© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Wieviel Digitalisierung braucht Bildung wirklich
Unterlegenheit des Bildschirms
(dg)

Der größte anzunehmende Unfall, ein massiver Datenverlust, konnte bei dem kurz vor Weihnachten 2019 gestarteten Cyberangriff auf die Universität Gießen nur durch die Geistesgegenwart eines Mitarbeiters im Rechenzentrum der hessischen Hochschule verhindert werden. Trotzdem war der entstandene Schaden groß genug, um Kritik an der herrschenden Digitalisierungseuphorie im Bildungssektor zu provozieren. So beklagt Manfred Paul vom Verein der Zentren für Kommunikationsverarbeitung in Forschung und Lehre, daß in der Politik das Bewußtsein für die IT-Sicherheit des Forschungsstandorts Deutschland weitgehend fehle, da pro Hochschule nur eine halbe bis volle Stelle für Cybersicherheit finanziert werde. Wolfgang Sander, emeritierter Didaktiker für Gesellschaftswissenschaften an der Uni Gießen, deutet den Angriff noch grundsätzlicher – als Weckruf. Er sollte eine Debatte darüber auslösen, „wieviel und welche Form an Digitalisierung wir wirklich brauchen“. So gebe es zumindest in der Lehre der Kultur- und Sozialwissenschaften keinen Grund dafür, Literatur über digitale Systeme zur Verfügung zu stellen. Lieber sei festzuhalten an gedruckten Readern sowie am guten alten Handapparat mit „richtigen Büchern“. Das bestätige auch die 2019 veröffentlichte Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens. Sie stütze sich auf eine Metastudie mit 170.000 Teilnehmern, die dokumentiere, daß das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser ist als beim Bildschirmlesen. Diese klare Unterlegenheit des Bildschirms gegenüber dem Papier habe bis 2019 eher zu- als abgenommen (Forschung & Lehre, 2/2020). 


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