© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Rot-grüne Graubereiche
Handwerksordnung: Steuer- und Regelverstöße nicht nur in Barbershops
Fabian Schmidt-Ahmad

Was haben ein Augenoptiker und ein Glasbläser gemeinsam, das sie von einem Feinoptiker oder einem Glockengießer unterscheidet? Beide Handwerke unterliegen der Meisterpflicht, was heute nicht unbedingt aus dem Beruf ersichtlich ist. Grund ist die mehrfach geänderte Handwerksordnung, die in ihrer letzten Fassung vor drei Wochen in Kraft trat. Mit dieser Novelle steigt wieder die Zahl der Berufe, die den Eintrag in eine sogenannte Handwerksrolle vorschreiben, um zwölf auf nun 53. Wer sich also künftig als Parkettleger oder Orgelbauer selbständig machen will, braucht wieder einen Meisterbrief als Voraussetzung.

Kritiker der Meisterpflicht, die ihre Wurzeln im mittelalterlichen Zunftwesen hat, sehen hier Protektionismus am Werk, der die Handwerker vor unliebsamer Billigkonkurrenz schütze und die freie Unternehmenstätigkeit hemme. Befürworter verweisen dagegen auf eine Qualitätssicherung in den jeweiligen Berufen – nachhaltig über die Generationen hinweg (JF 7/19). Statistiken geben kurioserweise beiden recht.

Als die rot-grüne Schröder-Regierung 2004 die meisterpflichtigen Handwerke drastisch von 94 auf 41 reduzierte, hatte das zwar steigende Betriebsneugründungen, aber auch sinkende Lehrlingszahlen zur Folge. Unabhängig von dem Für und Wider entstehen auch ganz einfach praktische Probleme im arbeitsteiligen Prozeß. Beispielsweise benötigt ein Trockenbauer keinen Meisterbrief, ein Verputzer oder Maler dagegen schon. Da die Gewerke aber Hand in Hand arbeiten, ergeben sich auf der Baustelle viele Graubereiche, sobald nicht ein Meister die Aufsicht hat. Noch deutlicher wird das Problem im Friseurhandwerk. Hier muß nach wie vor ein Friseurmeister ein Geschäft führen oder in leitender Funktion angestellt sein – bei einem Barbiergeschäft, der sich auf Bartpflege spezialisiert hat, ist das nicht der Fall.

„Hinweisgeber wollen anonym bleiben“

Hier ist der Weg in die Schwarzarbeit denkbar einfach, sehr zum Ärger regulärer Friseurgeschäfte, deren Betreiber oft viel Zeit und eine fünfstellige Summe in ihren deutschen Meisterbrief gesteckt haben. Für viele Handwerkskammern gilt die Regel, daß jede Haarpflege oberhalb eines – fiktiven – Brillenbügels von einem Meisterbetrieb durchgeführt werden muß. „Alles, was darüber geschnitten wird, ist dem Friseurhandwerk zuzuordnen und bedarf eines Meisterbriefs“, erläutert Achim Kraisel von der Handwerkskammer Region Stuttgart in der Deutschen Handwerkszeitung.

Die Bartpflege selbst gilt dagegen als sogenanntes Minderhandwerk, dessen Aneignung in weniger als drei Monaten erfolgen kann – es ist damit von der Meisterpflicht ausgenommen. Doch wer will im Zweifelsfall kontrollieren, wo ein Barbier die Haarschneidemaschine ansetzt? Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks ruft zu mehr Wachsamkeit auf. Kraisel selbst hat die Erfahrung gemacht, daß viele Friseure Hemmungen haben, Regelverstöße der Handwerkskammer zu melden. „Da geht es den meisten Hinweisgebern darum, anonym zu bleiben.“ Das hat vielleicht auch mit der Klientel zu tun, die hier zunehmend als Unternehmer auftritt.  

Seit zehn Jahren erfreuen sich – dem selbstbewußten Bartträger sei Dank – „Barbershops“ wachsender Beliebtheit (JF 50/14). Allerdings befinden sich darunter auch einige zwielichtige Geschäftsleute, die neben Wettbüros, Shisha-Bars und ähnlichem auch Barbershops in ihr Portfolio aufnehmen – obskure Geldströme und diskrete Hinterzimmertreffen inklusive. Im Januar führte die Berliner Polizei im Bezirk Wedding eine Razzia bei 14 Barbershops durch. Nur bei zwei Läden wurden keine Unregelmäßigkeiten gefunden. Auch in Essen will die Polizei Druck machen. Hier hatten rund zwei Dutzend Geschäfte eröffnet, vor allem in sozialen Problemvierteln – etwas viel plötzlich erwachtes Modebewußtsein für den Mann.