Diktatur. Genau das geschieht derzeit in Europa.

Als Grundlage für die Rechtsprechung in Deutschland gilt das Grundgesetz. Es wurde nur wenig früher zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats (EMRK) erarbeitet. Die Konvention enthält einen Katalog von Grund- und Menschenrechten und trat am 3. September 1953 allgemein in Kraft. Als sogenannte geschlossene Konvention kann sie nur von Mitgliedern des Europarats sowie von der EU unterzeichnet werden. Die Bereitschaft zur Unterzeichnung und Ratifikation der EMRK hat sich im Laufe der Zeit zu einer festen Beitrittsbedingung für Staaten entwickelt, die dem Europarat angehören möchten. Wer dem Europarat angehört, hat mithin als übergeordnetes Grundgesetz die Menschenrechtskonvention.

Die verpflichtende Interpretation der Konvention obliegt hundert amtlichen Richtern, die am Sitz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg tagen. Wer auf diese Richterschaft Einfluß ausüben kann, kann die Rechtsstaatlichkeit in Europa mitbestimmen und die Gewaltenteilung aushebeln. Und genau das geschieht – heimlich, krakenhaft und mit viel Geld über diverse NGOs. Und der Krake heißt George Soros.

185 Fälle, in denen eine NGO beteiligt war

Eine mit wissenschaftlicher Akribie angefertigte Untersuchung hat im Februar den Schleier über Soros gelüftet. Gregor Puppinck und Delphine Loiseau vom Europäischen Zentrum für Recht und Gerechtigkeit (ECLJ) stellen in ihrem Bericht fest, daß 22 der hundert ständigen Richter am EGMR zwischen 2009 und 2019 direkt oder indirekt mit sieben NGOs zusammengearbeitet haben, die man als linksprogressiv und globalistisch bezeichnen kann. Sie stehen alle in unmittelbarer Verbindung oder hängen finanziell von der Open Society Foundation des George Soros ab.

Zwölf der 22 Richter stehen in direkter Verbindung mit der Stiftung, die wie eine Holding zahlreiche NGOs dirigiert. Auch die Klimaschutzbewegung bewegt sich in diesem Netz. Die anderen zehn Richter hatten leitende oder beratende Funktionen bei den NGOs. Diese Richter waren an Urteilen beteiligt, die Österreich, Italien und Griechenland zwangen, „Homo-Ehen“ zu legalisieren, und Polen, die Abtreibungsgesetze zu liberalisieren. Auch mischten sie bei Urteilen mit, die Ungarn drängten, die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen, und Österreich, die Adoption durch homosexuelle Paare zu erlauben. Auch die Anwendung von Scharia-Gesetzen in Griechenland geht auf Urteile aus Straßburg zurück. Bei all diesen Urteilen, von denen es noch mehr gibt, stand eine der Soros-NGOs Pate, sei es als Kläger, Nebenkläger oder in Person eines Richters, der früher bei der Soros-Holding mitgearbeitet hatte.

Die Ideologie der Soros-Holding und ihr Netzwerk haben zum Ziel, wie das französische Wochenmagazin Valeurs Actuelles berichtet, das vor zwei Jahren schon einmal eine größere Titelstory über Soros veröffentlicht hatte, „die Nationen aufzulösen und dem Westen eine offene Gesellschaft ohne Grenzen aufzuerlegen“, den Multikulturalismus auf allen Ebenen einzuführen, Migrantenströme nicht mehr aufzuhalten, Abtreibung und Euthanasie sowie die Straffreiheit des Drogenkonsums und sexuelle Diversität mit Hilfe des Genderismus zu propagieren. Diese Ideologie, die politisch vor allem von linksgrünen Parteien vertreten wird, soll sich in der Rechtsprechung und daraus folgenden Gesetzen niederschlagen. Dafür braucht man Richter.

Die Methode, die zu diesem Ziel führen soll, ist denkbar einfach: In kleinen und/oder ärmeren Ländern wie im Baltikum oder in Osteuropa können NGOs mit finanziellen Mitteln relativ schnell Einfluß ausüben und dadurch bei der Besetzung von Richterstellen mitreden. Jedes der 47 Länder des Europarates kann für seine Richterstellen eigene Kandidaten vorschlagen, die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mehr oder weniger durchgewinkt werden. Die Richter müssen keine Juristen sein und werden für neun Jahre bestimmt.

Puppinck und Loiseau haben nun deren Lebensläufe der letzten zehn Jahre genauer unter die Lupe genommen, und siehe da, die „Soros-Richter“ kamen vor allem aus dem Baltikum oder Ost- und Südosteuropa und waren dort vielfach an leitenden Stellen der NGOs tätig gewesen. Bei den NGOs handelt es sich um Filialen des Helsinki-Komites für Menschenrechte, Human Rights Watch, Amnesty International, das Internationale Juristenkomitee, Interrights und das AIRE-Centre. Die Autoren der Studie haben 185 Fälle identifiziert, bei denen wenigstens eine der NGOs beteiligt war, und bei 88 von ihnen wurde das Urteil von einem Richter gefällt, der zuvor mit der NGO zusammengearbeitet hatte. In der Regel vermeiden die Richter solche Interessenkonflikte. Aber in den zehn untersuchten Jahren kam das nur zwölfmal vor.

Streitfälle, die im Zielfeld der Soros-Holding liegen

Bei den Urteilen handelte es sich meist um Streitfälle, die im ideologischen Zielfeld der Soros-Holding lagen. Soros läßt sich die Aushöhlung des europäischen Rechtssystems rund 90 Millionen Dollar pro Jahr kosten. Das Tribunal in Straßburg, das selbst ein Budget von 70 Millionen Euro hat, ist eine Investition mit großer Rendite. Nicht nur wiegen ein paar Millionen Dollar im Baltikum oder in Bulgarien und Rumänien deutlich mehr als in Deutschland oder Frankreich. Man bekommt gesinnungskonforme Richter. Auch ist die materielle Gesetzesgrundlage in Straßburg einfacher als beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Die Konvention ist relativ überschaubar und vor allem unbestimmter, mithin leichter umzuinterpretieren.

Die Luxemburger Richter dagegen müssen sich auf Gesetzeskonvolute stützen, die mehr Wissen und Sachkenntnis voraussetzen. Und vor allem: Die Kompetenz des EuGH ist genau in den Verträgen festgelegt. Dennoch ist auch bei diesem Gerichtshof die Tendenz zu erkennen, sich gesellschaftspolitischen Themen zu widmen, obwohl das Gericht dafür nicht zuständig ist. So hat es im Juni 2018 entschieden, daß der Begriff „Ehegatte“ im Rahmen des Gemeinschaftsrechts geschlechtsneutral sei und mithin die „Homo-Ehe“ vollumfänglich mit der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt werden müsse (Rechtssache C-673/16). Keine Mehrheit, kein Vertrag der Staaten hat den EuGH für solche Entscheidungen berechtigt. Doch niemand wagt es, die Richter in ihre Schranken zu weisen. Ähnlich ist es mit den Soros-Richtern des EGMR in Straßburg. So wird die Rechtsprechung, mit ihr die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie in Europa untergraben und instrumentalisiert. Das wäre mal ein Thema für die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands.

 Die ECLJ-Untersuchung „NGOs and the Judges of the ECHR 2009–2019“: https://eclj.org