© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Syrischer Familienclan kassiert in Sachsen ab
Hartz IV: Organisierter Leistungsmißbrauch bei subventionierten „Selbständigen“ / Bagatell-Rückforderungen kosten hingegen oft mehr als sie einbringen
Paul Leonhard

Ein deutsches Ritual dürfte den eingewanderten Großfamilien besonders gefallen: Wenn sich linksgrüne Politiker über den „gnadenlosen“ Rechts- und Sozialstaat echauffieren und Regierungsvertreter daraufhin bereitwillig Einlenken. So forderte Linken-Chefin Katja Kipping unlängst: „Weg mit allen Sanktionen bei Hartz IV und den Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe.“ Angesichts von teurem bürokratischem Irrsinn und hohen Verwaltungskosten bei Kleinstbeträgen, die die eigentlichen Rückzahlungen im Arbeitslosengeld-II-Kosmos deutlich übersteigen, keine völlig unsinnige Kipping-Idee.

Zudem hat das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden, daß die bislang möglichen Hartz-IV-Sanktionen bei bestimmten Regelverstößen – Kürzungen von 60 oder gar 100 Prozent – in dieser Schärfe gegen das Grundgesetz verstoßen. Künftig sollen in der Regel nur noch Leistungskürzungen bis 30 Prozent erlaubt sein. Eine verfassungskonforme Neuregelung steht aber immer noch aus.

Andererseits gibt es bei vielen weder Unrechtsbewußtsein noch die Absicht, die für jeden „biodeutschen“ Staatsbürger geltenden Grundvoraussetzungen für den Erhalt von Sozialgeldern einzuhalten. Es geht allein um maximales Abfassen, wie das Beispiel einer syrischen Großfamilie zeigt, über das der MDR berichtete. „In Mitteldeutschland gibt es offenbar einen organisierten Betrug bei Sozialleistungen“, schreibt der Sender auf seiner Internetseite unter Berufung auf ihm zugespielte Daten. Diesen Verdacht würden rund 3.500 Dokumente einer „großen Behörde“ nahelegen, die der Sender aus einem Datenleak erhalten hat. Monatelang hätten Journalisten die Unterlagen ausgewertet.

Ein lukrativer Deal und hohe Sozialleistungen?

Am Anfang steht ein anscheinend verzweifeltes Schreiben der Familie, die der MDR Hamadi nennt, von Ende Mai 2017: „Wir sind nach wie vor nicht in der Lage, unsere Kosten aus eigenen Mitteln zu decken und haben uns bereits verschuldet.“ Gerichtet ist der Brief an ein großes Jobcenter in Mitteldeutschland, das Hartz-IV-Leistungen gestrichen hatte. Nicht etwa, weil man dem kriminellen Treiben auf die Spur gekommen war, sondern lediglich weil der Clan nicht die Mindestregeln eingehalten hatte. Seit mehr als acht Monaten waren die Antragsteller Unterlagen schuldig, die einen weiteren Anspruch auf die Leistungen rechtfertigten.

Laut MDR handelt es sich bei den Antragstellern um eine syrische Großfamilie, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt. 30 Personen davon leben in Dresden, fast alle beziehen Hartz IV. Sie sind an zwei Adressen gemeldet, wo die Häuser ebenfalls Clan-Mitgliedern gehören. „Von hier aus werden offenbar weltweit in verschiedenen Bereichen Geschäfte abgewickelt“, hat der öffentlich-rechtliche Sender recherchiert: „Auf der Kontaktliste stehen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bulgarien oder China.“ So sei zum Zeitpunkt des Klagebriefes das Familienoberhaupt, der als umtriebiger Geschäftsmann und Betreiber einer Technologiefirma der Gesundheitsbranche beschrieben wird, zur Anbahnung neuer Geschäfte in China gewesen und habe „mindestens einen lukrativen Deal“ abgeschlossen. Laut den ausgewerteten Dokumenten sollen mehr als 117.000 Euro an die Familie geflossen sein, die gleichzeitig Sozialleistungen des deutschen Staates abgriff.

Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Alle Recherchen sowie Gespräche mit Ermittlern, Sozialexperten, Innenpolitikern und Fachleuten aus Arbeitsagenturen und Jobcentern würden nahelegen, daß „es unter Selbstständigen, die Hartz-IV-Leistungen erhalten, einen organisierten Leistungsmißbrauch gibt“, schreibt der MDR. Und zwar speziell bei arabischen und osteuropäischen Familenclans. Diesen Betrug gebe es aber auch bei Dönerläden, im Autohandel oder in Serviceunternehmen in mitteldeutschen Städten, in denen in den vergangenen Jahren immer mehr aus dem Ausland stammende Personen derartige Geschäfte eröffnet hätten.

Die syrischen Sozialakrobatiker nutzen dabei eine Möglichkeit, nach der auch Selbstständige Hartz-IV-Leistungen erhalten, wenn ihr Geschäft kaum Gewinn macht. Wenn die Bilanzen „frisiert“ werden, wird aus einer gut gehenden Dönerbude ein defizitäres Restaurantgewerbe, beschreibt der MDR die kriminelle Masche. Die eingereichten Unterlagen seien offenbar vom selben Finanzberatungsbüro manipuliert worden. Bei einer internen Revision hätten Prüfer die Arbeitsagentur auf das Problem aufmerksam gemacht, Folgen habe das aber keine gehabt: „Am Ende fließen die Hartz-IV-Gelder in fast allen Fällen doch“, konstatiert der MDR.

„Bandenmäßiger Leistungsmißbrauch“

Daß es einen „bandenmäßigen Leistungsmißbrauch“ gibt, räumt Kristian Veil, Sprecher der Landesarbeitsagentur Sachsen-Anhalt/Thüringen immerhin unumwunden ein. An einem jährlichen „Millionenschaden“ für die Steuerzahler durch diesen organisierten Betrug glaubt Polizeigewerkschafter Frank Schniedermeier. Der Spezialist für Ermittlungen in der Wirtschaftskriminalität kritisiert, daß aus Datenschutzgründen Informationen zwischen Finanzamt, Arbeitsagentur, Zoll, Polizei, Ausländerbehörden oder Staatsanwaltschaften nicht einfach ausgetauscht werden könnten. Er fordert eine bessere Kooperation der Behörden, vor allem eine Lockerung des Sozial- und Steuergeheimnisses.

Hinzu kommt der Sozialbetrug durch Asylbewerber mit falschen Identitäten, auf den der sächsische AfD-Politiker Sebastian Wippel schon vor zwei Jahren hingewiesen hat. Da Wirtschaftsflüchtlinge keinen Anspruch auf Asyl haben, sich aber Sozialleistungen erschleichen wollen, hätten viele ihre Papiere vernichtet. Aber ohne Reisepaß ist eine Abschiebung oft unmöglich – und wie bei „subsidiärem Schutz“ gibt es das volle Hartz-IV-Paket. Statistisch erfaßt wird dieser Sozialleistungsbetrug nicht.

Auch die Freizügigkeit für EU-Ausländer wird großzügig ausgelegt. Als beispielhaft gilt der Fall eines Ehepaars mit zwei Kindern, das 2019 aus Bulgarien eingereist war. Der Mann hatte kurz als Landschaftsgärtner gearbeitet, einen Arbeitsunfall erlitten und Krankengeld erhalten. Als das Jobcenter Hartz IV ablehnte, wurde es vom Hessischen Landessozialgericht verpflichtet, der Familie „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ zu gewähren. Schließlich habe der Mann „unter zusätzlicher Inanspruchnahme von Wohngeld“ seinen Bedarf zuvor „fast vollständig selbst decken“ können.